- Mehring1 - https://ifg.rosalux.de -

“Linke Wirtschaftskompetenz”(?)

[1]„Was ist linke Wirtschaftskompetenz und wie kompetent sind wir?“ – war das Motto eines Workshops vom Sonnabend. Lutz Brangsch (IfG), Jana Flemming (Ökologiebewegte), Helmut Holter (MdL, wirtschaftspolitischer Sprecher und Fraktionsvorsitzender), Constanze Lindemann (ver.di), Christa Luft (RLS), Frank Thiel (MdL, wirtschaftspolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender), Laura Valentukeviciute (Attac, GiB), Elisabeth Voss (Aktivistin der solidarischen Ökonomie), Harald Wolf (MdA, wirtschaftspolitischer Sprecher und Ex-Wirtschaftssenator) referierten, kommentierten und diskutierten mit  interessierten Linken. Dem Workshop waren eine  langjährige Diskussion und eine monatelange Vorbereitung vorangegangen.

So konnte der Diskussionsstand vor dem Workshop wie folgt erklärt werden: „Linke Wirtschaftskompetenz“ bedeutet, dass die Linken fähig sind, gesellschaftliche, ökologische und globale Probleme auf gesellschaftliche Strukturen, wirtschaftliche Ursachen, Zusammenhänge,  und Interessen zurückzuführen und zu erklären; dass sie gezielt Wege für Problemlösungen suchen und gesellschaftspolitische Alternativen entwickeln; in ihrer Auseinandersetzung mit Problemen und Akteuren das Wirtschaften und die Gesellschaft verändern, Alternativen verwirklichen – erfolgreich eigene Handlungsmöglichkeiten erschließen, ausschöpfen und erweitern; dabei ihre Fähigkeiten und Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Qualifikationen einsetzen und mehren.

Als Merkmale „linker Wirtschaftskompetenz“  wurden herausgearbeitet:

a) soziale, ökologische und globale Probleme als Folgen konkreten Wirtschaftens, der Verhältnisse zwischen den Menschen im gesellschaftlichen Arbeitsprozess erklären;

b) fundierte wirtschafts- und gesellschaftspolitische Forderungen und Positionen formulieren;

c) schlüssige konkrete Problemlösungen – möglichst in politischen bzw. sozialen Bündnissen – entwickeln und realisieren und so beweisen, dass es schon heute anders geht; dass es bereits jetzt möglich ist, soziales und ökologisches Wirtschaften zu unterstützen;

d) wirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Konzepte für gesellschaftliche Alternativen entwickeln;

e) eine nachvollziehbare, stimmige – wissens- und kooperationsgestützte – parlamentarische und Verwaltungsarbeit realisieren;

f) als Streiter/innen für Gerechtigkeit, für eine Gesellschaft ohne kapitalistische Produktionsweise erfahrbar sein, in der vielfältigen Öffentlichkeit Überzeugend Probleme erklären, Positionen, Forderungen und Problemlösungen kommunizieren.

Um mit der Workshop-Vorbereitung „in Sachen Wirtschaftskompetenz“ weiterzukommen, wurden Facharbeitsgemeinschaften der Partei, parlamentarische wirtschaftspolitische Sprecher/innen, Abgeordnete im Europäischen Parlament sowie des Deutschen Bundestages um kurze Antworten auf drei Fragen gebeten: Was ist „linke Wirtschaftskompetenz“; was sind ausgehend vom eigenen Arbeitsgebiet Kriterien für „linke Wirtschaftskompetenz“; welche Fragen wären zu klären bzw. welche kurz- und mittelfristigen Schritte wären zu gehen, um „kompetent in Wirtschaftsangelegenheiten“ zu werden?

Mit den Schreiben wurden die Adressaten zugleich gebeten, ein Positivbeispiel für „Kompetenz“ aus der eigenen Arbeit und ein „Negativbeispiel für Inkompetenz“ von Linken zu nennen.

