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Elinor Ostrom ergänzen

[1]Ein kleines Buch kreist unter Vielen, die sich gegen die Privatisierung öffentlicher Leistungen und Bereiche wehren, Energie- und Wassernetze re-kommunalisieren, sich öffentliche Räume aneignen und Gesellschaft demokratisieren wollen: Elinor Ostroms „Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter“. Das Kreisen war jüngst auf der ENA – der Europäischen Attac-Sommerakademie – erfahrbar und dafür ist insbesondere seiner Herausgeberin Silke Helfrich sehr zu danken. Sie hat trefflich ausgewählt und übersetzt, gekonnt eingeleitet, ein umfangreiches erklärendes Glossar (S. 89-123) verfasst, mit Informationen und Links weitere Lektüre und Diskussion angeregt. Und sie hat den Zusammenhang zwischen Gro Brundtland und Elinor Ostrom deutlich werden lassen: Da sind nicht „nur“ zwei hochengagierte Frauen, die mit ihrer Sachkenntnis und Kultur die patriarchal bestimmte Öffentlichkeit, die offiziellen wissenschaftlichen und politischen Eliten erschreckten und beeindrucken; da sind ein komplexes Verständnis von Nachhaltigkeit und daher die besondere Aufmerksamkeit für die global Armen und die selbstorganisiert solidarisch Handelnden, die verantwortungsvoll mit den natürlichen und produzierten Ressourcensystemen Umgehenden, auf Reproduktion Hinwirkenden.

Silke Helfrich hat mit ihrem Büchlein eine „Handlungsanleitung“ für jene Deutschsprachigen besorgt, die  sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung wollen und daher weder auf „den Markt“ vertrauen noch auf „den Staat“ bzw. auf die bei UN-Prozessen verhandelnden Regierungsvertreter/innen setzen.

Zahlreiche “Klima-Bewegte” bereiteten gerade Aktionen zum UN-Konferenz in Kopenhagen vor, als sie im Herbst 2009 von der Entscheidung hörten, Elinor Ostrom den Wirtschaftsnobel-Preis zu verleihen. Ostrom erklärte damals: „Ein stärkeres Engagement um Wege zu finden, wie die individuellen Emissionen reduziert werden können, ist ein wichtiges Element, um den Klimawandel besser bewältigen zu können.“* Damit hatte sie dazu aufgerufen bzw. ermutigt, das Klima als eigene und zugleich gemeinsame Angelegenheit zu sehen, das insbesondere durch die Energiesysteme bedroht ist. Zugleich begründete sie, dass Menschen sich vom Dilemma stattfindender bzw. drohender Übernutzung von Ressourcen befreien können, wenn sie lernfähig werden bzw bleiben, sich austauschen, untereinander Gemeinsamkeit und Vertrauen und zugleich einen solidarischen Umgang mit Ressourcen entwickeln, andere Technik und Technologien anwenden. Dass Ostrom das nicht einfach so dahin sagte, konnte sie mit ihren zahlreichen Feldstudien belegen: Sie zeigte vielfältige Bespiele auf, da Menschen sich zu einer Kooperation verständigten, die allen die Teilhabe am natürlichen oder geschaffenen Ressourcensystem ermöglicht und zugleich dieses erhält und verbessert. Ostroms Beispiele hatten bzw. haben vielfach mit den Lebensweisen von indigenen Völkern zu tun, mit dem Alltag der von den Klimaverhandlungen Ausgeschlossenen, aber vielfach vom Klimawandel und Biodiversitäts-Verlust zuerst Betroffenen. Die Beispiele demonstrierten Wandelbarkeit im Denken über Ressourcen, in den Prinzipien und Regeln ihrer Bewirtschaftung – „Institutionentransformation“ (Ostrom).

