- Mehring1 - https://ifg.rosalux.de -

“Wirtschaftspolitische Herausforderung 2012”

[1]Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung IMK startete mit einem Report [2] in das neue Jahr. „Den Bann durchbrechen. Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2012“, heißt es vielversprechend. Gustav Horn, Alexander Herzog-Stein, Silke Tober und Achim Truger ist für ihre Darlegungen sehr zu danken. Dass der Dank mit Kritik und Widerspruch verbunden ist, spricht für Streitbares.

Das beginnt mit dem ersten Satz: „Die größte Herausforderung für die Wirtschaftspolitik 2012 ist die Stabilisierung des Euroraums.“ (S. 1)

Zweifellos ist die Stabilisierung des Euroraums von hochgradiger Relevanz. Das gilt erst recht, wird demokratische sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung angestrebt. Wird diese gewollt, darf nicht einfach der IMK-These zugestimmt werden. Aber der zweite Satz im Report 70 legt noch nach: „Hinter dieser Aufgabe treten alle anderen zurück.“ (S. 2)

Ergo: Die Bekämpfung der sozialen und ökologischen Zerstörung soll hinter der Stabilisierung des Euroraums zurücktreten. Das kann aber  nicht hingenommen werden. „Die größte Herausforderung für die Wirtschaftspolitik 2012“ muss darin bestehen, mit dem Ringen um Stabilisierung des Euroraums zugleich soziale und ökologische Zerstörung zu bekämpfen, vor allem die Situation der sozial Schwächsten zu verbessern und die klimaschädlichen-Emissionen zu reduzieren.

Die Auseinandersetzung beginnt bzw. zwingt also erneut dazu, das Verständnis von Wirtschaftspolitik zu klären.

Zweifellos ist die Krise des Euroraumes und insgesamt der EU insbesondere eine politische Krise, denn führende Akteure auf den Finanzmärkten können relevant über den gesellschaftlichen Alltag bestimmen. Sie kann darf aber nicht – wie im IMK-Papier geschehen – vorrangig auf eine „Vertrauenskrise“ in „der Wirtschaft“, insbesondere im Bankensektor zurückgeführt werden. Vielmehr hat die politische Krise damit zu tun, dass die Bürgerinnen und Bürger, vielfältige gesellschaftliche Akteure ihren Alltag und ihre Zukunft nicht planen, gesellschaftliche Entwicklung nicht bzw. nur kaum beeinflussen können.

Der Dissens zeigt sich folgerichtig in den weiteren IMK-Ausführungen. Da ist die wichtige Passage: „Kurzfristig können nur noch unkonventionelle monetäre Maßnahmen helfen. Sie allein sichern die monetäre Stabilität. Langfristig muss entweder ein Aufbau einer Transferunion mit automatischen Transfermechanismen beschlossen werden oder aber es müssen verbindliche Regeln gelten, die künftig Leistungsbilanzkrisen verhindern. …
Im Folgenden soll vor allem die zweite Alternative analysiert und entwickelt werden.“ (S. 2)

„Unkonventionelle monetäre Maßnahmen“ sind dringlich. Prioritär werden Hilfen für die sozial Schwächsten und Maßnahmen zur Reduktion von klimaschädlichen-Emissionen unverzichtbar gebraucht.
Schon deshalb und mit dem Blick auf notwendige sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung sollte der „Aufbau einer Transferunion“ nicht einfach abgelehnt werden. Die europäische Integration ist eine Bedingung für sozialökologische Transformation, die auchAufbau einer spezifischen Transferunion sein muss.

Es zeigt sich also ebenfalls erneut, dass die Linken zur europäischen Integration und damit zur Finalität der EU-Entwicklung diskutieren müssen. Das verlangt Vertrauen untereinander und gehört zum Werben um Vertrauen gegenüber der Öffentlichkeit.

Wessen Vertrauen soll mit der Ablehnung einer Transferunion gewonnen werden?
Offenbar, laut IMK, zunächst das Vertrauen der Banken, die unter der „Vertrauenskrise am Markt für Staatsanleihen“ leiden (S. 3).

Die Problematik der Staatsanleihen ist aber weitgehend die Folge der Bankenkrise bzw. der 2007 offen ausgebrochenen globalen Finanzkrise. Also sollte der Bankensektor bzw. der Finanzsektor in der EU Zwangsanleihen leisten. Wenn man jedoch meint, dass politisch nicht realisieren zu können, muss man das sagen. Auch das hat mit Vertrauen zu tun.

Richtig ist die Aussage: „Vertrauen wird erst dann an den Märkten zurückkehren, wenn die politisch Verantwortlichen und die EZB zeigen, dass sie das Vertrauen haben, dass alle Euroländer ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen.
Um dies zu zeigen, müssen die Euroländer in irgendeiner Form eine Garantie für die ausstehenden Staatsanleihen geben, beispielsweise indem sie, wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen, einen Schuldentilgungsfonds ins Leben rufen …“ (S. 5).

Allerdings muss diese Aussage in einen Kontext gestellt werden, denn es geht ja insbesondere um das bereits thematisierte Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, um die demokratische und solidarische Lösung sozialer, ökologischer und globaler Probleme.

Ebenso verhält es sich mit der Feststellung, die EZB messe „mit zweierlei Maß“, weil sie mit Vertrauensverlust konfrontierten Banken unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stelle, aber nur „halbherzig“ zugunsten der Anleihen mit Vertrauensverlust konfrontierter Staaten agiere (S. 5).
Das Mandat der EZB, die Denk- und Verhaltensweisen der dort Handelnden gehen auf politische Kräfteverhältnisse und eine „Philosophie“ zurück. Dieser Philosophie folgt das IMK zumindest in der Trennung – nicht Unterscheidung – der Ökonomie von den anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (S. 5). Weil es die „WWU-Philosophie“ wesentlich ablehnt, dem „Ganzen“ und dem Sozialen einen höheren Stellenwert einräumt, gibt es viele Schnittpunkte mit anderen Linken in Analysen, Einschätzungen und Vorschlägen, so in der Ablehnung von wirtschaftlicher Konkurrenz von Staaten (S. 12). Allerdings wird hier dieses „Ganze“ und das Soziale anders und in anderen Kontexten gesehen, denn das IMK will bei fortschreitender Globalisierung „Konkurrenz von Unternehmen“ (S. 12).

Das auf die nationale Ebene fokussierte Denken, das die Transferunion ablehnt, begründet auch die Vorschläge zum Europäischen Währungsfonds. Dies wird hier anders gesehen. Bei Zustimmung zur Regulierung der Finanzmärkte und eines möglichen Schuldentilgungsfonds (S. 12-13) kann man sich treffen, auch wenn sie in unterschiedliche Konzepte eingeordnet werden.

Aber warum nicht Gemeinsames gemeinsam zur Wirkung bringen und im Streit Gemeinsames mehren?

  • [3]
  • [5]
  • [6]
  • [7]
  • [8]
  • [10]