Angefragt wurden: 11 Facharbeitsgemeinschaften der Partei, zwei antworteten; 5 MdEP, zwei antworteten; 23 MdB, sieben antworteten;  28 Landespolitiker/innen, fünf antworteten.

Die Auswertung der Antworten hat Streitpunkte, weitere Fragestellungen und – vor allem dank Gabi Zimmer und Helmut Holter – weitergehende inhaltliche Anregungen, Überlegungen und Vorschläge erbracht.

Da ist zunächst die a) Aussage, die Fragestellung des Workshops „Was ist linke Wirtschaftskompetenz und wie kompetent sind wir?“ mache keinen Sinn.

Allerdings wäre dem zu entgegnen: Wir werten das Verständnis von Wirtschaftskompetenz als einen Indikator für neoliberale Hegemonie, gegen die wir kämpfen. Wir wollen klarstellen, dass wir im neoliberalen Sinne gar nicht wirtschaftskompetent sein wollen. Andererseits aber wollen wir darum ringen, dass die Menschen „Wirtschaftskompetenz“ anders verstehen –  nicht im Sinne von Wachstum, Exportkraft, Konkurrenzfähigkeit, Profite steigern, sondern im Sinne von Wirtschaftskompetenz der Linken, die soziale und ökologische Zerstörung nachhaltig bekämpfen, demokratisch gerechte und solidarische Problemlösungen erwirken (wollen).

b) sind wir mit der Aussage konfrontiert, dass das Verständnis von „linker Wirtschaftskompetenz“ eine Angelegenheit der parlamentarischen Sprecher/innen für Wirtschaftspolitik sei.

Die werden allerdings kaum allein soziale und ökologische Zerstörung bekämpfen können. Schon gar nicht werden sie allein die Produktions- und Lebensweisen so umbauen können, dass  die Gesellschaft in die Biosphäre eingebettet, ihre Mitglieder frei, einander gleich und untereinander solidarisch werden.

Die Analyse der Zuschriften zeigt c), dass „linke Wirtschaftskompetenz“  vorrangig ideologisch gesehen wird. So bleiben zumindest zwei Fragen unbeantwortet: Erschließen und nutzen die Linken  ihre Handlungsmöglichkeiten, um Probleme zu mildern und zu lösen – insbesondere für und mit jenen, die zuerst Hilfe brauchen? Können einzig mit kapitalismuskritischen Grundsatzerklärungen und Diskussionen, Menschen ermutigt werden, individuell und gemeinsam ihre Handlungsmöglichkeiten für solidarische Problemlösungen zu nutzen und zu erweitern?

In den Zuschriften finden sich d) Formulierungen, die beim Umgang mit den Begriffen „Gesellschaft“, „Politik“ und „Wirtschaft“ großen Klärungsbedarf offenbaren.

e) Die Frage nach den vom eigenen Arbeitsgebiet abgeleiteten Kriterien für „linke Wirtschaftspolitik“ wurde in den Zuschriften oftmals umgangen bzw. sehr allgemein beantwortet. Es zeigen sich zweimal zwei Extreme: entweder mehr oder weniger unkonkreter Antikapitalismus oder ein bundestagsfixiertes Denken; entweder verbale Fundamentalopposition oder ein mit-dem-linken-MainstreamRand-gehen, also bei der Orientierung an sozialer Gerechtigkeit ökologische und globale Probleme, Gesellschafts-, Produktions- und Eigentumsverhältnisse marginalisieren bzw. ignorieren.

Gabi Zimmer und Helmut Holter reflektierten ihre Handlungsmöglichkeiten und suchen nach Wegen, um jene Akteure, die heute wirtschaftspolitisch und wirtschaftlich führend sind, zu anderem Verhalten zu drängen und zu bekämpfen. Sie spüren Möglichkeiten auf, um andere Akteure in der Gesellschaft zu stärken, ihren Einfluss auf das Wirtschaftsleben der Gesellschaft zu erhöhen. Für beide ist ein Kriterium für Wirtschaftskompetenz: konkrete wirtschaftspolitische Handlungsmöglichkeiten benennen, nutzen und erweitern – damit sich die Gesellschaft mit ihrer Wirtschaftssphäre anders entwickelt.

