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Care Revolution [Rezension]

Von Brigitte Kratzwald [1]

Die Aktionskonferenz Care Revolution [2] im März 2014 in Berlin stellte eine Art Wendepunkt in der
Care-Diskussion dar: Die Argumentation bewegte sich aus der häufig anzutreffenden Defensiv- und
Opferposition hin zu einem selbstbewussten Verständnis von Care als Grundlage für jede Form
des Wirtschaftens und Ausgangspunkt für eine neue Gesellschaftsordnung. Diese Entwicklung zeichnet
auch das Buch von Gabriele Winker [3] nach.
9783837630404_720x720 [4]Es beginnt mit einer Beschreibung der schwierigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Care-Tätigkeiten innerhalb einer neoliberalen Familien- und Sozialpolitik und den verschiedenen Strategien, mit denen Betroffene darauf reagieren. Charakteristisch für das Buch ist, dass dabei immer bezahlte und unbezahlte Arbeit berücksichtigt werden, die Situation der Care-GeberInnen und Care-NehmerInnen gleichermaßen in den Blick kommt und die Selbstsorge nicht vergessen wird.
Nach einer umfassenden und kompetenten Analyse der ambivalenten Bedeutung von Sorgearbeit im Kapitalismus wird klar, dass individuelle Lösungsstrategien nicht zielführend sind, weil die Care-Krise immanenter Bestandteil des Prozesses der Kapitalverwertung ist. Der Kapitalismus war noch nie in der Lage, die Bedürfnisse auch nur des Großteils der Menschheit zu befriedigen.

Heute ist diese Entwicklung so weit vorangeschritten, dass die Reproduktion der Arbeitskraft selbst leidet, Winker spricht von einer »Krise der sozialen Reproduktion«. Daher ist eine Systemveränderung notwendig, eben eine Revolution – die jedoch, nach Ansicht der Autorin, nicht aus der Perspektive der Lohnarbeit erfolgen kann, sondern nur aus einer Care- Perspektive. Diese Erkenntnis war letztlich der Anstoß zur Gründung des Care Revolution Netzwerks, in dem sich eine große Vielfalt an Organisationen zusammengeschlossen hat, von denen einige auch in dem Buch beschrieben werden. Obwohl die Bedürfnisse und Probleme dieser Gruppen sehr unterschiedlich sind, einigt sie die Erkenntnis, dass die Ursachen ihrer Probleme gesellschaftlicher Natur sind und innerhalb der Verwertungslogik eine für alle Beteiligten befriedigende Organisation von Care-Tätigkeiten nicht möglich ist. Im letzten Kapitel schließlich beschreibt Winker Care-Revolution als Transformationsstrategie, »die konsequent von menschlichen Bedürfnissen ausgeht und insbesondere die gegenwärtig meist unsichtbare Sorgearbeit ins Zentrum einer gesellschaftlichen Alternative stellt«. Sie beschreibt Schritte und Elemente für den Übergang in eine solidarische Gesellschaft, bei dem Forderungen nach Verbesserungen im System möglich und notwendig sind, perspektivisch jedoch immer darüber hinausreichen müssen. Damit reiht sich die Care-Diskussion in die Vielzahl jener Diskursstränge ein, die derzeit nach Auswegen aus dem Kapitalismus suchen und bietet wichtige Anknüpfungspunkte für Querverbindungen und zum gemeinsamen Weiterdenken.

Gabriele Winker: Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft. Transcript Verlag, Bielefeld 2015, 208 Seiten, 11,99 EUR

Diese Rezension erschien zuerst in CONTRASTE [5], Monatszeitung für Selbstorganisation, Nr. 369 (Juni 2015). CONTRASTE berichtet regelmäßig aus dem Land der gelebten Utopien: über Arbeiten ohne ChefIn für ein selbstbestimmtes Leben, alternatives Wirtschaften gegen Ausbeutung von Menschen und Natur, über Neugründungen von Projekten, Kultur von “unten” und viele andere selbstorganisierte und selbstverwaltete Zusammenhänge.

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3 Kommentare (Öffnen | Schließen)

3 Kommentare Empfänger "Care Revolution [Rezension]"

#1 Kommentar von rosaluxstiftung am Mai 26, 2015 00000005 6:08 pm 143266373406Di, 26 Mai 2015 18:08:54 +0000

RT @ifg_rls: Care Revolution [Rezension]: Die Aktionskonferenz Care Revolution im März 2014 in Berlin stellte eine
Art… [15]

#2 Kommentar von Judith Dellheim am Juni 5, 2015 00000006 3:23 pm 143351782803Fr, 05 Jun 2015 15:23:48 +0000

Wer zu Care diskutiert, sollte sich unbedingt mit TISA auseinandersetzen. Das gilt es recht, wenn es um die Arbeit an linken politischen Strategien geht. Mit dem Freihandel wird Privatisierung forciert und dabei schwinden die politischen Handlungsmöglichkeiten.

#3 Kommentar von Bernd Hüttner am Juni 9, 2015 00000006 7:51 am 143383631107Di, 09 Jun 2015 07:51:51 +0000

»Die Selbstsorge kommt zu kurz«
Peter Nowak: Gabriele Winkler im Gespräch über die »Care Revolution«, Interview in der jungle world vom 4. Juni, vgl. [16]