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Sanctions for Sustainability?!

Das diesjährige nunmehr 12. Brüsseler Wirtschaftsforum (BEF) [1] war das kürzeste der letzten Jahre – eine Eintagsveranstaltung am 18. Mai. Es konzentrierte sich voll und ganz auf die schon im Titel genannte “neue Ära wirtschaftlicher Governance” – vom “ersten Europäischen Semester” bis zur strengen Aufsicht/Kontrolle von Fiskalpolitik und makroökonomischer Regulierung. Schließlich gelte es, “die Wirtschaftspolitik in Europa zu überdenken”.
Angesichts der Frühjahresprognose zur Wirtschaft der EU, der anhaltenden bzw. zunehmenden Turbulenzen in der Eurozone durfte man gespannt sein. Die “Grenzfragen”, das Anwachsen populistiischer und nationalistischer Tendenzen sowie internationale Ereignisse dürften das Interesse weiter gesteigert haben. Hinzu kamen die Tagung der Euroländer-Finanzminister am 17. Mai und damit die Diskussion zu griechischer Umschuldung und Stützung Portugals. Auch das Europäische Parlament debattierte kurz vor dem BEF  zu ökonomischer Governance, denn der Europäische Rat soll im Juni neue Governance-Maßnahmen beschließen. Hier nun sollen kurz drei Reden reflektiert werden: Die des Präsidenten der Europäischen Kommission Barroso, die des Wirtschaftskomissars Rehn und die des deutschen Finanzministers Schäuble.

Barroso kritisierte “die Regierungen”  zu wenig europäische Verantwortung wahrgenommen zu haben  bzw. wahrzunehmen und würdigte die Arbeit seiner Kommission in Sachen Krisenmanagement, wirtschaftliche Governance und Lissabon-Nachfolgestrategie “EU2020”. Klar und unmißverständlich fokussierte er auf “Wirtschaftswachstum”, das für die Europäische Kommission prioritär sei.

Rehn hatte schon wenige Tage vor dem Forum “wirtschaftliche Erholung” ausgemacht und optimistisch verkündet: “Das Wachstum wird mehr selbsttragend. 2012 erreichen wir in der gesamten EU das Produktionsniveau vor der Krise”. Allerdings beunruhigen ihn die Diskrepanzen in der EU sehr, ebenso die Schuldenkrisen und die Arbeitslosigkeit. Auch er betonte, dass die EU seit Ausbruch der Finanzkrise Handlungsfähigkeit bewiesen habe. Allerdings sei selbstkritische Analyse gefordert, die in fünf Schlussfolgerungen münde: “Erstens müssen die Finanzinstitutionen und -märkte viel rigoroser als in der Vergangenheit reguliert und überwacht werden. Zweitens brauchen wir ein Oberhaupt für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union. Drittens müssen wir die Tatsache wachsender öffentlicher Verschuldung problematisieren. Letztlich müssen wir ernsthaft an jene Strukturreformen herangehen, die gebraucht werden, um die Wachstums- und Arbeitsschaffungspotenziale zu erschließen.” Die Defizite hierbei seien offensichtlich und daher müsse der Europäische Rat im Juni die noch ausstehenden klaren Governance Regeln und Sanktionen beschließen.

“Sanktionen” war dann auch das Schlüsselwort für den deutschen Finanzminister Schäu [2]ble, der wiederholte, dass nicht der Euro in der Krise sei, sondern die öffentlichen Finanzen. Der Euro schütze uns vor übermäßigen Wechselkursschwankungen. Schäuble erklärte, dass Schuldenbremsen keine Wachstumsbremsen seien, sondern die Bedingung für nachhaltiges Wachstum. Dies verlange das Festhalten an der Preisstabilität. Wer nicht richtig wirtschaften könne, müsse an den Finanzmärkten höhere Zinsen zahlen, was nur gerecht sei.

Nun müsse man die öffentlichen Finanzen reparieren, denn nachhaltige öffentliche Finanzen seien das A+0 stabilen Wirtschaftswachstums. Wir müssen aus der Krise lernen: “Der wirtschaftlichen und fiskalischen Governance mangelt es sowohl an Inhalt als auch an Form. Und so kommen wir zum Herz der Sache … Wir müssen den ökonomischen Zustand des einzelnen Mitglieds betrachten und die Wirtschaftspolitik besser koordinieren. Ja, wir haben zu große Ungleichgewichte zwischen den Staaten. Aber das darf nicht bedeuten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der erfolgreichen Länder empfindlich beeinflußt wird. Ja, die Ereignisse haben gezeigt, dass die gemeinsame Währung nicht ohne Solidarität zwischen den Mitgliedsländern überleben kann. Aber diese Solidarität kann nur verhindern, dass die Krise eines Landes zur Krise der Eurozone wird. Ein Mitgliedsland muss bereit sein sein, mit den Ursachen seiner Probleme selbst fertig zu werden.”
Und so ruft der deutsche Finanzminister dazu auf, den Wachstums- und Stabilitätspakt zum Dreh- und Angelpunkt der Finanzpolitik zu machen und fordert “Sanktionen  für jene Euroländer, die die Finanzpositionen nicht wie geboten ausgleichen … Sanktionen, wenn die Eurostaaten nicht mittelfristig ihr Schuldenreduktionsziel von 60% zum BIP erreichen … Sanktionen, … wenn sich die Eurostaaten nicht an die Regeln halten.”

Es sei gut, dass wir im vergangenen Jahr die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts beschlossen haben, dass wir mit den makroökonomischen Überwachungsverfahren nicht nur die Haushaltsentwicklung beobachten, sondern auch ein stärkeres Augenmerk auf die wirtschaftliche Entwicklung richten, dass wir mit dem Euro-Plus-Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit Möglichkeiten gefunden haben, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit aller Mitgliedsländer zu verbessern.

Auch der private Sektor könne und solle an den Kosten der Schuldenkrise beteiligt werden. Wir hätten ein Interesse an funktionierenden Finanzmärkten und ein Interesse daran, dass das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte in Europa erhalten bleibe. Aber Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer wirtschaftlichen Ordnung setze auch voraus, dass nicht die Gewinnchancen bei den Investoren und die Risiken beim Steuerzahler liegen. Angesichts des Eurostabilisierungsmechanismus dürfe es keine dauerhafte klare Trennung zwischen Privatsektor und Staat geben.
Das Vertrauen der Märkte brauche Regelungen, aber auch und insbesondere Strukturreformen und die Realisierung der Lissabon-Nachfolgestrategie.

Die Linken sind also einmal mehr gefordert, zu erklären, was sie unter “Nachhaltigkeit”, Finanzen und Regulierung für nachhaltige Entwicklung und unter “Solidarität” verstehen. Die Linken in Deutschland sind hier besonders gefragt. Sie sollten endlich wirklich ernsthaft beginnen, die öffentliche Debatte zu sozialen und ökologischen Mindeststandards in der EU offensiv zu führen. Sie müssen das Agieren von Merkel, Schäuble und Co.endlich als eigenes Versagen begreifen und entsprechend diskutieren.

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