Gabi Zimmer demonstriert das konkret an Hand ihrer Arbeit im Entwicklungsausschuss und im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten: Wirtschaftskompetenz wird gebraucht, um Interessenkonstellationen und Probleme zu erkennen; um mögliche Lösungsschritte aufzeigen und so befördern zu können, dass die Lebensbedingungen der Schwächsten strukturell verbessert und mit ihnen Solidarität gestiftet wird.

Helmut Holter nennt als prinzipielles Kriterium für „linke Wirtschaftskompetenz“: Rahmenbedingungen gestalten, unter denen es möglich ist, die strukturpolitischen und regionalen Entwicklungsstrategien mit dem sozial-ökologischen Umbau zu verbinden.“ Das erklärt er als einen komplexen Prozess, der damit beginnt, „Mut auf Eigenes und Neues machen“. Weitergehend formuliert er:

Linke Wirtschaftspolitik entwickelt ein neues Beteiligungsinteresse der Menschen. Sie motiviert Bürgerinnen und Bürger vor Ort in den Regionen und unterstützt deren Ideen und Projekte. Dazu müssen die politische Öffentlichkeit, die gesellschaftliche Demokratie und die zivile Gesellschaft gestärkt werden. Um die regionalen Potenziale für mehr Beschäftigung und ökologische Effizienz besser nutzen zu können, muss die regionale Handlungsfähigkeit (wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, Produktions- und Vertriebsgenossenschaften, Mitarbeiter/innenbeteiligung, Existenzgründungen u.v.m.) gestärkt werden. Das kann z.B. über Regionalfonds und mehr Mitbestimmung in den Regionen erfolgen. Für die Koordinierung und die Moderation zwischen den Akteuren und mit der Bevölkerung sowie das Binnen- und Außenmarketing einer Region ist ein regionales Management unabdingbar.“

f) Gabi Zimmer sieht in ihrem im Europäischen Parlament angenommenen Bericht zur Ernährungssicherheit ein Beispiel für linke Wirtschaftskompetenz in der eigenen Arbeit. Sie sagt:

Wirtschaftskompetenz war nötig, um die exzessive Spekulation mit Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen und gegen den massiven Landraub von Großkonzernen in Entwicklungsländern zu erklären und wirksame Instrumente dagegen zu nennen bzw. zu fordern; … um zu sagen, was effektive Unterstützung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in Entwicklungsländern und eine effektive Beschränkung spekulativer Investitionen in Agrarrohstoffe bedeuten … um konkret zu fordern, wie die Ziele der Entwicklungspolitik durch die EU-Handels-, Agrar- oder Energiepolitik auch ermöglicht statt ad absurdum geführt werden“.

Helmut Holter nennt die Denkwerkstatt Mecklenburg-Vorpommern 2020 und das „Leitbild MV 2020+Ideen für unser Land“ Positivbeispiele, weil es um „regionale Entwicklungsstrategien“ geht, die „einen ganzheitlichen sozial-ökologischen Politikansatz vertreten und unter Beweis stellen, das ein anderes Wirtschaften nötig und möglich ist.“

Andere steuern ebenfalls Beispiele für linke Wirtschaftskompetenz bei: wie „Leitlinien für LINKE Verbraucherpolitik“, in Auftrag gegebene Studien, ein Vorschlag des 1. Bevollmächtigten der IG Metall in Esslingen, Anträge zu Landesvergabegesetzen, Konversionskonzepte, Positionen der Bundestagsfraktion zur Steuer- und Finanzpolitik sowie zur Eurokrise. Sie sagen aber leider nicht, für welche Herausforderungen oder Problemlösungen diese Positivbeispiele stehen.

