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Ein richtiger Schritt

Das Abstimmungsverhalten der Fraktion der LINKEn im Landtag von NRW wird kontrovers diskutiert. Die Financial Times Deutschland zeigt die Partei neben der FDP in der Pose eines Selbstmörders. Man spricht von Dämlichkeit und Sektiererei. Politik wird in dieser Sichtweise auf Rechenkunststücke und parlamentarische Präsenz reduziert. Dass Haushaltspolitik auch Politik ist, geht dabei irgendwie verloren. Die Position der LINKEn-Fraktion zum Landeshaushalt resultierte nicht aus Prinzipienreiterei sondern aus der Herausforderung einer politischen Weichenstellung. Es ging ihr um eines der Kernanliegen linker Politik – um ein wenig mehr Gerechtigkeit. Es ging nicht um eine Umwälzung des Haushaltes, sondern um eine veränderte Prioritätensetzung. Damit war die Entscheidung, dem Haushalt nicht zuzustimmen, richtig. Und es ist auch den Fraktionsmitgliedern hoch anzurechnen, dass sie sich in diesem Falle nicht von Umfragewerten haben beeinflussen lassen – und auch nicht vom drohenden Verlust ihrer Diäten.
Auf eine interessante Art und Weise wird damit ein Grundsatzproblem linker Politik aufgeworfen – das Verhältnis zum Haushalt. In der Sozialdemokratie Anfang des 20. Jahrhunderts war das ein heiß umstrittenes Thema. Rosa Luxemburg lehnte stets die Zustimmung zum Gesamtetat ab. In einzelnen Landesparlamenten hingegen stimmten die sozialdemokratischen Fraktionen immer wieder zu, oft in der Hoffnung auf politische Tauschgeschäfte, die in der Regel danebengingen. Nun haben historische Vergleiche ihre Tücken – aber interessant ist es schon, diese Entwicklungen zu rekapitulieren. Im Falle der alten SPD führt diese Linie in die Zustimmung zu den Kriegskrediten und die völlige Unterordnung unter das kaiserlich-deutsche Kriegsregime.
Ein zweites Grundsatzproblem betrifft die Rolle der parlamentarischen Präsenz. In den kritischen bis gehässigen Reaktionen wird die parlamentarische Präsenz letztlich als Endzweck von Politik dargestellt. Genauer genommen – die Präsenz um jeden Preis. Nun ist aber Politik mehr als diese Präsenz. Die Abhängigkeit des Parteienfeldes von dieser Präsenz sagt nichts aus über das Gesamtfeld Politik. Freilich folgt die Logik der Parteienfinanzierung bewusst dem parlamentarischen Denken – und erzeugt damit natürlich einen Druck, den Kampf um Mandate in den Mittelpunkt des Handelns der Parteien zu stellen. Dabei verschwindet immer wieder die Frage, wozu man eigentlich Parteien bildet – und ob eine Wählerstimme auch tatsächlich Zustimmung zur Politik der jeweiligen Partei bedeutet. Lassen wir zu dieser Frage Karl Liebknecht sprechen; auch wenn es in dem Zitat um die Frage der Regierungsbeteiligung geht, lässt sich dies auch auf die der parlamentarischen Präsenz übertragen:

„Verschlechtert eine politische oder wirtschaftliche Aktion, die das Erstrebte von den herrschenden politischen Klassen nicht zu erzwingen vermag, die also, isoliert betrachtet, erfolglos war, die Machtstellung des Angreifers und die Aussichten auf künftige Erreichung des Ziels? Oft wird es behauptet und zum Anlaß ängstlicher Warnungen vor ernsten Kämpfen genommen. Prüfen wir!
Erfolglose Aktionen können nachteilig wirken – aber nur, wenn sie den Angegriffenen zeigen, daß der Angreifer schwächer ist, als sie bis dahin voraussetzten … Dann werden die herrschenden Klassen von nun an eine geringere Macht des Feindes in ihre Berechnungen einsetzen als bisher und darnach ihr Verhalten, sei es in der Defensive, sei es in der Offensive, einrichten … Aber dieser Nachteil der erfolglosen Aktion ist nur ein scheinbarer. Er bedeutet nur das Zerplatzen einer Seifenblase, die Zerstörung eines Wahns, eine schreckende Gefahr nur für überlebte Parteien und Kastraten der Scheinopposition. Ganz anders, wenn die Einzelaktion trotz Ihrer Erfolglosigkeit eine Offenbarung nicht der Schwäche, sondern der Stärke ist, keine falsche Größe zerbricht, sondern wahre Größe zeigt…
Und darum brauchen aufstrebende Parteien, aufsteigende Klassen kein kühnes Wagen und Schlagen zu scheuen. Wenden wir dies auf einen Spezialfall an.
Wenn der Eintritt in die parlamentarische Opposition der einzige Stein ist, den eine Partei – z.B. die Regierungssozialisten – im Brette hat, so kann man begreifen, dass sie ihn zurückhalten möchte, denn mit seinem Ausspielen ist sie sofort – matt gesetzt. Nur schade, dass dies auch der Regierung und jedem nicht auf den Kopf Gefallenen bekannt ist. Woraus folgt, dass sich mit der Drohung des Übergangs zur parlamentarischen Opposition nichts Rechtes erreichen lässt, ja dass alle Versuche dazu regelmäßig damit enden, dass die Möchte-gern-Wucherer – geprellt werden. Will man auch nur parlamentarische Erfolge erzielen so kommt alles darauf an, dass die parlamentarische Opposition nicht das letzte, sondern nur der erste, nicht der stärkste, sondern der schwächste Trumpf, nicht der Schluß, sondern der Anfang ist, dass die Partei eine außerparlamentarische Macht hinter sich hat, die sie, aller Niederlagen ungeachtet, in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit und Schlagfertigkeit der Methoden mit stets zunehmender Energie in den Kampf einzuwerfen fähig und entschlossen ist, und dass dies dem Gegner durch die Tat … demonstriert wird. Anders wird in der politischen – auch parlamentarischen! – Arena weder Respekt erworben noch Erfolg erzielt. Jene Taktik aber führt bestenfalls einen Scheidemann zum Posten des Johann auf dem Reichskutschbock.“

aus: Karl Liebknecht Gesammelte Reden und Schriften Band IX Dietz Verlag Berlin/DDR 1982 S.460-462

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