In der Diskussion mit europäischen Linken informierte am vergangenen Freitag eine in SYRIZA engagierte junge Genossin über neofaschistische Aktivitäten in Griechenland. Sie drängte auf einen tiefgründigen Austausch zu Neofaschismus-Analysen und linken Gegenstrategien. Heute verschickte der griechische Bewegungsaktivist Yorgos Mitralias seinen diesbezüglichen von Michèle Mialane ins Deutsche übersetzten Artikel. Dieser wird hier unbearbeitet und kommentarlos veröffentlicht:
Leider steht die griechische Linke nach den Wahlen vom 17. Juni ebenso ratlos da angesichts der neonazistischen Bedrohung, als vor dem 6. Mai. Ein Beweis? Der Erfolg der ‘Goldenen Morgendämmerung’ wird als eine Klammer, ein bloßer ‘schwarzer Punkt’ inmitten einer sonst glänzenden Sachlage dargestellt. So beschreiben alle Komponenten der griechischen Linken (Syriza inbegriffen) die Umstände als ein bloßes Nebeneinandervon guten und schlechten Ergebnissen und tun dabei, als ob die ‘guten’ und ‘schlechten’ Punkte (d.h. das Auftauchen und der überwältigende Zuwachs der Neonazis) nicht dem selben Sachverhalt entsprechen und in keinem Zusammenhang stehen würden und nicht ein und den selben gemeinsamen Nenner hätten: die epochale Krise der griechischen Gesellschaft, durch welche sie alle bedingt werden!’ Infolge der oberflächlichen Weise, mit welcher die griechische Linke an die sozialpolitische Realität herangeht wird das neonazistische Phänomen mit einem … historischen Zwischenfall gleichgesetzt, mit etwas Vorübergehendem und schließlich nur einer nebensächlichen politischen Erscheinung, mit den beiden großen derzeitigen Begebenheiten verglichen: der blitzartige Aufstieg von SYRIZA und der Zusammensturz des griechischen Zweiparteiensystems. Jedoch sind die Tatsachen hartnäckig und widerstreben solchen ‘Analysen’. Erstens sind die Neonazis tagtäglich aktiv, auf immer furchtbare, immer aggressivere Weise, und überfallen nun nicht mehr ausschließlich die Migranten, sondern auch noch die linken Aktivisten und sogar ganz gewöhnliche Gaffer, wenn jene sich zu widersetzen wagen. Jetzt, wo sie im Parlament stark vertreten wird, ist die „Goldene Morgendämmerung“ nicht ruhiger geworden- wie es mehrere linke Anführer zu Unrecht erwartet hatten – sondern sie schlägt zu, zeigt Muskeln, mehrt die Provokationen und Überfälle landesweit und beansprucht ganz offen ihr „Recht“, wen sie will wo sie will anzugreifen!
Dann sind die Statistiken noch furchterregender, als die Taten der Neonazis. Laut eingehender Studien der letzten Wahlausgänge in Griechenland ist die „Goldene Morgendämmerung“ alles andere als eine „vorübergehende Erscheinung“ und „wird in den nächsten Jahren ein mächtiger Pol und für die Linke ein hinreichend bedrohlicherGegner “ sein (1). Sofort und unverdrossen wagen wir es zu behaupten: nicht nur fassen die griechischen Neonazis für lange Fuß auf die griechische politische Szene, sondern nun stellen sie neben SYRIZA die zweitgrößte organisierte Kraft, die gerade dort expandiert, wo sich die Zukunft des Landes entscheiden wird: in den Großstädten und im aktivsten und tatkräftigsten Teil der Bevölkerung…
