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„Die Arbeiten gehen zügig voran, auch weil Island als langjähriges Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes bereits einen Großteil des Gemeinschaftsrechts übernommen hat.  Dennoch stehen noch schwierige Gespräche, vor allem im Bereich der Fischereipolitik und der Landwirtschaft, an. Die öffentliche Meinung in Island ist in Bezug auf eine EU-Mitgliedschaft gespalten“, mit dieser Formulierung lud das Europäische Haus zur gestrigen Veranstaltung „Die nächste Norderweiterung? Island verhandelt über die Mitgliedschaft in der EU“. Die Beteiligung der Grün-Linken Bewegung an der Regierung Europas zweitgrößter Insel sollte unser Interesse steigern.

Island war bis zur Bankenkrise 2008 die Insel von ca. – mehr oder weniger – 300.000 Glückseeligen: mit Rekordzahlen bei der Lebenserwartung und der Zufriedenheit seiner qualifizierten lesedurstigen Bürger/innen. Dann kam der Bankencrash von Icesave, des Bankensystems insgesamt und der Isländischen Krone. Die Banken hatten sich verspekuliert  und die stolzen “unabhängigen Insulaner/innen” mussten bei internationalen Akteuren um Verständnis und Unterstützung werben. Mit 3,8 Mrd. Euro ist man bei niederländischen und britischen Anlegern in der Kreide. Die brüllen und drohen mit Beitrittsverhandlungs-Veto, weil beim Referendum 2010 93% der Wahlberechtigten gegen die Rückzahlung der Icesave-Schulden votierten, beim Referendum 2011 noch 59,8% (Wahlbeteiligung 75%).

Dem Crash folgten internationale Kredit-Auflagen, Währungsabwertung, Haushaltssanierungsprogramme. Die Folge ist eine Arbeitslosigkeit von für Island hohen 7,6% und Sozialabbau. Sicher hat der Bankencrash den Ruf nach Euro und EU verstärkt, aber nicht ausgelöst: Der NATO-Mitbegründer, das Mitglied von EFTA, EWR, Nordischer Passunion und Schengen-Abkommen hat – wie oben schon bemerkt – seit langem  große Teile des EU-Rechts in nationales Recht überführt. Andererseits sind große Teile der Bevölkerung nach wie vor gegen eine EU-Mitgliedschaft.

Am 17.7.2009 beantragte die isländische Regierung den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen. Seit dem 17.6.2010 ist das Land offizieller Beitrittskandidat und am Montag begannen die Verhandlungen zu insgesamt 35 Artikeln. Zwei wurden bisher abgeschlossen. Die Knackpunkte sind der Fischfang, die Waljagd, die Landwirtschaft und die Regionalentwicklung. Schließlich leben 10% der Bevölkerung von der Fischerei, die einheimische Fischer/innen schützt und in die EU „viel  Fisch“ mitbringen würde. Auch in der Schafszucht und bei – insbesondere regionalen – Dienstleistungen würden mit der vollen Übernahme des EU-Rechts Bevölkerungsinteressen empfindlich betroffen, was für viele gegen die EU-Mitgliedschaft spricht.

Die gestrigen Darlegungen des isländischen Chefunterhändlers zum EU-Beitritt Stefán Haukur Jóhannesson waren informativ und erklärten  plastisch Interessenwidersprüche. Erhellend waren auch die Worte zum einen aus dem Auswärtigen Amt, die den sicherheitspolitischen Aspekt und „Sicherheitsinteressen“ in Richtung arktischen Raums als deutsche Argumente pro EU-Beitritt deutlich machten; zum anderen aus dem Apparat der Europäischen Kommission, die mit Verweis auf die isländischen Qualitäten die Attraktivität der EU und insbesondere des Euros bestärken sollen.

In der Diskussion sprach dann ein deutscher Island -Ex-Botschafter von „deutscher Bringe-Schuld“ in den EU-Beitrittsverhandlungen. Interessant waren die Begründung, ihre beifällige Aufnahme und die offenbare Akzeptanz durch den Gastgeber: Dem Land, das sich 1944 von Dänemark unabhängig machte, wurde angeboten, UNO-Gründungsmitglied zu werden. Die Bedingung war, Deutschland den Krieg zu erklären. Da Island darauf verzichtet habe, müssten „wir“ uns Island besonders verbunden sehen und bereit sein, nunmehr eine Gegenleistung zu erbringen.

Der aufgeklärte Mainstream findet das gut, was die komplizierten Wirkungsbedingungen linker Akteure weiter illustriert.

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