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Wulff Variationen

[1]Die Ironie hat nun auch mehring1 gepackt: Horst Kahrs plädiert [2]dafür, dass Wulff bleiben soll, weil er doch so kapitalismusauthentisch sei. Doch nicht nur facebook und die Bloggerwelt, sondern nachgerade alle Massenmedien kommen mittlerweile nicht mehr ohne Witze zur Wulff-Family, Spaß, Spott, Hohn auf den Markt, eine Verachtungssuada ohnegleichen, an der gemessen der eher irritierte Abgesang Guttenbergs noch geradezu respektvoll wirkte – und zwar ein Respekt ad personam (genauer: gegenüber der vermögenden Person) und gegenüber der Coolness seiner Manövererierei. Wulffs Geldagieren ist Peanuts, seine Klebrigkeit ist völlig uncool und natürlich komplett ohne Stil, Distanz und Souveränität – also bürgerliche Grundeigenschaften, derer es bei diesem Job nun einmal bedarf. Beim Hinausschreiben aus dem Amt ist kein Respekt zu spüren, auch kaum Irritation, sondern auf den ersten Blick ein Konsens darüber, dass es sich hier um eine Person handelt, “die es nicht kann”.Da die Population der deutschen Biedermänner und -frauen schrumpft, ist die Primärrolle bieder-harmloser Ehrlichkeit nur begrenzt tauglich für den präsidialen Amtszuschnitt, der ja doch irgendwie eine Ahnung von legitimer Gesamtrepräsentanz und Identität vermitteln soll. “Es nicht zu können”, war nie Guttenbergs Problem. Sein PR-gestylter politischer Habitus des Alleskönners wurde kaum geschwächt dadurch, dass er im Abschreiben gründlich durchfiel. Man kann sich erinnern, dass Wulff wie Gauck von Beginn an zweite oder dritte Wahl waren. Guttenberg dagegen galt immer als Person der ersten Wahl oder mit “echtem” Potential dazu. Nun lassen sich die Unterschiede im Umgehen – bedauernde Irritation versus machtbewußtem Springer-Spott – damit erklären, dass die Machtbasis und -milieus von Wulff und Guttenberg deutlich verschieden waren. Folgerichtig pflegte der Erste den Habitus des Liberalkonservativen mit Schwiegersohnherz, der Zweite dagegen den Stil rechter Entschiedenheit. Und es ist natürlich kein Zufall, dass die Z-Erlegung Wulffs zeitgleich geschieht mit dem offiziellen Beginn der  CSU-Absegnung des Guttenbergrevivals (die natürlich noch schief gehen kann).

Sehr seltsam ist freilich, wie sparsam die Gründe der Betreiber dieses Schlachthofstücks thematisiert werden. Dass die Meinungs- und Pressefreiheit vor weiterem staatspräsidentiellen Mailboxmißbrauch geschützt werden sollen, ist zweifellos ein extrem starkes Argument, wenn es unisono atemlos von “Bild”, “FAZ”, “SZ”, “FAS”, “Spiegel” und dem ganzen Rest vorgetragen wird. Geht es also dann doch eher um die Rekonstitution konservativer Werte und Moralnormen? Kaum. Selten wurden sie so destruiert wie in den drei Jahrzehnten blühenden Neoliberalismus – und die krisenzeitliche Phase ihrer höchst betroffenen Anrufung  (“die Boni, ein Skandal!” “Wir brauchen einen guten Kapitalismus!”) dauerte bis etwa Mitte 2010. Wozu also jetzt  wieder die Werte der schwäbischen Hausfrau und ihrer globalhistorischen Prämissen  bemühen?

Und soll wirklich das edle Staatsamt den gierigen Krallen der Reichen wieder entrissen werden, in die es der kleinbürgerliche Dummkopf Wulff hineinbugsiert hat, wie uns Crouch via Schirrmacher via Kahrs nahelegen, geht es also um die Pflege der Demokratie?  Das scheint nicht nur strukturell angesichts des publizistischen Records der zwei Hauptakteure “Bild” und “FAZ” recht unwahrscheinlich. Auch aktuell überzeugt das Argument nicht. Da die eigentliche politische (also machtrelevante) Brisanz der Wulff-Demontage in der Schwächung einer Bundesregierung liegt, deren Hauptkraft eben ihren Knappen durch das Saarlandmanöver recht final abserviert hat, ist die Frage nach dem „cui bono“ ja nicht von der Hand zu weisen. Denn zugleich betrachten etwa die o.g. Medien beifällig, wie die Regierung Merkel / Rösler (ja! der Vizekanzler!) die Hegmonialstellung des deutschen Kapitalismus im Europa der Krise ordentlich vorangebracht haben. Dass der Exekutivföderalismus, wie das Deutsch sprechende Europa dann politisch charakterisiert werden könnte (so der Professor für öffentliches Recht an der Universtät Konstanz Christoph Schönberger in seinem Beitrag “Deutschlands neue Rolle in Europa” im Merkur 1/2012 S.1ff.), Demokratie eher als aktuellen Kollateralschaden ansieht, ist allein schon in der kurzen Geschichte deutschneoliberaler Krisenbewältigung sehr deutlich geworden, wie man zumindest aus Athener Perspektive schon länger weiss. Während das Feuillton und die Politikseiten die Demontage des demokratischen Amtes beklagen, reiben sich die Protagonisten der bundesdeutschen Aussenwirtschafts- und Finanzpolitik im Wirtschaftsteil gar nicht heimlich die Hände, denn – um in den Worten von Schönberger zu sprechen:

Bei nüchterner Betrachtung wird man sich auch kaum der Erkenntnis verschließen können, dass die existierende Situation föderativer Hegemonie, wenn sie denn klug gehandhabt wird, dem größten Mitgliedstaat ein Maß an Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet wie kein anderes vorstellbares Institutionendesign.”

Was bleibt? Ein irrelevanter Bug in Betriebssystem? Ein trotz des aktuell guten Standings schon vor einiger Zeit vermutetes [3]Indiz für ein zunehmendes Mißtrauen in die die aktuell regierenden politischen Regierungsklasse von seiten ihrer Herren, von deren Reichtum, Macht und Reichweite das rotzige Agieren der “Diekmann” und “Bild” (“Ihr Erinnerungsvermögen hat ne Macke? Hier der Originaltext!”) dieser Tage eine so massive Ahnung von Klassenarroganz vermittelt, wie man sie aus dem Milieu der Elitenstreitigkeiten seit der Zeit der Abservierung von Ludwig Erhard nicht mehr öffentlich zur Kenntnis nehmen konnte? Was könnten die Gründe dafür sein? Vielleicht sehen diese Herren ein Personal vor sich, das angesichts des Wirtschaftskladderdadatschs, der da von einem Tag auf den anderen kommen könnte oder auch den wirklichen globalen Machtanforderungen, mit denen ein deutsch sprechendes Europa global zu Rande kommen müsste, ein paar Qualitäten abgehen.

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