Wie es der Autor der Studie und anerkannter Forscher für politische Parteien und Verhalten der griechischen Öffentlichkeit Christoforos Vernardakis betont, „ist Goldene Morgendämmerung eine kohärente Organisation, deren Wahlergebnisse ausgesprochen nach Klassen anhand einer starken ideologischen Homogenität strukturiert sind.“ Folglich unterscheidet sich die Goldene Morgendämmerung ganz von ihrem Vorgänger, der rechtsextremen Partei LAOS, die nicht nur „systemische“ politische Orientierungen vorwies, sondern vor allem eine Wählerschaft in allen sozialen Schichten besaß, dabei besonders einflussreich bei der hohen und mittleren Bourgeoisie war. Laut Vernadakis „weist Goldene Morgendämmerung einen „reineren“ Einfluss bei den Volksschichten vor, dessen ideologische Agenda bei den Juniwahlgängen sogar offener als im Mai zum Ausdruck kam. Die Verteilung der Wählerschaft der Goldenen Morgendämmerung zeigt, dass diese Organisation innerhalb der Parteiensystems nicht konjunkturbedingt bleiben wird.“
Diese Einschätzungenwerden dadurch bestätigt, dass die Neonazipartei, deren Wahlergebnis auf nationaler Ebene im Mai und Juni bei fast 7% der Stimmen stabil geblieben ist, recht vielsagende Erfolge kassiert, insbesondere in den populären Vierteln, bei den Menschen zwischen 25 und 44 Jahren, den Handlangern und „flexiblen Arbeitskräften“ (24,5%) sowie bei den Arbeitslosen (12,2%). Dabei bleibt es aber nicht. Wenn man die Wahlergebnisse der Goldenen Morgendämmerung analysiert, treten die wirklichen Absichten der griechischen Bourgeoisie ganz deutlich zum Vorschein: die Stimmen der „Arbeitgeber und Unternehmer“ sollen zu 20,3% an die Neonazipartei gegangen sein! So stimmt bereits über ein Fünftel der griechischen Arbeitgeber und Unternehmer für Hitlers Nachfolger ab, für Menschen, die Auschwitz ganz offen verherrlichen und in der U-Bahn von Athen wehrlose Migranten erwürgen!
Hier haben wir mit einer furchterregenden und … für die künftige Entwicklung des griechischen Dramas besonders viel versprechenden Realität. Nämlich bedeutet eine so starke Unterstützung der griechischen Neonazis durch die griechische Arbeitgeberschaft, dass das Geld schon in ihre Kassen hineinströmt, dass ein beträchtlicher Teil der griechischen Bourgeoisie bereits auf den Faschismus und deren bewaffneten Banden setzt, um die Basisbewegung sowie deren aufsteigende Kraft – SYRIZA – abzuwehren!
Alles in allem ist die Situation weit entfernt von den naiven Gewissheiten, in denen sich die griechische Linke wiegt, indem sie die Gefahr eines Faschismus immer noch ableugnet und sich damit begnügt, jenen mit Behauptungen zu bannen wie z.B. „Faschismus ist in Griechenland in keinem Fall zu Hause“ oder „wo sie (die Neonazis) nun im Parlament sitzen und in den Medien vorhanden sind, werden sie ihr echtes Wesen enthüllen und die Menschen werden sie durchblicken und sich von ihnen abwenden.“
So ist es aber leider nicht.Nämlich sieht es so aus, dass die Goldene Morgendämmerung in der griechischen Gesellschaft gut verwurzelt ist und vor allem, dass die Billigung ihrer Handlungendurchaus keine zufällige, epidermische oder vorübergehende ist. Z.B. verdankt Goldene Morgendämmerung ihren Wiederaufstieg nach einer gleich nach den Wahlgängen vom 6. Mai eingetretenen Flaute nicht einer angeblichen „Linderung“ ihrer Praxis, sondern vielmehr ihrer ganz bewusst getroffene Entscheidung für qualitativ gewalttätigere Handlungen (tägliche und öffentliche Erwürgung von Migranten oder Provokation und Gewalttaten der Nummer Zwei der Neonazis gegen zwei linke Abgeordnete live im Fernsehen, überfälle von Lokalen der linken Parteien usw.) Alles in allem geschieht täglich vor unseren Augen gerade das Gegenteil dessen, was die frommen Wüsche der griechischen Linke predigen: nicht nur werden durch die Gewalttaten der Goldenen Morgendämmerung gegen Migranten und linke Aktivisten deren Einfluss und Attraktivität auf einerseits bestimmte unterprivilegierte soziale Schichten und andererseits die griechische Bourgeoisie und Arbeitgeberschaft nicht abgeschwächt – sondern gestärkt.
