Perspektiven einer sozial-ökologischen Transformation
Die ökologischen wie ökonomischen Grenzen des gegenwärtigen „Wachstumsmodells“ sind erreicht. 2500 Besucher des gemeinsam von Attac, Rosa-Luxemburg-, Friedrich-Ebert-, Heinrich-Böll- und Otto-Brenner-Stiftung organisierten Kongresses „Jenseits des Wachstums?!“ waren sich darin einig: das Problem ist dringlich. Wir können nicht so weiter machen wie bisher, wollen wir unseren Planeten auch in Zukunft bewohnen. Die RLS war mit 30 Personen an der Organisation beteiligt, stellte über 25 Referentinnen, 42 Programmbeiträge und einen großen Anteil der Finanzierung bereit.
Doch schon bei der Frage, „was wächst da eigentlich?“, wurden Differenzen deutlich. Geht es um Wachstum durch Kapitalverwertung, also Akkumulation auf erweiterter Stufenleiter, die in jeder Epoche mehr Energie und Ressourcen verbraucht? Oder um das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP), in das auch die Reparatur sozialer oder ökologischer Schäden mit einfließt? Die Milliarden zur Bekämpfung der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko steigerten das BIP der USA beträchtlich, aber auch die Ausgaben für diesen Kongress steigerten das bundesdeutsche BIP. Nicht gezählt wird hingegen die unbezahlte, meist häusliche Produktions- und Reproduktionsarbeit, obwohl unerlässliche gesellschaftliche Stütze. Der Einsatz menschlicher und natürlicher Ressourcen hätte anders als im Kapitalismus in einer bedürfnisorientierten Ökonomie nicht unbedingt etwas mit Wert, Geld, Verwertung, Löhnen zu tun. Ökologisch relevant ist eigentlich nur das stoffliche und energetische Wachstum.
Deutlich wurde, wie zahlreich die Kämpfe gegen die herrschenden Wachstumsprojekte sind. Dafür sprechen nicht zuletzt die vielfältigen Energiekämpfe, gegen Atomenergie oder CCS (Verpressung von CO2 im Boden) in Brandenburg, gegen krudeste Formen der Ölförderung in Nigeria oder für eine ecuadorianische Initiative, das Öl im Boden zu lassen. Hier wird die RLS in Zukunft einen Schwerpunkt setzen. Alberto Acosta erläuterte lateinamerikanische Erfahrungen, die eine scharfe und produktive Debatte der Kritik am Neodesarrolismo (wiederaufgelegten Entwicklungsparadigma) und Extractivismo (Konzentration auf Rohstoffausbeutung) inspirierten. Sie verbindet Wachstumskritik, mit der Kritik an „westlichen“ Vorstellungen von Fortschritt und linearer Entwicklung im Sinne von Modernisierung. Sie speist sich insbesondere aus indigenen Philosophien, aber auch aus anderen Quellen und sozialen Auseinandersetzungen um Buen Vivir. Letztere haben Eingang gefunden bis hinein in die Politiken und Verfassungen linker Regierungen in Lateinamerika und versuchen vor dem Hintergrund der diagnostizierten „Zivilisationskrise“ eine Transformationsperspektive zu eröffnen. Die Diskussion um Buen Vivir – das Gute Leben – lenkt den Blick auf die Frage, wie wir leben wollen. Es drängt auf eine Reorientierung von Produktions- und Lebensweise. Freilich gilt es hier noch viel Übersetzungsarbeit für den Kontext kapitalistischer Industrieländer. Zu oft wird die Perspektive auf einen schlichten Verzichtsdiskurs reduziert. Die primär verfolgten Strategien setzen auf ein „Wachsen“ alternativer Ansätze aus der Nische heraus.
Einigkeit bestand über eine darüber hinausgehende notwendige und weitreichende sozial-ökologische Transformation – über die Schritte dorthin bestanden erhebliche Differenzen. Hier zeigte sich, wie schnell zwischen primär ökologisch ausgerichteten Bewegungen und z.B. Gewerkschaften Spaltungen produziert werden, Pauschalisierungen und wechselseitige Zuschreibungen den Verständigungsprozess hemmen. Dringend bedarf es der Entwicklung gerechter Übergänge – Just Transition –, die auch für die von der Klimakrise am stärksten Betroffenen wie für die vom Umbau bedrohten Beschäftigten, Gemeinden und Länder eine Perspektive bietet.
Versuchsweise formulierte Nicola Bullard Kriterien für einen solchen gerechten Übergang: Alle zu treffenden Maßnahmen müssten daran gemessen werden, ob sie a) relevant zur Senkung von CO2-Emmissionen beitragen, b) zur Reduzierung von Armut und Vulnarabilität (Verletzlichkeit) sowie c) zur Reduzierung von Einkommens- und anderer Ungleichheiten. Beschäftigung und Gute Arbeit wären noch hinzu zu fügen. Sicher kann die Liste der Kriterien beliebig fortgeführt werden. Für eine erste, interventionsfähige Methode zur quantitativen Beurteilung wären dies jedoch vier wesentliche Punkte.
Der Kongress hat eine Tür geöffnet, um in einem breiten Feld der Mosaiklinken zwischen den drei Parteien der Linken, ökologischen und sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und engagierten WissenschaftlerInnen, Strategien zu diskutieren, die die Fragmentierung überwinden helfen, um handlungsfähig zu werden. Dies zog die Aufmerksamkeit der Medien auch jenseits der Linken auf sich: die Berichterstattung reichte von der Tagesschau und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung u.v.a. bis zu alternativen Medienprojekten. Doch die Wachstumsdebatte kommt etwa alle zehn Jahre wieder, ohne dass sich Wesentliches verändert hätte. Damit die Konjunktur der Debatte nicht verpufft, gilt es konkrete Alternativen politisch in Gang zu setzen. Die Stiftungen werden bis 2013 den Prozess der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ im Bundestag aktiv begleiten. Die RLS will in dieser Zeit gemeinsam mit der Partei Die Linke, Gewerkschaften und Bewegungen konkrete Einstiegsprojekte einer sozial-ökologischen Transformation entwickeln, für Energiedemokratie, Konversion der Automobilindustrie, solidarische postfossile Mobilität, Wirtschaftsdemokratie und regionale Räte, etc. – für eine Reorientierung auf eine Reproduktionsökonomie in der Bedürfnisse und Ökonomie sich qualitativ entwickeln ohne quantitativ stofflich wachsen zu müssen.