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„Alternativen sind möglich“

Französische Streitschrift „Empörter Ökonomen“ – auf deutsch

Intellektuelle aus Frankreich erweisen sich abermals als Ideengeber für die langsam in Gang kommende anti-neoliberale globale Bewegung. Sie haben erkannt: Wirklich massenhaft gelesen werden heute gut geschriebene Aufklärungsschriften der kleinen Form. Nach dem anarchistischen Manifest „Der kommende Aufstand“ und dem Aufruf von Stéphane Hessel „Empört Euch“ sind es die „économistes atterrés “ (eigentlich: die „bestürzten“ Ökonomen), die mit ihrem komprimierten  „Manifest“ offenbar den „neoliberalen Zeitgeist“ das Fürchten lehren. Verfasst von vier Wirtschaftswissenschaftlern, unterschrieben seit seinem Erscheinen vor knapp einem Jahr in Frankreich von mehr als 700 Ökonomen und 100.000 Bürgerinnen und Bürgern ist es bisher in Deutschland nur von einigen Zeitungen  (Freitag [1], ND [2], FTD [3]) und von telepolis [4] zur Kenntnis genommen worden. Ursache dafür war sicherlich auch die Sprachbarriere.

Mit der Veröffentlichung des Manifestes im auf kritische und aufmüpfige  Unterrichts­materialien im Lernbereich Gesellschaftslehre/Politik  spezialisierten pad-Verlag in Bergkamen  liegt es nunmehr in deutscher Fassung vor.

Heinz-J. Bontrup, der sich als Sprecher der sog. Memorandumgruppe wohltuend von den Wirtschaftstheologen an den bundesdeutschen Hochschulen absetzt,  analysiert in einem einleitenden Beitrag („Zur neoliberalen Mainstream-Ökonomie und ihr klägliches Versagen vor und in der Finanz- und Wirtschaftskrise“) die dogmengeschichtliche Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften und zeigt auf, wie sie zur jüngsten  Finanz- und Wirtschaftskrise beigetragen haben.

Trotz aller „offensichtlichen Fehler“, so die Autoren des Manifestes einleitend, ist das „neoliberale Paradigma“  immer noch „das einzig als gerechtfertigt anerkannte.“ Überall habe sich eine „Diktatur des Marktes“ etabliert. Die Autoren des Manifestes widerlegen im Folgenden zehn „Fehlbehauptungen“ der Neoliberalen. Sie unterbreiten jeweils alternative Vorschläge zur Wirtschaftspolitik (insgesamt 22). Derartige „Fehlbehauptungen“ – man könnte sie mit Albrecht Müller auch „Reformlügen“ nennen – sind z. B.: Finanzmärkte sind effizient“, „Anstieg der Staatsverschuldung rührt von übermäßigen Ausgaben her“ und „Der Euro  ist ein Schutzschild gegen die Krise“. Demgegenüber stellen sie klar: „Die öffentliche Verschuldung ist ein Wohlstandstransfer, jedoch hauptsächlich vom gemeinen Steuerzahler hin zu den Kapitaleignern“.  Sie verlangen unter anderem die „Beschränkung der Finanztransaktionen auf diejenigen, welche den Bedürfnissen der Realwirtschaft dienen“ (Maßnahme 1), „Stärkung der Gegengewichte innerhalb der Unternehmen“ (Maßnahme 5) und „Abschaffung von Steuervergünstigungen für Unternehmen, die keine ausreichende Wirkung auf die Beschäftigten haben“ (Maßnahme 13). Eine interessante Anregung für eine  Initiative der Bundestagsfraktion Die Linke ist „die öffentliche Prüfung der Staatsverschuldung, um ihre Ursachen zu bestimmen“ (Maßnahme 9).

Das Manifest ist eine wichtige Aufklärungsschrift gegen die Ideologen und gegen die Politik der entfesselten Marktwirtschaft. Zu empfehlen ist sie gerade auch den Anhängern der Occupy-Bewegung. Angesichts der „zerstörerischen Folgen der gegenwärtigen Politik“ erwarten die Autoren zu Recht, dass der „Diskurs um Alternativen“ zunehmen wird. Dabei bleibt leider in ihrer Betrachtung die machtpolitische Seite weitgehend außerhalb des Blickfeldes.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen verstehen die französischen Ökonomen als Mittel, den „Finanzkapitalismus“ wieder zu bändigen, „die Schlinge der Finanzindustrie um den Hals der Politik“ zu lockern. Wieso aber behauptet sich dieser „Finanzkapitalismus“ ungebrochen weiter, obwohl seine „Fehlbehauptungen“ eigentlich eindeutig widerlegbar sind? Können die Regierenden diese Krise überhaupt in den Griff  bekommen?  Beim „Diskurs um Alternativen“ muss auch darum gesprochen werden, dass ohne eine einflussreiche organisierte gesellschaftliche Gegenmacht gegen die Regierenden all diese richtigen Alternativen bloß interessante Ideen bleiben werden.

Empörte Ökonomen, Eine Streitschrift von Philippe Azkenazy. André Orléan, Henri Sterdyniak und Thomas Coutro, Mit einem einleitenden Beitrag von Heinz-J. Bontrup, 64 Seiten, 5 Euro, Bezugsadresse: pad-Verlag, Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen; e-Mail: pad-Verlag@gmx.net [5]

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