Wenn auch provisorisch ist der Schluss daher ganz klar: die zwei aufsteigenden Kräfte der griechischen politischen Szene befinden sich an deren beiden Enden: radikale Linke und Rechte, SYRIZA und Goldene Morgendämmerung. So hat der Ausgang der beiden aufeinander folgenden griechischen Wahlgänge auf eklatante Weise die These und Arbeitshypothese bestätigt, die wir schon vor dem Wahlgang vom 6. Mai vorgelegt hatten in unserem Text “67 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Nürnberger Prozesse befinden wir uns inmitten einer Weimarer Republik nach griechischer Art….“: Ein Großteil jener nach zwei Jahren einer barbarischen Sparpolitik ruinierten griechischen Gesellschaft sucht an beiden Enden der politischen Landschaft verzweifelt nach radikalen Lösungen für ihre Überlebensprobleme.
Das nun mal gesagt, lässt sich die Unfähigkeit der griechischen Linke, das Phänomen Goldene Morgendämmerung zu verstehen und jene Bewegung zu kontern leicht dadurch erklären, dass sie gerade unfähig ist, die innersten Vorgänge innerhalb der griechischen Gesellschaft zu entziffern! Deshalb wird der Wahlerfolg der Neonazis nur als ein „schwarzer Punkt“ in einem sonst positiven Gesamtbild dargestellt, und dabei übersehen, dass jener „schwarze Punkt“ gewissermaßen die Kehrseite des blitzschnellen Erfolgs von SYRIZA, und vor allem, dass diese Pendelbewegung unterprivilegierter Massen von einem Ende ins Andere des politischen Schachbretts solange anhalten wird, bis die Linke die derzeitige vorrevolutionäre Periode zu keiner revolutionären macht…
Man muss aber zugeben, dass nun ein gewaltiges Hindernis im Wege steht, der zu diesem Aufstieg und dieser Verwandlung besagter vorrevolutionärer Periode zur revolutionären führt; gemeint wird die Goldene Morgendämmerung, und nicht zufällig wurde sie von A bis Z erschaffen (von den großen Medien, einem Teil der griechischen Bourgeoisie, Persönlichkeiten aus der herkömmlichen politischen Rechte, die die Goldene Morgendämmerung als „Schwesterorganisation der Neuen Demokratie“ bezeichnen), gerade mit dem Ziel, die Basisbewegung sowie den Aufstieg der radikalen griechischen Linke zu behindern! Mit einfacheren Worten: die griechische Linke darf den neonazistischen Übel nicht mehr mit leeren Formeln – so z.B. „ die Faschisten müssen isoliert werden“ – zu bannen versuchen, sondern jene schnellstens durch die Problematik des Schutzes der Einwanderer und der Selbstverteidigung vor den entfesselten Killerhorden der Goldenen Morgendämmerung ersetzen. Nichtsdestoweniger muss klar stehen, dass diese „Selbstverteidigung“ nicht aus der Luft gegriffen werden kann, umso mehr, als das Wort „Selbstverteidigung“ bei der griechischen Linke ein Tabu bleibt, und sie sich beharrlich weigert, es auszusprechen. Einwände wie „wir werden uns doch nicht bis zu ihrem Niveau herabsetzen “ oder „ die Faschisten soll man mit politischen Waffen bekämpfen“ haben weder Hand noch Fuß, wenn die neonazistische Gewalttätigkeit sich jeden Tag in neue Viertel einschleicht, und hiermit den normalen Alltag beeinträchtigt sowie die Aktivitäten der linken Organisationen und Parteien gefährdet. Hier haben wir nicht mehr mit abstrakten Theorien zu tun, sondern mit ganz konkreten Alltagsproblemen der Menschen – die griechische Linke muss sie unbedingt auf einheitliche Weise möglichst schnell erkennen, anfassen und lösen! Sind wir einmal so weit, dass die Goldene Morgendämmerung uns verbietet, unsere Wohnung zu verlassen, dann ist alles Andere nur noch unverantwortlicher Quatsch von Leuten, die sich beharrlich weigern, der Realität ins Gesicht zu schauen…
