In den 60ern las ich immer häufiger Texte von ihm und hatte damals und in der Folgezeit einige Male das Vergnügen, seine Vorträge an westdeutschen Universitäten zu hören. Damals waren Dieter Kleins Themen die Umbauten des Kapitalismus und seiner Politik. Immer wieder ging es um die politische Ökonomie der Rüstung und die Frage, wie eine sicherheitspolitische Bändigung und gemeinsame Sicherheit auf Dauer durchgesetzt werden könnten. Politische Veränderung auch als ermöglichenden Umbau des damaligen Kapitalismus zu denken war äußerst selten, erst Recht in den Kategorien einer kritischen Friedensforschung. Was dann, zunächst unter dem Stichwort “Moderner Sozialismus” und dann immer häufiger mit dem Begriff “Transformation” (und der kritischen Reflektion des kapitalistischen Revirements und seiner theoretischen Verarbeitung seit 1989/90) als hartnäckiger Versuch gedeutet werden kann, in das “Ende der Geschichte” (also der propagierten Unverrückbarkeit des planetaren Liberalkapitalismus) wieder Bewegung zu bringen, hat sich seitdem bei Dieter Klein immer mehr auf das Bemühen fokussiert, eine begriffspolitisch tragfähige Konzeption auszuarbeiten, die einen Beitrag zum Verständnis des Gegenwartskapitalismus und zu der großen Frage zu liefern vermag: wie man über ihn hinaus kommt.
Die Tage ist nun sein „Das Morgen tanzt im Heute. Transformation im Kapitalismus und über ihn hinaus“ (VSA, Hamburg 2013, 216 S.) erschienen. Dicht und folgerichtig formuliert, mit 250 Titeln im Literaturverzeichnis versehen und einer einladenden Gestaltung ist das Buch dank der gewählten Creative Commons Attribution-Non-Commercial-NoDerivs 3.0 Germany License allgemein zugänglich (wobei erstmals in meinem VSA-Bücherleben die Bindung des gedruckten Buches den diversen Positionswechseln der Lektüre nicht standhielt).
Der Band fasst zwar Dieters Analysen um eine linke Politik der Transformation zusammen, aber das ist kein Sammelband. Die Kapitel 1-6 diskutieren den Begriff “Transformation” und das Konzept der “doppelten Transformation”, skizzieren die von ihm und im IfG entwickelten Szenarien möglicher Entwicklungspfade, umreissen Hauptmomente eines alternativen Gesellschaftsprojekts und begründen endlich den Anspruch, mit dem Transformationskonzept einen politisch-strategisch sinnvollen Ausweg aus dem alten Widerstreit von “Reform” und “Revolution” zu finden. Hier wird auf verschiedene im “work-in-progress” publizierte Texte zurückgegriffen und in eine neue Begriffs- und Darstellungssystematik gebracht.
- Der hier verwandte Begriff “Transformation” ist analytisch wie prospektiv-normativ. Er wird abgegrenzt von einem Verständnis, das Transformation als “Nachvollzug westlicher Verfasstheit” (23) versteht (von “westlich” wäre freilich zu unterscheiden “kapitalistischer” oder, eingeschränkt, “neoliberaler”) und von einer weiteren Gebrauchsweise als “diffus-unverbindlicher Allerweltsbegriff” (30), der für “Wandel” oder “Veränderung” gleich welcher Qualität stünde. [Offen bleibt hier, ob der zum Teil immer noch durchaus radikale und nicht unverbindliche ökologische Diskurs als eigene Verwendungsweise anzusehen wäre]. Letztlich geht es hier immer um zweierlei: die Herstellung des Besseren, also des Kapitalismus, wie wir ihn kennen – oder die Herstellung eines besseren Kapitalismus, wie wir ihn noch nicht kennen.
