Es war faszinierend, was unter dem Motto “Die ökologische Ökonomie voranbringen. Theorie und Praxis” an der Bogozici-Universität ablief (- am gleichem Ort, wo Ende Mai die Europäische Assoziation für Geschichte des ökonomischen Denkens tagte): Ca. 350 Wirtschaftswisschaftler/innen aus mehr als 40 Ländern konnten über 90 vielfältige Veranstaltungen mit ca. 250 Redner/innen, davon etwa 20 aus den MOE-Ländern, erleben. Da zuvor Arbeitsgruppen auswählten, welches “Paper” vorgestellt werden darf, kann von einem noch größerem Input-Angebot ausgegangen werden. Das bekräftigt Peter Söderbaums These: “Die ökologische Ökonomie wird zur sozialen Bewegung.” Das deutliche Bemühen der Europäischen Assoziation für ökologische Ökonomie ESEE, Einfluß auf das Denken und Handeln von sozialen und offiziell-politischen Akteuren, von Lehrenden, Forschenden, Studierenden und Lernenden zu nehmen und die Wirtschaftswissenschaften zu demokratisieren, liefern weitere Argumente dafür. Die “De-growth”-Streiter/innen sehen sich zumindest teilweise als eine gewisse Avantgarde und sorgten mit ihrem pre-conference-workshop und einer großen Anzahl von Veranstaltungen dafür, dass man sich “zu dem Thema” verhielt. Sie definieren “de-growth als freiwilligen Pfad zur Reduzierung von Produktion und Konsumtion, um die Ziele ökologische Nachhaltigkeit, Wohlbefinden und soziale Gerechtigkeit” zu erreichen. Gjalt Huppes, Joan Martinez und seine junge Crew, Franzoise Schneider und Giorgos Kallis legten besonders anregende Papiere vor.
Die ökologischen Wirtschaftswissenschaftler/innen stützen sich auf das im Brundtland-Bericht begründete Nachhaltigkeits-Verständnis und setzen sich mit seiner wirtschaftsfixierten Interpretation durch die “Mainstream-Ökonomie” auseinander. So erklären Nico Schäpke und Felix Rauschmayer “integrierte nachhaltige Entwicklung” als konkreten Bezug auf das Verhalten, die Erfahrung, die Kultur und sozial-ökologischen Systeme.” Sie machen drei Ebenen von Wissen und Erfahrungen aus: “normative Ziele, sozio-ökologische Systeme und Transitions-Maßnahmen”.
Es ist interessant, dass die deutschsprachigen Teilnehmer/innen mit großer Selbstverständlichkeit den Begriff “Transition” benutzen und offenbar wissen, wohin sich die Gesellschaft und ihre Wirtschaftssphäre entwickeln bzw. entwickeln sollen.
Die Beiträge auf der – von kulturellen, kulinarischen und organisatorischer Meisterschaft Genüssen gerahmten – Konferenz offenbaren insgesamt vier mehr oder weniger in- und zueinander widersprüchliche und dennoch vielfach ineinander übergehende theoretische Tendenzen: Da ist der klar dominierende neue Institutionalismus (z. B. Söderbaum), die kritische Marx-Sraffasche Strömung (z. B. O’Connor), die zum “soften Neoliberalismus” tendierende “Governance-Richtung” (Vatn u. a.) und die – nicht zuletzt auf Rawl gestützte – “Gerechtigkkeitsströmung” (wie Kluvankova-Oravska).
Insgesamt blieben (aber) soziale Interessen, abgeleitet von den Positionen der Menschen in den gesellschaftlichen Strukturen, unterbelichtet.
Die diese Richtungen verbindende Nachhaltigkeitsdiskussion erklärt das besondere Interesse und Gewicht von Arbeiten an und mit Indikatoren (Söderbaum, Gasnas-Jordet, Aslaksen, Ericson, Funtowicz, Giampietro, Stave u. a.). Die Indikatoren sollen sowohl gegen die Eindimensionalität der Mainstream-Ökonomie vorgehen als auch auf ergebnisorientiertes Diskutieren und Handeln hinwirken helfen. Dieses Anliegen erklärt ferner Versuche zur “Modellierung der großen Transition, der natürlichen Grenzen” und der Rahmenbedingungen für “nachhaltiges grünes Wachstum”, wobei Geld- und Finanzströmen besondere Aufmerksamkeit zukommt (Campiglio, Middway).
Der durch die Konferenz gegebene Überblick zu ökologischer Ökonomie wurde durch vielfältige Fallbeispiele zu Problemen und Problemlösungen – insbesondere zu Wasser, Naturschutz, Energie, Landwirtschaft, Transport und Abfall – bereichert. Hier wurden dann soziale Ungleichheit, Spaltungen und Probleme konkret behandelt. Dies ging insbesondere auf das Konto von jungen Leuten – Gastgeber/innen und Gäste aus den MOE-Staaten. Hier überraschten der kritische Blick und die fundierten Analysen aus Ungarn. Junge Frauen aus Tschechien und der Slowakei legten sich mit “alten Männern” aus dem Westen an, die ihrer Meinung nach voreilig “den Menschen” Egoismus unterstellen und damit sich selbst das Denken in Alternativen erschweren.
Für die lauschende Berlinerin war so gut wie alles sehr ineressant und hochgradig lehrreich der Konferenz-Teil zum Denken von Techniker/innen, TechnologInnen und Industriepolitiker/innen (Geels, Ashford).
Spannend war, wenn den Redner/innen auffiel, dass da noch etwas fehle, was m. E. (eben) die ausgeblendeten bzw. unterbelichteten sozialen Interessen und sozialer Wandel waren.
Der RLS-Workshop zum Institutionalismus in der Nachhaltigkeitsdebatte vom 28. bis 30. Oktober verspricht also, interessant zu werden, ebenso die Tagung der Globalen Assoziation ökologischer Wirtschaftswissenschaften, die zum UN-Gipfel in Rio de Janeiro (Mai 2012) stattfinden wird.