Die sehr bedauerliche Lücke der griechischen Linke ist schließlich ihre mangelnde Erinnerung und Verständnis dessen, was im vergangenen Jahrhundert in den Zwanzigern und Dreißigern in Deutschland – aber auch in Italien – vor sich gegangen ist. Deswegen kann sie die braune Pest weder verstehen noch effizient abwehren und bekämpfen. Solange Ohne sich mit dieser Periode auseinandergesetzt zu haben, ohne die Lehre daraus gezogen zu haben, wird die griechische Linke zur Improvisation verurteilt sein und sich im Kreise drehen müssen, wobei die Neonazis anscheinend schon vorwärts schreiten, indem sie sich sorgfältig an die Grundlinien des nationalsozialistischen Originalhandbuchs halten. Denn Eines muss eingeräumt werden: Griechenlands derzeitige Lage zeigt immer stärkere Ähnlichkeiten mit jener Deutschlands vorm Untergang der Weimarer Republik und Hitlers Aufstieg zur Macht. Unwahrscheinlich sieht es aus, und leider ist es trotzdem so! Deswegen wird das Phänomen Goldene Morgendämmerung weiter blitzartig fortschreiten, solange man dieses „Phänomen“ nicht als Ergebnis Folge, Produkt seiner Zeit (eine Zeit der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Endkrise) verstehen wird. Also Vorsicht: diese Geschichte fängt erst an, und das Kommende wird ein Alptraum sein, wenn die griechische Linke weiterhin darauf besteht, die Goldene Morgendämmerung nur als einen vorübergehenden “Anachronismus“ aufzufassen, der sofort untergehen wird, als die Menschen dessen verderbliches und vergangenheitsbezogenes Wesen anerkannt haben. So ist es nicht, die griechischen Neonazis sind weit mehr als das, nun bilden sie eine wirkliche radikale Volksbewegung, die über eigene paramilitärische Gruppen verfügt und außerdem die (politische, medienbezogene, finanzielle…) Unterstützung eines bedeutenden Bruchteils der griechischen Bourgeoisie genießt.
Dieser Schluss schlägt ganz absichtlich Alarm. Die griechische Linke sollte ihre Selbstkritik schon gemacht haben, weil sie die neonazistische Schlange hat aus dem Ei schlüpfen lassen. Das hat sie aber unterlassen, und nun fährt sie weiter in die gleiche selbstmörderische Richtung, indem sie den Übel anpacken will, als wäre es nur ein böser Geist und keine ganz reelle materielle Kraft, mit dem Ziel, die Arbeiterbewegung mit allen Mitteln zu vernichten. Vor nur 3 Monaten hätte die Behauptung, dass die Goldene Morgendämmerung 7% der Stimmen erhalten würde, als eine Riesendummheit geklungen, die höchstens für das Drehbuch eines politischen Zukunftsfilm taugte. Wer würde es heute abzustreiten wagen, das dieses „ Drehbuch eines politischen Zukunftsfilm“ uns andere, noch größere und vor allem schmerzhaftere Überraschungen bringen könnte?
(1) Siehe Den Artikel und die Tabellen von Christoforos Vernardakis in der Tageszeitung Avgi vom 24. Juni 2012″
das hier verstehe ich nicht (den letzten satz). vielleicht kann jemand den sinn aufklären davon oder den übersetzungsfehler korrigieren… ?
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“Deshalb wird der Wahlerfolg der Neonazis nur als ein „schwarzer Punkt“ in einem sonst positiven Gesamtbild dargestellt, und dabei übersehen, dass jener „schwarze Punkt“ gewissermaßen die Kehrseite des blitzschnellen Erfolgs von SYRIZA, und vor allem, dass diese Pendelbewegung unterprivilegierter Massen von einem Ende ins Andere des politischen Schachbretts solange anhalten wird, bis die Linke die derzeitige vorrevolutionäre Periode zu keiner revolutionären macht…”
Griechenland erlebt gerade eine Zunahme rassistischer Pogrome. Eine wie immer unvollständige Liste von Gewalttaten, die in den sieben Tagen nach der Parlamentswahl vom 17. Juni auf den griechischen Straßen verübt wurden, vermittelt einen Eindruck davon.
[…] veröffentlichte bereits am 1.7.2012 einen Artikel des Athener Publizisten und politischen Aktivisten Yorgos Mitralias zum griechischen […]
Hallo.
Hat irgendwer hier weitergehende Informationen zur Situation auf Kreta, eventuell gar speziell in Chania, wo von dort in der oben erwähnten Liste ja bereits 2mal die Rede ist?
Danke.
[…] Mehr Infos zum grichischen Faschismus: Hier […]