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diotima_coverDas von der Libreria delle Donne di Milano verfasste Buch Wie weibliche Freiheit entsteht (Berlin 2001, zuerst 1988) gilt als das Manifest des italienischen Differenzfeminismus. Macht und Politik sind nicht dasselbe ist nun die vierte größere Buchpublikation der italienischen Philosophinnengruppe diotima aus Verona, die auch in dieser theoretischen Tradition steht. 1999 erschienen die beiden Bände Jenseits der Gleichheit: die weiblichen Wurzeln der Autorität und Die Welt zur Welt bringen: Politik, Geschlechterdifferenz und die Arbeit am Symbolischen. Bereits 1989 war in Österreich der Titel Der Mensch ist zwei: das Denken der Geschlechterdifferenz von diotima publiziert worden.
Zentraler Ausgangspunkt der diotima Gruppe ist es, dem eigenen Begehren zu folgen, sie nennen es oftmals „von sich selbst ausgehen“. Frauen sollen sich aufeinander beziehen, und zwar schöpferisch, sollen ihre Ungleichheiten anerkennen, sich miteinander anfreunden und „anvertrauen“ (affidamento), anstatt dem Patriarchat und den in ihm geltenden Mustern und Wertungen hinterherzulaufen.
Auffallend an den Texten aus diesem Zusammenhang ist die schöne und anregende Sprache. Sie ist ungewohnt und teilweise sicher auch unzugänglich, aber mit der neusten Publikation liegt zum Beispiel ein feministisches Buch vor, in dem kein einziges Mal „queer“ oder „gender“ steht!!
Dorothea Markert und Antje Schrupp, die beiden Übersetzerinnen, konstatieren in ihrem Vorwort, dass Politik keinen guten Ruf habe und es nun gelte, die Politik aus ihrer Ohnmacht zu befreien, auch wenn weiterhin eine generelle Skepsis daran, wie derzeit regiert werde, berechtigt sei. Bei Regierung allerdings gehe es um Macht (als in Institutionen gegossene Regeln), Politik dagegen finde überall statt, in Vereinen und Familien, am Arbeitsplatz oder in Projekten. Das Ziel emanzipatorischer Politik könne und solle es allerdings nicht sein, schlechte Institutionen zu verbessern oder sie für Frauen zu öffnen. Vielmehr müsste eigene, „weibliche“ Maßstäbe für weibliche Freiheit entwickelt werden.
Die italienischen Autorinnen schreiben in ihrem Vorwort, das, wie die folgenden Beiträge des Buches vor der „post-politischen“ Situation Italiens zu lesen ist, dass das Kleben an Macht heute bei vielen, vor allem Männern, ein Ersatz für reales Handeln sei und Ursache für das „Elend der Politik“, und speziell der Parteien, deren mangelnde Auseinandersetzung mit dem feministischen Wissen und dem feministischen Diskurs sei. Wer muss bei diesen Sätzen nicht an die Situation und die Defizite der LINKEN denken?
Luisa Muraro schreibt dann in ihrem Beitrag darüber, dass die Logik der Macht immer auf Kosten des freien und schöpferischen Handelns gehe, ja, dass es ein Zeichen für den Wunsch nach Politik sei, wenn Frauen die Politik, die im Zeichen von Wettbewerb und Macht steht, ablehnen würden.
Diana Sartori plädiert für ein „Mehr an Politik und ein weniger an Macht“, und benutzt das gut zu behaltende Bild „Politik sei heute eine Wüste, die Macht ihre Fata Morgana“. Sie ordnet den affidamento-Ansatz ein, wenn sie von zwei Definitionen von Feminismus berichtet. Ist Feminismus zu beschreiben „als Emanzipation im Namen des Universalismus der Rechte, in deren Verlauf das, was die Männer bereits besaßen, auf die Frauen ausgedehnt wird, also als eine Forderung nach Macht“? oder stellt er das Streben nach Macht und die an diesem Modell orientierten Politiken in Frage?
