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Nach der Rettung: Depression

Jubel auf den Finanzmärkten, sie können weiter machen, wie bisher – vorübergehend. Unter Zwang wurde ein freiwilliger Verzicht der Banken ausgehandelt. Auf keinen Fall durfte ein erzwungener Zahlungsausfall eintreten – allein die fälligen Kreditausfallversicherungen (CDS) für griechische Anleihen hätten die Finanzmärkte in den Abgrund gezogen, von der sogenannten Ansteckung anderer Länder ganz zu schweigen. Erstaunlich, dass schon der Ausfall eines so kleinen Landes über das Derivatekartenhaus das Weltfinanzsystem bedrohen kann. Ist ja nochmal gut gegangen, oder?

Nein, Griechenland wurde nicht gerettet und auch Italien nicht.

Gerettet wurden die Besitzer griechischer Staatsanleihen, die Banken und die neoliberalen Glaubenssätze. Griechenland versinkt derweil in der Depression, daran ändert der Schuldenschnitt – falls er in der angekündigten Höhe erfolgen sollte – nichts… Seit Ausbruch der Krise ist die Wirtschaft um über 13% eingebrochen – unsere Prognose war leider zutreffend. Der Investitionsrückgang nähert sich der 40%-Marke, Löhne, Renten, staatliche Leistungen – alles wurde gekürzt, wie in keinem anderen EU-Land seit 1945. Die Arbeitslosigkeit ist explodiert, jeder zweite unter 35 Jahren hat keinen Job. ‘Erfreulich’ ist, die Lohnstückkosten haben sich drastisch reduziert, denn die Löhne wurden massiv gekürzt, um bis zu 30% (!) v.a. im öffentlichen Dienst oder Staatsbetrieben. Der Inlandskonsum wird sich zwar dauerhaft nicht mehr davon erholen, aber die Exporte werden erleichtert. Nur, was soll Griechenland schon exportieren? Griechenland ist keine Exportnation und wird es so schnell auch nicht werden. Und zu guter Letzt sind trotz der heldenhaften Kürzungsorgien die Schulden weiter gestiegen. Nach dem Schuldenschnitt ist der Druck zwar nicht mehr ganz so hoch, doch die Dynamik bleibt die selbe: niedriger Konsum, niedrige Investitionen, sinkendes Wachstum, fallende Staatseinnahmen, steigende Schulden.

Italien droht ein ähnliches Schicksal: Vor der Krise war das Land eines der wenigen großen Euroländer mit Haushaltsüberschüssen, also keineswegs verlottert, wie es Medien so gern darstellen, eher neoliberaler Musterschüler. Aber seit 1995 verzeichnet das Land ein Miniwachstum von durchschnittlich 0,8%. Nun steckt es in einer Rezession. Die Einkommen sind auf das Niveau des Jahres 2000 gefallen. Eine verlorene Dekade. Nach einem Kürzungspaket von 40 Mrd. € soll jetzt – erzwungen durch die EU bzw. Merkel und Sarkozy – ein weiteres in Höhe von 60 Mrd. folgen. Konsolidierung nennt man das. Tatsächlich droht dadurch eine tiefe Rezession von -4% des BIP und mehr.

Finanzielle Klassenpolitik

Die EU-Politik, in Deutschland getragen von der ganz großen Koalition von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen, folgt einer autoritären Variante des Neoliberalismus. Man kann es nicht anders ausdrücken: harte Klassenpolitik: Für eine Krise, ausgelöst durch Finanzinstitutionen, die dann vom Staat gerettet werden mussten, was zur Explosion der Staatsschulden führte; für eine von Anfang an schiefe Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion, die strukturelle Unterschiede nicht auszugleichen beabsichtigte, sondern im Wettbewerb noch prononcierte, sprich: zu gigantischen Leistungsbilanzungleichgewichten führte, die sich irgendwann gewaltsam ausgleichen mussten – für diese neoliberalen Umverteilungspolitiken müssen Lohnabhängige, Rentnerinnen, Arbeitslose, Kranke leiden.

Währenddessen wird die finanzielle Überakkumulation, die gigantische Aufblähung der Finanzmärkte, nicht nur kaum durch Schuldenschnitt und höhere Eigenkapitalvorschriften für Banken abgebaut. Durch den sogenannten Hebel des EFSF wird das Geschäft mit Staatsanleihen noch weiter aufgeblasen, statt Schulden und Finanzaktiva abzubauen, durch staatliche Abschöpfung (Steuern) und kontrollierte Vernichtung. Ohne Schulden-Audit, einem demokratischen Konsultations- und Entscheidungsprozess über den Umgang mit diesen illegitimen Schulden, keine Politisierung der Finanz- und Schuldenkrise.

Die kommende Krise

Solang können wir mit Spannung spekulieren, wo der nächste Brandherd der Krise ausbrechen wird. Vielleicht in den USA, die mit Abstand die größte Schuldenlast (absolut und relativ) vor sich her schieben. Dort wird die Kommission zur Kürzung der Staatsausgaben bald ihre Ergebnisse vorlegen – und damit erneut den Streit zwischen Republikanern und Demokraten befeuern, Unsicherheit auslösen. Wir wünschen der Occupy-Bewegung viel Durchhaltevermögen. Oder kommt es angesichts der globalen Rezessionstendenzen zu einem Crash auf den Rohstoffmärkten? Stürzen sich alle wieder auf Nahrungsmittelspekulation? Werden die sog. Schwellenländer mit Kapital überschwemmt oder wird es wieder über Nacht abgezogen? Hält das chinesische Bankensystem angesichts hunderttausender Pleitefirmen und massiver Überschuldung von Kommunen und Privaten? Gegen welche Staatsanleihen wird als nächstes spekuliert, jenseits des EFSF – vielleicht Großbritannien? Schuldenstand, Rezession, Überschuldung, Bankenschwäche, Kürzungspakte, vieles spräche dafür. Aber auch eine weitere Episode der Euro-Krise ist mehr als möglich. Ob ein größerer Finanzcrash mittelfristig verhindert werden kann – unwahrscheinlich. Bisher haben sich noch fast alle Befürchtungen zum Verlauf der Krise realisiert.

One Response to “Nach der Rettung: Depression”

  1. Lutz Brangsch sagt:

    Im Handelsblatt-Newsletter von heute:
    “Nach dem EU-Gipfel: Die Geldhäuser wollen den als “freiwillig” deklarierten Schuldenschnitt für Griechenland umsetzen, heißt es in Frankfurt, London, Paris und Rom. Aber werden ihnen die privaten Halter von Schuldentiteln auch folgen? Im Geldressort der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schrieb Patrick Bernau mit einem launigen Zwischenruf vielen Privatanlegern aus der Seele: “Hallo, geht’s noch? Ich soll verzichten? Auf die Hälfte meiner griechischen Staatsanleihen? Und das freiwillig? Das kann Frau Merkel dreimal mit Herrn Ackermann in einer langen Mittwochnacht ausgekaspert haben. Nicht mit mir. Mit mir hat keiner geredet.””

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