- Unter der “Großen Transformation” versteht er den Übergang von einer Gesellschaftsformation zur nächsten, eine Systemtransformation also. “Eine zweite Große Transformation wird zur Aufgabe des 21. Jahrhunderts.” (13)
- Daneben aber gebe es gleichsam “kleine”, systeminterne Transformationen, also tiefgehende Transformationen innerhalb eines Gesellschaftssystems von einer relativ konstanten und stabilen Gestalt zur nächsten Form oder Phase (21). Er nennt vier solcher innerkapitalistischen “Kleinen Transformationen”: vom Konkurrenz- zum Monopolkapitalismus, zum sozialstaatlich regulierten fordistischen Kapitalismus, dem Neoliberalismus, dann die postneoliberale Transformation.
- In die innerkapitalistische (postneoliberale) Transformation könne sich ein politikstarker Einstieg in eine zweite Große Transformation “hineinschieben” (14). Das Verhältnis beider ist vielfältig und nicht als “zwei verschiedene Phasen nacheinander” (17) gedacht: als miteinander “verschränkt” (15), lose oder eng verknüpft, mit Überlagerungen, Verdichtungen, (Über-)determinierungen, Aufhebungen. Insofern gehe es eben um die Dialektik der Transformationsprozesse “im Kapitalismus und über ihn hinaus” (15). Also: “Doppelte Transformation“, wobei die “schwachen Signale” (Ansoff), die Spuren oder der “Hauch” (Klein, 122) einer systemüberschreitenden Großen Transformation durchaus im Heute existieren und keine Sache erst einer postneoliberalen Zeit sind. Es wird nicht ausgeschlossen, dass aus tiefen Krisenbrüchen eines dominanten Neoliberalismus Vorstöße und Ausbrüche sich formieren, die den Prozess soweit vorantreiben, dass er die Perspektive und das Merkmalsmuster einer Großen Transformation annimmt. “Doppelte” Transformation meint hier auch, Prozesse als Verschränkung von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigem zu denken.
- Eine solche Bestimmung schließt ein, dass die Große Transformation eine Perspektive des Übergangs sei, “die schon in der Gegenwart rumort”(14) und sich im Milieu einer Kleinen Transformation zu einem postneoliberalen Entwicklungspfad aussichtsreicher entwickeln könne. Davon freilich ist die Welt noch ziemlich weit entfernt. Wie die Hegemoniekonflikte zwischen den starken neoliberalen Entwicklungsvarianten des gegenwärtigen Kapitalismus (marktradikales Weiter-So, autoritärer Kapitalismus, staatsinterventionistisch modifizierter und grün modernisierter Neoliberalismus) ausgehen werden, ist offen und die Konstitution einer sozial- und ökologisch regulierten, postneoliberalen Kapitalismusvariante (Green New Deal) ist bislang nur schwach ausgeprägt. Die erste Hälfte des Jahrhunderts werde vor allen von Konflikten zwischen diesen innerkapitalistischen Akkumulations- und Herrschaftsoptionen geprägt sein – was angesichts ihrer Krisenhaftigkeit keineswegs ausschließt, dass über den Kapitalismus hinausgehende Varianten stark werden (s. auch die Szenarien in Brenner u.a., After Neoliberalism, 2010).
- Ein “über ihn hinaus” endlich schließt zukunftsbezogene Vorstellungen über die Momente einer “solidarischen, gerechten Gesellschaft im Einklang mit der Natur, die auch als demokratischer grüner Sozialismus bezeichnet werden kann” (13, 17, 21, 54 etc.) ein.
- Die politische Methodik der Transformation kann dabei weder als “Verdichtung der unumkehrbaren Einschnitte zu einem einzigen, zeitlich gerafften Großereignis des revolutionären Umsturzes” (114) noch als “harmoniereformistische Übergangskonzeption” (117) und “gleitende, konfliktarme Entwicklung” verstanden werden, sondern “als Verlauf, der Teilreformen, Eruptionen, Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Konfrontationen und Verhandlungslösungen bis zu Kämpfen um den Ausschluss militärischer Gewaltanwendung umfasst” (120). Das Transformationskonzept enthebt nicht von der Notwendigkeit herauszubekommen, welche Methode der Politik jeweils die richtige oder gar die große ist, zu welcher Zeit, an welchem Ort, mit wem, wofür und wogegen. Die Kunstfertigkeit der Entscheidung unter zwingend unsicheren Bedingungen ist weiter gefragt.
