Die Auseinandersetzung um den Schweriner Haushalt hat schon eine lange Vorgeschichte. Wie viele andere Kommunen decken die Einnahmen bei weitem nicht die notwendigen Ausgaben. Das Defizit liegt in dem vorliegenden Haushalt bei 23 Mio. Euro. Die Verschuldung beträgt insgesamt 131 Mio. Euro. (Ostseezeitung 15./16. Dezember 2012, S. 1)
Seit November eskaliert die Situation aber. Am 22. November genehmigte das Innenministerium als Aufsichtsbehörde den Haushalt für das Jahr 2012, also für das gerade zu Ende gehende Jahr. Bedingung war allerdings, dass die Stadt die Einsetzung eines „externen Beraters“ akzeptieren müsse, der die Haushaltsführung der Stadt kontrollieren soll. Die Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow bemerkte dazu: „Auch wenn eine Erpressung nach dem Prinzip ,Friss oder stirb’ den demokratischen Gepflogenheiten im Umgang mit einer direkt gewählten Oberbürgermeisterin widerspricht, bin ich sehr gespannt, welche neuen Einsparvorschläge uns ein externes Beratungsunternehmen angesichts der schwierigen Haushaltlage unterbreiten wird.“
Soweit so schlecht, zumal wohl kaum gesagt werden kann, dass aus der Sicht eines Normalsterblichen die öffentlichen Leistungen in Schwerin als ausufernd bezeichnet werden können. Gramkow sagte der Ostseezeitung, dass die Stadt seit 2001 Ausgaben in Höhe von 251 Millionen Euro gekürzt und Gebühren erhöht habe. Mehr ginge nicht. Aber nicht die Normalsterblichen, sondern Minister und sonstige InteressenvertreterInnen haben in dieser Hinsicht das Sagen. In dem schon erwähnten Beitrag in der Ostseezeitung vom 15./16.12.12 wird der Innenminister Lorenz Caffier ausführlich mit seiner Interpretation des Vorgangs wiedergegeben. Die Kernaussagen: Die Bürgermeisterin sei Chefin eines Unternehmens, nicht eines Sozialamtes. Vieles in Schwerin erinnere an Kuba. Zu loben sei Rostock, weil dort Ortsämter und Bibliotheken geschlossen und Gebühren erhöht würden. Unterstützt wird er von einem Silvio Horn von den „Unabhängigen Bürgern”: Es ginge nicht, dass die Bürgermeisterin vor dem Rathaus gegen Personalabbau demonstriere, statt „Vorschläge zu machen.“ Was letzteres auch bedeuten mag. Außer sehr allgemeiner Floskeln bietet die Website der Fraktion nicht viel Substanzielles.
Allerdings: Rostock wurde ähnlich wie Schwerin „erpresst“. Außerdem läuft ein weiteres Verfahren zur Zwangsverwaltung bezüglich des Landkreises Vorpommern-Greifswald. Stralsund und der Landkreis Ludwigslust-Parchim seien ebenfalls in ähnlichen Schwierigkeiten.
So zelebriert ein Innenminister auf der regionalen und lokalen Ebene, was die Regierungen der EU-Staaten unter Vermittlung der EU-Kommission untereinander betreiben. Schwerin und den meisten EU-Ländern geht es ganz ähnlich: Sie sind unterfinanziert. Angelika Gramkow erklärte in einem Interview der Ostseezeitung am 19.12.12: „Ich sehe die Notwendigkeit, neue Schulden zu machen… Schwerin kann seine Leistungsfähigkeit nicht mehr finanzieren. Wir brauchen einen fairen Finanzausgleich…“ (S. 5) Sie verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass 115 Mio. des 240-Mio.Haushaltes in das Soziale und in die Jugendhilfe fließen. Es mag ein redaktioneller Zufalls sein, dass auf der Seite 4 der gleichen Ausgabe der Ostseezeitung (also gegenüber) ein Artikel über den Armutsbericht der NAK abgedruckt ist – und der sagt auch, die Kürzungen auch in Schwerin gingen schon zu weit. Will heißen – es geht um mehr Einnahmen jenseits der Erhöhung von kommunalen Gebühren und der Senkung von Ausgaben. Eigentlich eine Konstellation, die EU-Politik mit Kommunalpolitik verbinden könnte. Und in Porto Alegre war dereinst eine solche Konstellation Ausgangspunkt für eine durchgreifende Demokratisierung von Haushaltspolitik und politischer Mobilisierung.
Der Haushaltsknüppel: Neue Normalitäten
23. Dezember 2012 | Lutz Brangsch