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Österreich ist schon ein seltsames Land, über das hierzulande wenig bekannt ist. Es gilt einerseits mit seinen ca. 8 Millionen Einwohner_innen als Inbegriff von völkischer Dumpfheit und Rassismus. Andererseits ist in Österreich angesichts seiner Größe und wegen der Zentraliserung auf Wien die linke und alternative Medienszene erstaunlich groß. Beispielhaft seien – als Printprodukte – nur Kulturrisse, MALMOE, anschläge, Frauensolidarität, Kurswechsel und grundrisse genannt.

Robert Foltin dürfte, wie etwa auch Robert Misik, einer der wenigen unabhängig-linken Autor_innen sein, die über Österreich hinaus bekannt sind. Im Jahr 2004 hat er mit dem mittlerweile auch online zugänglichen Buch Und wir bewegen uns doch (Volltext) eine fulminante Geschichte der neuen sozialen Bewegungen in Österreich seit dem Kriegsende vorgelegt. Durch dieses Buch konnte mensch nebenbei viel über die Auswirkungen der außenpolitischen Neutralität auf die politische Kultur Österreichs, über seine verstaatlichte Sozialdemokratie und die Größe und den Niedergang der Kommunistischen Partei lernen. In seinem aktuellen, in der neuen, vielversprechenden Reihe „kritik & utopie“ erschienenen Band legt Foltin nun ein im Sommer 2011 abgeschlossenes Update vor. In ihm beschreibt er vor allem den vielfältigen Aufschwung sozialer Bewegungen und Proteste ab der zweiten Hälfte der 2000er Jahre. Dieser Zyklus, den er vor allem im Hinblick auf internationale Protestereignisse mit „1968“ zu „vergleichen wagt“ (S. 241), ist in Österreich (und damit vor allem in Wien) durch vier Themenstränge charakterisiert. Am bekanntesten wurde unibrennt, eine Protestwelle gegen die weitere neoliberale Zurichtung der Universitäten. Viele der antirassistischen Aktivitäten stehen ebenfalls in einem transnationalen Kontext: Für Bewegungsfreiheit und Bleiberechte, gegen Abschiebungen aus der Festung Europa. In dem von Foltin untersuchten Zeitraum gab es drittens eine bemerkenswerte Anzahl von Hausbesetzungen, die aber in der Regel erfolglos bleiben mussten. Einen Aufschwung nahmen auch queerfeministische Kämpfe und Strategien, die sich im Aktivismus, in der Kunst und an der Akademie ausbreiteten.

Das Buch, das im Grunde auf einer Aufzählung von Ereignissen basiert, hat deswegen stellenweise kleine Längen. Es ist eine Chronik, die nur sehr gelegentlich von inhaltlich-politischen Wertungen durchbrochen wird. Es zeigt die Vielfalt und den Elan dieser Bewegungen. Es macht weiter deutlich: Die auf der Repräsentationslogik des Fordismus basierenden politischen Maschinen (Staat/Sozialdemokratie/Gewerkschaften) sind in einer tiefen, ihre Existenz bedrohenden Krise. Neuere Protestbewegungen basieren auf Selbstorganisation, flachen Hierarchien und einer Kritik an herkömmlichen “demokratischen” Prinzipien. Gleichwohl sind sie angesichts der Übermacht der “Gegenseite” sehr schwach.

Ein Literaturverzeichnis und eine den Zeitraum 1999 bis Herbst 2011 umfassende Chronologie schliessen den Band ab.

Robert Foltin: Und wir bewegen uns noch. Zur jüngeren Geschichte der sozialen Bewegungen in Österreich, mandelbaum Verlag, Wien 2011, 286 Seiten, 15 EUR

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