Giannina Longobardi berichtet von ihrem Arbeitsplatz, einer Schule. Dort gebe es weibliches Personal und eine männliche Leitung. Die Anstrengungen die Schulen immer stärker zu ökonomisieren, seien durch stillen Widerstand und ein System von Vortäuschungen konterkariert worden, indem „nicht über das gesprochen wird, was man tut, und nicht das getan wird, was man sagt“. Diese vorgetäuschte Anpassung und einige andere Faktoren führten aber zu einem Verlust an persönlicher Autorität, die für gewinnbringende Beziehungen oder eine „gute Arbeit“ aber grundlegend seien. Longobardi beschriebt ebenso Strategien der Spaltung „von oben“: „Wer unter Beschuss steht, sagt es nicht, wer es sagt, riskiert Isolation“.
Fulvia Bandoli beginnt ihren Artikel über Parteien und Macht mit dem Satz „Ich kenne mich mit Parteien aus, denn ich habe dreißig Jahre lang in einer Partei gearbeitet.“ Parteien suchten, so die Autorin, nicht die Teilhabe aller, könnten die Freiheit des Denkens und Konflikt nicht ertragen, da sie große, hierarchische Ansammlungen seien, die ohne Verankerung und vor allem in und durch die Medien existierten.
Antonella Cunico berichtet unter dem Titel „Für eine Andere Stadt“ über die seit 2006 agierende Protestbewegung gegen den Bau einer neuen Militärbasis auf einem Flughafen in Vicenza. Cunico kann gut zeigen, wie wichtig es ist, im Protesthandeln zu betonen, dass das Verändernde stärker sein muss, als die bestehende Ordnung, wie wichtig es weiter ist, auf „die Worte zu achten“ und (möglichst) keine Begriffe zu verwenden, die aus der Kriegssprache stammen. Sie zitiert die schwarze Feministin Audre Lorde: „Man kann das Haus des Herrschers jedoch nicht mit den Werkzeugen des Herrschers abreißen“. Eine soziale Bewegung müsse immer wieder darauf insistieren, dass ein Übergang zwischen dem, was schon entschieden ist, und dem, was noch nicht ist, gefunden werden kann.
Chiara Zamboni fordert in ihrem schwer zugänglichen, philosophischen Beitrag – unter Berufung auf Gandhi – dass politische Aktionen „wahrhaftige und authentische Handlungen“ sein sollten und nicht nur ein instrumenteller Schritt zur Stärkung der eigenen Seite. Die Demokratie habe heute vergessen, wie wertvoll ein Verständnis von Konflikt als etwas unblutigem sein könne. Weibliche Souveränität könne dazu beitragen, „geordnet zu sein“, was nicht bedeute, dass es keine Konflikte mehr gibt. Im Konflikt wäre hilfreich, darauf zu achten, und hier muss man unweigerlich wieder an die LINKE denken, „dass dafür Kompetenz und symbolische Stärke erforderlich sind, die aus der Fähigkeit hervorgehen, in Übereinstimmung mit der Realität Orientierung zu geben“.
Die Texte dieses Buches bieten viele Anregungen und neue, ungewohnte Perspektiven. Da die Texte von ungewohnten Grundannahmen aus argumentieren, sind sie aber nicht immer leicht zu verstehen. Wer/welche sich Mühe gibt, wird aber belohnt werden. Die Thesen wirken manchmal etwas banal oder auch naiv, etwa wenn sie gedanklich mit den Bedingungen einer voll ausgereiften Zivilgesellschaft (das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang, Gramsci) konfrontiert werden. Für die Begründung einer alternativen politischen Kultur liefern sie aber, wie diejenigen anderer AutorInnen, wichtige Impulse.

Diotima: Macht und Politik sind nicht dasselbe, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2012, 194 Seiten, 19,95 EUR

Eine deutsche Website für den Start einer Beschäftigung mit dem Thema ist www.bzw-weiterdenken.de/
Viel Inhalt bietet die Seite zum Büchlein ABC des guten Lebens. Antje Schrupp erklärt hier affidamento und hier, wer die Gruppe diotima ist.

One Response to “Macht und Politik sind nicht dasselbe (Rezension)”

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