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Nachgereichte Rezension

Die Rezension fiel einem Nachruf zum Opfer …

Frank Adler, Ulrich Schachtschneider, Green New Deal, Suffizienz oder Ökosozialismus, Konzepte für gesellschaftliche Wege aus der Ökokrise, 978-3-86581-213-1, 2010 oekom, München, 318 Seiten, 24,90 Euro.

Die Namen der Autoren versprechen eine gewinnende Lektüre: Dr. Frank Adler, Verfasser sehr lesenswerter Beiträge zur Industriesoziologie in der DDR, zum sozialen Wandel und zu sozialer Ungleichheit in Ostdeutschland und Ulrich Schachtschneider, der mit mehreren Publikationen zur Nachhaltigkeitsproblematik Aufmerksamkeit erregte.

Das Buch wird den hohen Erwartungen voll gerecht: es ist eine außergewöhnliche Arbeit – vom Anliegen und den Zielen, vom Herangehen, von den Darlegungen, der Sorgfalt und der Qualität her.

„Das angestrebte Ergebnis … war von Beginn an eine Publikation, die einen Überblick vermitteln soll zu theoretisch-konzeptionellen Ansätzen, Positionen und Kontroversen im Diskursfeld ‚ökologische Krise und gesellschaftlicher Wandel‘.“  Sie sollte nicht nur „an wissenschaftliche Experten adressiert sein, sondern einem breiteren Leserkreis als eine Orientierungshilfe oder Einführung in den facettenreichen, schwer überschaubaren Diskurs dienen …

Wir denken dabei an Menschen, die in diversen sozial-ökologischen, politischen Kontexten aktiv sind, in entsprechende Debatten verstrickt oder an ihnen intellektuell interessiert sind und die gern Argumentationslinien, Denkrichtungen im sozial-ökologischen Diskurs genauer kennen lernen möchten … Im Blick haben wir dabei Interessierte aus der praktischen Nachhaltigkeitspolitik (z. B. Agenda 21), aus den sozialen Bewegungen, aus der umweltpolitischen Praxis und der politischen Bildung, aber ebenso aus politischen Parteien oder aus der Nachhaltigkeitsforschung, nicht zuletzt auch Studierende sozialwissenschaftlicher oder nachhaltigkeitsrelevanter‘ Fächer.“

Die Autoren bemühen sich daher um „Verständlichkeit“, wollen anderen eine „Einführung, Übersicht und Orientierungshilfe“  zu den verschiedenen Diskursen über gesellschaftliche Wege aus der Ökokrise geben (S. 13-14).

Adler/Schachtschneider haben nicht „nur“ eine gut systematisierte Sammlung verschiedener Konzepte mit Glossar vorgelegt, sondern ein Diskussionsangebot an all jene, die Bündnisse von demokratischen Akteuren organisieren wollen, um die Ökokrise zu überwinden und zugleich die Gesellschaft zunehmend sozialer, demokratischer und gerechter zu machen. Das ist den Autoren insbesondere dank ihrer qualifizierten Methode und umfangreichen soliden Arbeit, aber auch dank ihrer Bescheidenheit gelungen: Sie sehen sich als „Kartographen und nicht Richter“und resümieren zu Recht: „Das weicht von den üblichen Herangehensweisen ab, mag sogar ein gewisses Alleinstellungsmerkmal sein, neben der Tatsache, dass hier wahrscheinlich erstmalig sehr kontroverse, ja auch konträre Konzepte in einem Buch versammelt sind.“ (S. 14)

Die Autoren „wollten herausfinden, welche Antworten auf drei Fragen entwickelt und diskutiert werden: Was sind die gesellschaftlichen Ursachen für die ökologische Krise? Was sollte sich in unseren westlichen kapitalistisch-modernen Gesellschaften verändern, um die (sozial-)ökologische Krise zu bearbeiten und zu bewältigen? Wie und durch welche Akteure sollte dieser Wandel eingeleitet und bewerkstelligt werden?“ (S. 12)