Der zweite Teil des Buches konfrontiert das finanzdominierte Akkumulationsregime und seine Regulationsweise mit einem sozial-ökologischen Akkumulationsregime und seiner Regulationsweise. Im letzten Drittel des Bandes werden Bedingungen, Kontexte, Ansätze und Projekte sowie Akteure einer alternativen und linken Transformationsperspektive skizziert – hier geht es um Politik.
Unter dem Aspekt der politischen Methodik der Transformation ist Kleins Hinweis auf auf eine wesentliche Differenz sehr interessant. “Die bestimmende “Mitte” in kapitalistischen Gesellschaften ist der Profit, das in letzter Instanz dominierende Maß der Entwicklung” und “‘Freie Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen'(Marx,2005:9), menschlicher Reichtum also – das ist das Bestimmende für ein alternatives Gesellschaftsprojekt. Persönlichkeitsentfaltung einer und eines jeden in Einklang mit der universellen Erhaltung der Natur anstelle höchstmöglichen Profits, das kann als der archimedische Punkt einer gerechten solidarischen Gesellschaft, eines demokratischen grünen Sozialismus, und des Weges dahin betrachtet werden.” (65). Die Funktionsweisen der bestimmenden Momente unterscheiden sich nun grundsätzlich: “Die Schwierigkeit für eine sozial-ökologische Regulationsweise und schon für den Weg dorthin wird sein, dass sie im Unterschied zur kapitalistischen Regulationsweise einer zentralen Kategorie entraten muss, die – wie der Profit – als wirtschaftliches Ziel zugleich unmittelbar das ökonomische Handeln und mittelbar politische Interventionen steuert. Das Ziel, individuelle Freiheit jeder und jedes Einzelnen in einem selbstbestimmten Leben durch Bedingungen sozial gleicher Teilhabe und Solidarität zu sichern, ist keine für die Wirtschaft unmittelbar handlungsleitende Kategorie, keine direkte Triebkraft, die Innovation und Entwicklung auslöst. Dieses Ziel ist zunächst eine Vision. Das zentrale Ziel des Kapitalismus ist dagegen ein unmittelbarer Handlungszwang bei Strafe des Untergangs der konkurrierenden ökonomischen Akteure.” (139f.)
Da eine unmittelbare Abbildung der gesellschaftlichen Teilsysteme durch ein einzelnes – die Politik – und ihre Umsetzung in verschiedenste, auch verteilte Planungsprozesse sich als ständig krisenhaft und letztlich auch ineffzient erwiesen hätte, entwickelt Klein hieraus die Notwendigkeit einer dauerhaft strukturell widersprüchlichen Regulierungsweise der sozialökologischen Reproduktion. Politische Regulierung (und, randständig, Planung), Selbstregulierung über Märkte und demokratische Teilhabe / Verfahren seitens verschiedenster soziale Subjekte müssten stattdessen kontinuierlich / kompromisshaft zusammengehen. Die Hoffnung geht darauf, dass veränderte Eigentumsverhältnisse, die sukzessive Minderung der aus vielfältigen Ungleichheiten kommenden Konkurrenzen und die Durchsetzung solidarisch-kooperativer Weisen der Produktion und Reproduktion, eine Durchsetzung vieler Formen des Öffentlichen und extensive demokratische Teilhabe in den Modi veränderter Staatlichkeit – dass all’ dies und noch viel mehr einen Regress in vermachtete Märkte und die alte politische Ökonomie verhindern könnten. Hier geht es nicht um die Widersprüche einer Übergangsperiode, wie sie in der klassischen linken Revolutionstheorie als Causa der Fortbewegung gedacht wurde, sondern um die (selbst historische) Grundverfassung einer anderen Gesellschaft.
Fürwahr ein Kunststück, dies (sagen wir: bis etwa 2099) einigermaßen hinzubekommen.
[…] [zuerst publiziert im Blog des IfG der RLS mehring1] […]