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Istanbul – Ort internationaler wirtschaftswissenschaftlicher Konferenzen 2011

Am letzten Wochenende boten gleich zwei Istanbuler Universitäten Raum für attraktive Konferenzen, was einige Angereiste in anhaltenden Entscheidungs- und Wegestress versetzten: die Universität Istanbul und die Bogazici-Universität sind nicht nur architektonisch interessant und in außerordentlich reizvoller Umgebung, sondern auch recht weit voneinander entfernt gelegen. Am Bosporus tagte die European Society for the History of Economic Thought (ESHET) [1], am historischen Beyazit-Platz die International Initiative for Promoting Political Economy (IIPPE) [2]. Im Juni berät dann ebenfalls an der Bogazici-Universität die European Society for Ecological Economics (ESEE) [3].

Es sind zwei sehr verschiedene Communities mit jeweils eigenen, letztendlich voneinander sehr verschiedenen Kulturen. Das zeigte sich besonders deutlich im Habitus der ESHET-Mitglieder aus Sankt Petersburg einerseits und der aus Moskau gekommenen IIPP-Aktiven andererseits. Die Jahreskonferenz 2011 von ESHET [4] hatte den Titel “Competition, Innovation and Rivalry”, die von IIPPE “Neoliberalism and the crises of Economic Sc [5]ience”. Die von ESEE ist mit “Advancing Ecological Enonomics. Theory and Practice [6]” überschrieben.

Es wäre also ein “Sozialforum Europäischer alternativer Wirtschaftswissenschaftler/innen” fällig, wenn es nicht zum Treffen alternativer Wirtschaftswissenschaftler/innen auf einem Europäischen Sozialforum kommt. Dieses Treffen wäre für die Linken in Europa besser. Dass es dennoch zu zaghaften Anfängen von Vernetzung gekommen ist, geht wesentlich auf Aktivitäten aus der EuroMemo-Gruppe [7]zurück. Diese Gruppe unterscheidet sich von den drei anderen insbesondere dadurch, dass sie keine Mitgliederorganisation ist,  aber alljährlich ein gemeinsames Analyse- und Positionspapier veröffentlicht. Ihre Jahrestagung 2011 wird wiederum Ende September sein.

Die beiden Mai-Konferenzen von Wissenschaftler/innen aus dem vor allem universitären Bereich haben mehr Gemeinsamkeiten als die Tatsache, dass ihre Sponsoren wenig oder nichts mit linkem Denken und linker Politik zu tun haben. Bei IIPPE mag das zunächst überraschen, denn hier gab man sich offen links. Dies war bei ESHET wesentlich seltener der Fall, trotz positivem Bezug auf Rosa Luxemburg und Karl Marx. Allerdings fragte sich eine lauschende Berlinerin, ob sich nicht viele Linke an den Universitäten – wie z. B. in Sankt Petersburg – in die Theoriengeschichte zurückgezogen und “eingegraben” haben, um (hoffentlich) einen Re-Start auf neuer Grundlage vorzubereiten. Insbesondere die Art der Fragestellung beim Fokussieren auf Diskussionen aus Marxscher Zeit bis hin zum Ende der 20iger Jahre des 20. Jahrhunderts, bei Reflexionen zu Schumpeter und in der Debatte zum theoretischen Umgang mit praktischen Erfahrungen ließen darauf schließen.

Arbeit mit der Geschichte politischer Ökonomie und detaillierten Analysen von Erfahrungen sowie Prozessen waren auch das bei IIPPE Überraschende. Hier waren neben den Gastgeber/innen die griechischen Kolleginnen und Kollegen zahlenmäßig am stärksten vertreten. Sie sind IIPPE-Motor und analysieren sehr konkret, was in ihrem Lande und in Europa “krisenmäßig” vor sich ging und geht.

Eine ausführliche Auswertung der dann stattgefundenen drei Istanbuler Konferenzen will die Blog-Notizschreiberin im Sommer 2011 leisten. Aber eine Schlussfolgerung kann und soll bereits gezogen werden: der Geschichte der politischen Ökonomie muss in der eigenen Arbeit zu konkreten gesellschaftspolitischen Alternativen und in der politischen Bildung (wieder) ein wesentlich größerer Stellenwert zukommen als das gegenwärtig der Fall ist. Und 2012 sollten dank RLS linke Wirtschaftswissenschaftler/innen aus Deutschland stärker bei den Tagungen vertreten sein. Hier beklagt IIPPE ein Defizit und hat in Sachen „Krisendiskussion“ Interessantes aufzuweisen.

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2 Kommentare (Öffnen | Schließen)

2 Kommentare Empfänger "Istanbul – Ort internationaler wirtschaftswissenschaftlicher Konferenzen 2011"

#1 Kommentar von Günter Krause am Mai 24, 2011 00000005 7:15 pm 130626451707Di, 24 Mai 2011 19:15:17 +0000

Gute Reflexionen zur Relevanz von Theoriegeschichte und insbesondere auch zu ihrer notwendigen Integration in die wissenschaftliche Arbeit des IfG.
Eine produktive Rezeption von Theoriegeschichte und -kritik ist aus linker Perspektive schon deshalb unbedingt vonnöten, weil seit langem Kohorten von akademisch gebildeten ÖkonomInnen bundesdeutsche Universitäten und Hochschulen absolvieren ohne auf diesem Gebiet je systematisch angelegte Lehrveranstaltungen erlebt zu haben.

#2 Kommentar von Lutz Brangsch am Juni 5, 2011 00000006 8:55 am 130726410508So, 05 Jun 2011 08:55:05 +0000

dazu auch ganz interessant: [16]