Ausgehend von diesen Fragen und den drei folgenden selbstgestellten „Kriterien“ haben sie „einschlägige theoretische Konzeptionen und Denkrichtungen“ gesichtet und untersucht: Die ausgewählte Literatur soll „das Spektrum der typischen Auffassungen zu unserer zentralen Frage abbilden: Welche gesellschaftlichen Veränderungen sind nötig, um die ökologische Frage zu bewältigen? Wie radikal müssen sie sein?“ Die Konzeptionen sollten in den letzten 10-15 Jahren „seit dem Höhepunkt der Nachhaltigkeitsdebatte“ entstanden bzw. diskutiert worden sein und einem „wissenschaftlichen Anspruch“ folgen. Politische Programme und Projekte bleiben ausgeschlossen. Die analysierte Literatur beschränkt sich „weitestgehend auf die deutschsprachige“ (S. 12-13).

So verständlich diese Auswahl unter pragmatischem bzw. Machbarkeits-Gesichtspunkt auch ist, so ist sie dennoch problematisch. Das Wissen darum erklärt punktuelle „Grenzüberschreitungen“ der Autoren selbst. Hinzu kommt, dass auch in Deutschland wissenschaftliche Diskussionen ohne politische Auseinandersetzungen und internationale Debatten nur begrenzt erklärbar sind. Vielfach haben sie mit den durch Adler und Schachtschneider thematisierten Großprojekten (z. B. CSS und Desertec) zu tun. Die deutsche Ökosozialismus-Debatte unterscheidet sich gravierend von der globalen, was insbesondere das Manifest von Belém belegt.

Die Selbstbeschränkung der Autoren erklärt auch die teilweise recht abstrakten Aussagen in den letzten Buchabschnitten.

Andererseits birgt das Abstrakte zugleich Vorzüge in sich, denn mehr Konkretheit und politische Bezüge würden den Kreis der Adressaten, der bisherigen und der potenziellen Gesprächspartner/innen einengen.

Das Buch ist aus einem arbeitsintensiven Vorgehen hervorgegangen: Die mehrstufige Auswertung der Literatur mündete in elf gruppierte Konzepte. Der Gruppierung folgte die Konstruktion der „konzeptspezifischen Argumentationslinien“. Die so entstandenen elf Textentwürfe offenbarten Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die nach dem „zentralen Kriterium ‚Radikalität der vorgeschlagenen Gesellschaftsveränderung‘“ wiederum in drei Gruppen zusammengefasst wurden: „Fundamentale Systemwechsel, Modernisierung im System, Phasenwesel mit offenem Ausgang“. Die Textentwürfe wurden  mit 17 Verfasser/innen von die Konzepte und Denkschulen prägenden Beiträgen diskutiert. Anschließend wurden sie aktualisiert und überarbeitet. Diese „Porträts“ (S. 15) bilden den Hauptteil des Buches. Interviewt wurden: Ulrich Beck, Veronika Bennholdt-Thomsen, Adelheid Biesecker, Ulrich Brand, Marko Ferst, Christoph Görg, Sabine Hofmeister, Joseph Huber, Martin Jänicke, Bruno Kern, Robert Kurz, Rainer Land, Peter Ortlieb, Niko Paech, Roswitha Scholz, Christoph Spehr, Frieder Otto Wolf.

Adler und Schachtschneider haben also ihren Gesprächspartner/innen hohen Respekt entgegengebracht, sie ernst genommen, was diese offenbar auch zu schätzen wissen. Damit haben beide Autoren die Chance eröffnet bzw. gemehrt, dass ihr Diskussionsangebot auch den Austausch zwischen seinen Leser/innen und den Interviewten befördert.

Das „Fazit“ des Buches gibt zunächst „einen zusammenfassenden Überblick“ über die Differenzen zwischen den „drei Konzepttypen“ bezüglich ihrer Antworten auf die drei eingangs gestellten Fragen: zu im Kapitalismus möglichen oder unmöglichen Lösungen der ökologischen Frage, zu Wachstum als Mittel zur Problemlösung oder Problemzuspitzung – allerdings muss der pauschalen Verbindung zwischen „sozial-ökologischem Umbau“ und Bejahung eines BIP-Wachstum (S. 278) widersprochen werden –, zu „pro oder contra grundlegende gesellschaftliche Transformation“, zur Komplexität oder Ökozentriertheit der gesellschaftlichen Alternative, zu Möglichkeit und Notwendigkeit bewusster Gestaltbarkeit (S. 275-282).