Ostroms Reden versimplizierten keinesfalls. Sie idealisierten auch nicht die Selbstorganisation Betroffener, um lebenswichtige Ressourcen bereitzustellen,  gerechte und effektive Nutzungsregeln für die Allmende-Ressourcen zu vereinbaren, ihre Anwendung und Realisierung zu kontrollieren bzw. ggf. zu erzwingen. Im Gegenteil, sie zeigten Komplexität, Probleme, Gefahren und Zerbrechlichkeit, warnten vor Patentrezepten und einfachen Lösungen für komplizierte Fragen und Prozesse. Und dennoch bzw. gerade deshalb traf Elinor Ostrom – Helfrich nennt sie „die Grande Dame der Gemeingüterforschung“ (S. 19) – den Nerv zahlreicher gesellschaftskritischer Menschen, insbesondere der Klimasensibilisierten und vor allem junger Menschen. Ihre Botschaft war: Selbstorganisation, lokale Kooperation, eigene Verhaltensweisen und Regeln zur Ressourcennutzung in der eigenen Lebenswelt, im eigenen Alltag verändern – dann können größere Einheiten nachhaltig werden und ausbalancierend komplexe Systeme, globale Zusammenhänge im Sinne der Nachhaltigkeit verändern. Selbstorganisation, Komplexes und Kompliziertes bedeuten keineswegs zwangsläufig Chaos.

Das Skizzierte erklärt die Popularität der Nobelpreisträgerin. In der Wissenschaft jubelten die Gegner/innen der Neoklassik mit deren homo oeconomicus, Rationalitätsverständnis und eindimensionalen mathematischen Modellen – die Anhänger/innen der praxisverbundenen Nachhaltigkeitsforschung, der Demokratisierung von Wissenschaft, Forschung und Lehre.

Das kreisende Büchlein spiegelt das Bedürfnis und die Ermutigung zu gesellschaftlicher Aktivität, zu Tatkraft und sozialer Veränderung im Sinne der Brundtland-Berichte wider: „Die Menschheit kann Entwicklung nachhaltig gestalten und damit sicherstellen, dass die Bedürfnisse der heutigen Generationen befriedigt werden, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen aufs Spiel zu setzen, ihre Bedürfnisse ebenfalls zu befrieden.“ (WCED-Bericht, Buch S. 50)

„Die Menschheit“ – nicht Regierungen, denn: “Keine Regierung der Welt kann die ganze Palette an Wissen, Instrumenten und Sozialkapital entwickeln, die nötig ist, um nachhaltige Entwicklungsprozesse zu befördern.“ (S. 30)

„Es sind … die Nutzer selbst, die vor Ort den besten Einblick in die konkreten Bedingungen haben.“ (S. 30-31)

„Eine verbesserte physische Infrastruktur ist wichtig. Noch wichtiger aber ist, über die Handlungsmotivationen und damit über die Anreize für die Projektmitarbeiter und vor allem für die Nutzer nachzudenken. Wir müssen die nächsten Jahrzehnte vor allem Fragen zur Gestaltung von Institutionen widmen … Wer Institutionen für Gemeingüter gestalten will, muss die Nutzerinnen und Nutzer in den gesamten Prozess einbeziehen. Im Wort ‚gestalten‘ drückt sich etwas Wichtiges aus, nämlich dass wir von einer Handwerkskunst reden. Von der Kunst Institutionen zu formen, die zweierlei leisten: einerseits das einzigartige Zusammenspiel von Faktoren zu berücksichtigen, die jedes System prägt, und sich andererseits an die stete Veränderung dieser Faktoren immer wieder anzupassen.“ (S. 33-34)

Das klingt nicht nur demokratisch und die Akteure respektierend, sondern Ostrom ist Demokratin und die Menschen respektierende Wissenschaftlerin. Dennoch übersieht sie die Menschen in ihrer strukturellen sozialen Ungleichheit; in ihren sehr verschiedenen Positionen zueinander, so dass die einen ihre Interessen auf Kosten jener durchsetzen können, die über weniger oder keine Machtressourcen verfügen. Die Hierarchien in der Gesellschaft, die Herrschafts- und Machtverhältnisse sind bei Ostrom wie die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt nicht wirklich ein Thema. Damit sind auch die Produktions- und Konsumtionsstrukturen und die hinter diesen stehenden Akteure mit ihren konkreten Interessen kaum Themen.