Sie formulieren als nunmehr zu klärende Fragen g) Verbraucherpolitik ernster nehmen, Beschäftigungs- und Investitionsprogramme erarbeiten, allgemeinverständliche Argumente zu den Finanz- und Eurokrisen erarbeiten, den öffentlichen Sektor ausdehnen, privatisierte Leistungen re-kommunalisieren, eine ganzheitliche Herangehensweise entwickeln, Vorschläge für eine gerechte Steuerreform erarbeiten, die kapitalistische Gesellschaft entlarven, Kampagnen entwickeln.

Gabi Zimmer und Helmut Holter sehen in konkreter Demokratisierung politischer Entscheidungsprozesse und des Öffentlichen – insbesondere der öffentlichen Finanzen –  einen Hauptweg gesellschaftlicher Veränderung, der linke Wirtschaftskompetenz voraussetzt. Weitere und damit verbundene Hauptwege sind die alternative Regionalentwicklung und die Entwicklung/Durchsetzung sozialer, ökologischer und demokratischer Mindeststandards.

Die Input-Beiträge von Helmut Holter und Harald Wolf vom Sonnabend bestätigten nicht nur den erarbeiteten Diskussionsstand. Wolf bezeichnete das hegemoniale Kompetenzverständnis als “unternehmensnah”. Beide Redner beförderten die Verallgemeinerung der vorgestellten Einsichten von  Zimmer und Holter. Darüberhinausgehend  erklärten sie die Aneignung von Wirtschaftskompetenz als sozialen Prozess, der „unten“ bei den Adressaten linker Aufklärung beginnt. Dieser speise aus der Reflexion von Erfahrungen und dem Erwerb von Kenntnissen. Linke Wirtschaftspolitiker/innen müssten um die Demokratisierung von Wirtschaftspolitik ringen. Sie müssten daran interessiert sein, dass so viele Bürgerinnen und Bürger wie nur möglich zu Akteuren linker Wirtschaftspolitik würden. Dabei komme partizipativen Prozessen und der Rekommunalisierung, insbesondere in der Energiewirtschaft, ein besonderer Stellenwert zu. Es gehe um die Organisation von Gegenmacht und der Bedingungen für sozialökologischen Umbau – für eine Energiewende, hin zu vorrangig dezentral erzeugten erneuerbaren Energien.

In der Diskussion, die dank Christa Luft zunehmend zwischen Analyse- und Problemlösungskompetenz unterschied, wurden immer wieder Verhaltensweisen thematisiert: Zum einen Verhaltensweisen linker Politiker/innen, die die Glaubwürdigkeit der Linken und der Partei DIE LINKE. mehren oder schmälern, zum anderen Verhaltensweisen der Adressaten linker Aufklärung. In diesem Kontext wurde der Problemkreis Eigentum – Aneignung – Verhaltensweisen “als weiter zu bearbeiten” herausgestellt. Dieser Problemkreis wurde auch und insbesondere durch Constanze Lindemann, die auf die Eigentumsfrage fokussierte, durch Laura Valentukeviciute, die die Auseinandersetzung mit Privatisierung und PPP als Prüfstein für linke Wirtschaftskompetenz und Glaubwürdigkeit sieht, und durch Elisabeth Voss thematisiert. Elisabeth Voss forderte dazu auf, gesellschaftliche Strukturen daraufhin zu analysieren und zu diskutieren, inwiefern sie solidarische Kooperation und vernünftige Verhaltensweisen fördern, behindern oder verstellen.

Die Auswertung des Workshops wird noch viel Kraft und Zeit erfordern … Schließlich soll er nicht folgenlos bleiben.

  • [2]
  • [4]
  • [5]
  • [6]
  • [7]
  • [9]
1 Kommentar (Öffnen | Schließen)

1 Kommentar Empfänger "“Linke Wirtschaftskompetenz”(?)"

#1 Kommentar von Judith Dellheim am Dezember 4, 2011 00000012 10:10 pm 132303662310So, 04 Dez 2011 22:10:23 +0000

Das Foto erinnert an ein Demo-Plakat aus dem Jahre 1990. Da hieß es “Mehr Kompetenz ins Parlament – Pitti-Platsch wird Präsident”.