Feed on
Posts
Comments

cover_OBS_piratDie Otto Brenner Stiftung – der Think-Tank der IG Metall – hat vor einigen Tagen die Studie „Die Piratenpartei – Havarie eines politischen Projektes?“ (Download) vorgelegt. Auf der eigens geschaffen Website www.piraten-studie.de wird u.a. über die Resonanz berichtet. Eine weitere Studie zur sozialpolitischen Theorie und Praxis der Piraten, von Herbert Hönigsberger im Auftrag der OBS erstellt, wird demnächst erscheinen. Die Autoren sind Alexander Hensel und Stephan Klecha, beide Mitarbeiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung (geleitet von Franz Walter). Die beiden untersuchen die Organisation, die Programmatik und Ideologie, die Mitglieder und Wähler_innen der Piraten und das Agieren in den vier Landesparlamenten, in denen die Piraten mit Abgeordneten vertreten sind. Wer bereits andere Studien oder Bücher zu den Piraten kennt, etwa das von Niedermeyer (Rezension mit weiteren Verweisen) wird hier erst einmal wenig Neues finden.

Hensel und Klecha referieren, dass die Piraten halb so viele Mitglieder haben wie die Grünen oder DIE LINKE; dass die Hälfte ihrer Wähler_innen aus dem rot-rot-grünen Milieu, 20 Prozent von CDU/FDP und 30 Prozent aus dem der Nicht- oder Erstwähler_innen stammen. Allerdings geben 40 Prozent der Wähler_innen an, und hier sollte DIE LINKE aufhorchen, dass „soziale Gerechtigkeit“ ihr wahlentscheidendes Motiv gewesen sei – und nicht etwa Netzpolitik, wie vielleicht erwartet werden könnte. Die Wähler_innen speisen sich vor allem aus drei Lagern. Dem netzaffinen Kern der ersten bzw. Gründungsgeneration der Partei, dann denjenigen die zum Netz vor allem einen lebensweltlichen Bezug haben, aber weniger detaillierte politische Vorstellungen zur Netzpolitik und dann die große Menge der Protestwähler_innen. Neu waren für mich einige Fakten zur inneren Struktur der Piraten: So etwa, dass Bayern der größte Landesverband der Piraten ist, oder ein Drittel des Gesamtetats der  Bundepartei für die beiden Bundesparteitage ausgegeben wird. Auf Bundesebene gab es Anfang des Jahres 71 Arbeitsgemeinschaften. Die aktiven Mitglieder verfügten, so die Autoren – auch aufgrund ihrer eher individualisierten beruflichen Situation im selbständigen IT-Bereich – über wenig Erfahrung in Großorganisationen (wie Gewerkschaften oder anderen Parteien).

Die Piraten hätten das Potential zur programmatischen Vollpartei, was die sehr netzaffine Gründungsgeneration womöglich verprellen dürfte, bislang hätten die Piraten aber keinen Pol eines der zentralen Cleavages der politischen Arena (wie z.B. Kapital-Arbeit) besetzt. Das Grundeinkommen diene als sozialpolitische Projektionsfläche, während das Grundverständnis eher liberal ausgeprägt sei: Der Staat solle zwar gegen Armut absichern, aber – hier sind die Piraten Kinder des Neoliberalismus – nicht gegen drohenden Statusverlust.

Wie Niedermeyer weisen auch Hensel und Klecha darauf hin, dass die Partei sich professionalisieren solle. Sie müsse zum Beispiel ihre Einnahmen erhöhen, v.a. damit sie mehr Hauptamtliche einstellen könne. Nur so sei das durch die derzeitigen Strukturen bedingte geringe Gewicht der Parteispitze (und damit auch der Partei an sich) und das relative Übergewicht der Landtagsfraktionen – innerparteilich und in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie – zu mildern.

Überraschend sind die Zahlen, die Hensel und Klecha zur Beteiligung am innerparteilichen Liquid Feedback Verfahren liefern – immerhin einem der zentralen Alleinstellungsmerkmale der Piraten. Leider nennen Sie keine Quelle dafür (vgl. UPDATE unten), dass nur 0,1 bis 0,4 Prozent der 3800 Berliner Pirat_innen bei Stimmungsbildern zu Anträgen der eigenen Fraktion im Abgeordnetenhaus ihre Meinung kundtun. Dies verweist darauf, dass der Meinungsbildungsprozess bei den Piraten sehr zeitintensiv ist und Zeitreiche in der Partei bevorzugt. Viele Aktive drohen angesichts der Informationsüberflutung und Unübersichtlichkeit der Parteidebatten persönlich zu kentern.

Ein neunseitiges Glossar in dem von Club Mate über Netzneutralität und Open Mind bis Whistleblower viele Begriffe aus der Welt des Web und der Piraten erklärt werden, rundet die 107-seitige Broschüre ab.

Für diejenigen, die sich noch nicht fundiert mit den Piraten auseinandergesetzt haben, ist die Studie hilfreich, nicht zuletzt  ist sie kostenfrei zugänglich. Hensel und Klecha skizzieren die Gefahren, die den Piraten drohen (Binnenzentriertheit, starke informelle Hierarchien, etc. pp) aus einer grundsätzlich sympathisierenden Position heraus. Ihre resümierende These, die auch medial wiedergegeben wurde, dass für Wahlerfolge „ein Potential eindeutig vorhanden ist“ (S. 86) ist empirisch zu schwach begründet. Aus einer allgemeinen, auch in der „Mitte der Gesellschaft  vorhandenen Basis für eine Protestpartei“ (S. 87) und einer steigenden Bedeutung netz-induzierter kultureller Formen und Arbeitsweisen kann nicht zwingend auf eine Bereitschaft zur Wahl der Piraten geschlossen werden – unabhängig davon, ob sie nun die neue links- oder sozialliberale Parteiformation sind.

[//UPDATE // Dr. Stephan Klecha gibt per Mail noch einen Hinweis zu dem Punkt, woher die Zahlen bei den Beteiligungswerten stammen: Sie haben sich einfach über die Gastfunktion ins LiquidFeedback eingeloggt und die Zahl der Abstimmungen angesehen. Es wird dort angezeigt, wie viele registriert sind und wie viele aktiv teilnehmen. Daher stammen die Zahlen, auch wenn dies im Text nicht genannt wird.] [weiteres UPDATE, 20. Mai] Die erwähnte Studie “Wie sozial sind die Piraten” ist am 7. Mai erschienen  (mehr/Download).

Weitere Hinweise

One Response to “Neue Studie zur Piratenpartei”

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.

Facebook IconTwitter IconView Our Identi.ca Timeline