Die Nobelpreisträgerin will „einen Beitrag zur Entwicklung einer belastbaren allgemeingültigen Theorie der Selbstorganisation und Selbstverwaltung leisten“ (S. 45) und verzichtet dabei auf die Analyse der Beziehungen zwischen den Menschen, deren Selbstorganisation und Selbstverwaltung sie selbst interessieren. Welche Voraussetzungen hinsichtlich ihres Vermögens und der gesellschaftlichen Bedingungen müssen gegeben sein, damit sich Menschen freiwillig in eine selbstverwaltete Kooperation der Freiwilligen begeben bzw. diese Kooperation organisieren können? Was hängt von ihnen selber ab und was nicht bzw. nur sehr vermittelt, was hat mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen und den mit diesen verquickten Produktions- und Konsumtionsstrukturen zu tun?

“Wenn Nachhaltigkeit und soziale Organisation nicht gelingen, ist das meist Ausdruck des Unvermögens, sinnvolle Institutionen zu gestalten und dabei den Geberorganisationen und  dem Staat die richtigen Rollen zuzuweisen.“ (S. 34)

An wen richtet sich diese Kritik?

Das Opponieren gegen die Herrschenden, die nachhaltige Entwicklung verstellen, sozial und ökologisch zerstörerisch sind, ist Politik. Bei Ostrom hingegen wird „Politik“ auf Ergebnisse von marginalisierten  Interessenkämpfen und Entscheidungen im offiziellen politischen bzw. Verwaltungssystem verkürzt: „Wenn wir die Politik ändern, wenn wir also eine Regel hinzufügen, sie streichen, verändern oder neue Regeln erproben …“ (S. 37)

Ostroms Abstraktion von konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen kann und muss kritisiert werden. Soll diese Kritik konstruktiv erfolgen, also Schritte in Richtung sozial und ökologisch nachhaltiger Entwicklung befördern, wären die Bedingungen dafür zu fordern und zu erkämpfen, dass Ostroms Aussagen bzw. Orientierungen Wirklichkeit werden. Wenn sie z. B. zur Entwicklungspolitik sagt: „Gefördert werden muss die Fähigkeit lokaler Gemeinschaften zum gemeinsamen Handeln“ (S. 35), dann sollten Linke sagen: Ja! Und deshalb kämpfen wir gegen land grabbing, Freihandelsabkommen und Megaprojekte „unserer“ Regierungen und Konzerne …

Und zu Ostroms acht „Gestaltungsprinzipien für Gemeingüter“ (S. 85-87) können Linke sagen: Ja! Jede und jeder haben ein Recht auf ein Leben in Würde. Sie müssen daher auch das garantierte Recht haben, einander sozial gleichgestellt an den Entscheidungen über den Einsatz und die Nutzung von Ressourcen teilzuhaben. Die Ressourcen müssen – im Sinne der Brundtland-Berichte – nachhaltig genutzt werden. Das wollen wir schrittweise erwirken.

Die Herausforderung besteht also darin, Ostroms Ringen um Selbstorganisation und Selbstverwaltung mit solchen politischen Strategien zu verbinden, dass gesellschaftliche Verhältnisse, Produktions- und Konsumtionsstrukturen so verändert werden, dass soziale und ökologische Zerstörung strukturell bekämpft, zurückgedrängt und letztendlich überwunden werden. Ostroms Ringen um Selbstverwaltung muss also mit Machtkämpfen um die Aneignung von Ressourcen verbunden werden.

Das kreisende Büchlein sollte also mit Gewinn und Kritik gelesen werden.

 

Elinor Ostrom: Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter. Herausgegeben, überarbeitet und übersetzt von Silke Helfrich. ISBN 978-3-86581-251-3. München 2011. 14,95 Euro

*A Polycentric Approach for Caping with Climate Change, in: World Bank Policy Research Working Paper (2009): 39

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1 Kommentar (Öffnen | Schließen)

1 Kommentar Empfänger "Elinor Ostrom ergänzen"

#1 Kommentar von Ingo am September 1, 2011 00000009 10:36 am 131487336910Do, 01 Sep 2011 10:36:09 +0000

Siehe hierzu auch “Knietief in der VWL” von Sabine Nuss: [10]