Die Autoren machen „ungelöste Grundfragen moderner Gesellschaft“ in den Konzepten aus. „Sie betreffen das Verhältnis von Repräsentation zu Selbstorganisation, von anonymer Steuerung zu bewusster Planung, von Individualisierung und Gemeinschaftsbezug, von Innovation und Bewahrung.“ (S. 18 bzw. 283-291)

Hier zeigt sich wiederum die hohe Abstraktionsstufe, die sich bei dem breiten Adressatenkreises als problematisch erweist. Auch wird die Relevanz der „blinden Flecken“ (S. 288ff) vielfach erst deutlich, werden sie mit Fragen von Alltagsgestaltung bzw. –politik verbunden. Andererseits erleichtert die Abstraktion den von ihren Denkschulen und politischen Positionen her sehr verschiedenen Wissenschaftler/innen die Diskussion miteinander.

Völlig zurecht sagen die Autoren, dass „die Vielfalt der vorgestellten Ansätze, der andeuteten Kontroversen und Debatten“ ein „Indiz“ dafür sei, dass „alle relevanten gesellschaftskritischen Zeit-Deutungen die ökologische Dimension in sich aufgenommen“ haben (S. 295). Sehr begründet sehen sie die vielfältigen Konzepte als ein „Reservoir von Ideen und Gedankenexperimenten über mögliche gesellschaftliche Zukünfte“, als Ausdruck gesellschaftlicher Differenziertheit und der „damit korrespondierenden Perspektiven, … eigenen Mustern und Filtern von Problemwahrnehmung“ (S. 296).

Es ist die Frage der gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse, wie sich soziale Ungleichheit, menschliche Unterdrückung und die Ökokrise entwickeln bzw. wie wirksam und radikal, solidarisch und gerecht sie bekämpft werden können. Für die Formierung der politischen Konstellationen ist die Auseinandersetzung der verschiedenen politischen Akteure über Konzepte gesellschaftlichen Wandels, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, keineswegs irrelevant.

Das Ringen um veränderte gesellschaftspolitische Kräfteverhältnisse, damit die die Menschen befreiende solidarische Einbettung in die Biosphäre möglich wird, ist insbesondere ein politischer Kampf gegen die führenden Akteure in der Energie-, Transport- und Landwirtschaft/im Agrobusiness, im „Sicherheitsbereich“/ Militärisch-Industriellen Komplex. Sie haben wesentlichen Anteil daran, dass die natürlichen Lebensbedingungen der Menschen so dramatisch zerstört und bedroht sind. Die konkrete Gestalt dieser Bereiche geht relevant auf konkrete Technologien und Finanzflüsse zurück – auf Verteilungsverhältnisse, öffentliche Haushalte und Finanzmarkakteure.

Der Alltag der Bürgerinnen und Bürger bietet vielfältige Ansatzpunkte für die Auseinandersetzung mit den Herrschenden im Allgemeinen und den Führenden in den sechs genannten Bereichen im Besonderen. Dafür können insbesondere drei miteinander verbundene bzw. verbindbare politische Handlungsfelder ausgemacht werden: Das Ringen um demokratische, soziale und ökologische Standards, um die Demokratisierung des Öffentlichen, vor allem der öffentlichen Finanzen und um aktive Lokal- und Regionalentwicklung. Hier können sich Menschen Wissen und Fähigkeiten solidarischer Kooperation aneignen, sich aktiv mit den Ursachen und Verursachern sozialer und ökologischer Zerstörung auseinandersetzen, tragfähige politische Bündnisse schaffen – immer auf konkrete politische Projekte und Konzepte gestützt.

Dafür reicht die hohe Abstraktionsstufe im vorliegenden Buch nicht aus, aber es bietet gerade wegen dieser Abstraktionsstufe eine gut nutzbare Hilfe: Es motiviert und erleichtert die Suche nach Austausch und Kooperation, formuliert „niedrigschwellige“ Fragen bzw. Konzeptschnittpunkte, über die die gemeinsame Arbeit an konkreten Konzepten, Projekten und politischen Bündnissen erst möglich werden kann.

Die gezielte Selbstbeschränkung der Autoren sollte als Kooperationsangebot dankbar angenommen werden.

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