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Die Bundeskanzlerin Merkel mußte zu Guttenberg Anfang April daran erinnern, daß er versprochen hatte, mit der Universität Bayreuth und deren Untersuchungskommission an der Aufklärung der Vorwürfe zusammenzuwirken, er habe in seiner Dissertation absichtsvoll plagiiert. Das bestreitet zu Guttenberg. Er habe lediglich die Übersicht verloren. Sein Anwalt von Kalckreuth sollte verhindern, daß der Untersuchungsbericht der Universität an die Öffentlichkeit gelangen würde. Diese Absicht gab Guttenberg schließlich doch auf. Ein weiteres Manöver auf dem Weg, die Wahrheit zu verhindern. Worin könnte diese bestehen? Klar, man soll niemanden vorverurteilen. Aber es spricht gegen jede Wahrscheinlichkeit, daß in einer Dissertation hunderte von Stellen aus anderen Texten oder Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages nur aus Schusseligkeit oder Überarbeitung nicht ordentlich zitiert wurden. So wie zu Guttenberg mit der Wissenschaft umgeht, geht er offensichtlich mit der Politik um. Er ist ein Kunstprodukt der Boulevardpresse. Diese redete ihn zum beliebtesten Politiker der Politik hoch. Damit erreichte er, was Gerhard Schröder und Joschka Fischer erst im Ansatz erreicht hatten: mit Hilfe des Boulevards und insbesondere der Bild-Zeitung beliebt zu sein jenseits ihrer Parteien, durch die sie sich behindert fühlten und an denen sie litten, direkt mit und über die Medien den politischen Willen zu kommunizieren, ohne auf eine öffentliche Willensbildung zu warten. Bei Guttenberg ging dieser Prozeß weiter, er hatte die Unterstützung seiner Partei, der CSU, für das Ziel, ein erfolgreicher Populist zu werden, der im direkten Kontakt mit dem „Volk“ stand und nicht zur politischen Klasse und zur diskreditierten Parteienpolitik zu gehören schien. Er konnte vermittels der Boulevardmedien direkt im „Volk“ anwesend sein. Dazu verhalfen ihm seine Zugehörigkeit zum Adel und die in den Medien immer wieder betonte Abstammung seiner Frau aus der Familie Bismarck. Damit werden solche Signifikanten geschaffen wie: eine lange zurückreichende Familientradition, die Selbstverständlichkeit und Gewohnheit des Herrschens, Verantwortlichkeit und Kompetenz, die Seriosität und überlegene Distanz, der Mut zum konservativen Widerstand gegen Hitler, Entschlossenheit und militärisch-politische Führungsfähigkeit, die deutsche Einheit, etwas autoritäre, aber stabile politische Verhältnisse. Das alles repräsentiert zu Guttenberg. Einer, der zwar nicht die Demokratie repräsentiert, doch sie auch nicht direkt bedroht und alles zu leisten verspricht, was die Politiker in Berlin nicht einlösen: ein elitärer Anti-Politiker mit konservativen Werten. Das ist ideal, um ständig in „Bild“, „Gala“ oder „Bunte Illustrierte“ präsent zu sein. Zu Guttenberg verstand es auch, ungewöhnliche Bilder zu erzeugen: in modisch bewußt rustikaler Kleidung in Flugzeugen der Bundeswehr auf dem Weg nach oder von Afghanistan oder in Afghanistan selbst. Seine Frau verstärkte mit ihrer Aktivität als Präsidentin des Kinderschutzvereins „Innocence in Danger“ und ihrer Sendung gegen Pädo-Kriminalität bei RTL-2 die Verankerung im Boulevard noch, der die Neigung zu Voyeurismus und Lust-Angst pflegt. Zum Boulevard gehört auch der Anwalt von zu Guttenberg, Alexander von Kalckreuth, dem Besitzer eines Familiengutes bei Leipzig, auf dem auch Wagner verkehrte. Denn Bunte.de vom 12.2.2010 präsentiert ihn in einem Artikel neben Stars wie Pierce Brosnan auf der Berlinale. Dort erfährt man auch von der Schwangerschaft seiner Ehefrau Tamara Gräfin von Nayhauß, die nach Auskunft von Wikipedia bei ProSieben und RTL Boulevard-Sendungen betreut hat und seit 2006 beim ZDF Beiträge über Aristokraten und Unternehmerpersönlichkeiten produziert. Sie ist ihrerseits mit Stephanie zu Guttenberg befreundet.

Am 22.3.2011 bedankte sich Freiherr von Guttenberg von ganzem Herzen bei den Zehntausenden, die ihn mit Kommentaren auf der facebook-Seite „Wir wollen Guttenberg zurück“ großartig unterstützt hätten www.bild.de/video/clip/karl-theodor-zu-guttenberg/guttenberg-facebook-16989980.bild.html. Der Dank mag ehrlich gemeint und kein Plagiat gewesen sein. Doch setzt er selbst noch einmal eine Hochstapelei fort, die dem ganzen Vorgang der weitgehend plagiierten Dissertation und seiner politischen Karriere zu Grunde liegt. Denn in einem am gleichen Tag in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen Artikel wird von Tobias Feld dargelegt, daß die etwa 400.000 Unterstützer der facebook-Seite „Gegen die Jagd auf Karl-Thedor zu Guttenberg“, die sich gegen die vermeintliche Hetzjagd auf Guttenberg wandten, und die noch einmal 580.000 Unterstützer der facebook-Seite „Wir wollen Guttenberg zurück“ wahrscheinlich selbst ein mediales Artefakt und so wenig „echt“ sind wie die Dissertation selbst. Über PR-Agenturen können Email-Adressen in Tausender-Paketen gekauft werden. Zehntausend facebook-Freunde kosten bei der Agentur Aladygma 390 Euro. Ein im Artikel zitierter Vertreter dieser Agentur vermutet, daß es sich bei den Freunden zu Guttenbergs um Plagiate handelte. Organisiert habe das der FDP-Politiker Tobial Huch. Tobias Huch ist Vorsitzender der Jungen Liberalen in Rheinhessen, der sein Geld in der Erotik- und Musikbranche verdiene und für die Freigabe von einfacher Pornographie eintrete. Sein Unternehmen, die Huch-Mediengruppe, produziere das „Erotik- und Lifestylemagazin Private Only, aber auch Videos für Musiker wie Cassandra Steen oder Joy Denalane“ (Anna Marohn am 3.3.2011 auf Zeit-Online; www.zeit.de/2011/10/Guttenberg-Freundeskreis). Nach Angaben der taz vom 22.2.2011 gründete er mit 18 Jahren die Firma Erodata, die das Jugendschutzsystem ueber18.de zur Altersverifikation vertreibe. Diese Tätigkeit hat ihm Preise der Pornobranche eingebracht: den Venus Award und den Eroticline Award. Ist es gar zu bösartig zu denken, daß es sich wunderbar mit Ruchs Geschäft trifft, wenn Stephanie zu Guttenberg Kinder und Jugendliche im Namen einer ichbezogenen Sexualität und eines positiven Körperbildes vor „Pornos im Internet, Popsängerinnen in Bondage-Outfits und Topmodelshows im Privatfernsehen“ geschützt sehen will und in RTL-2 Pädophile verfolgt (de.wikipedia.org/wiki/Stephanie_zu_Guttenberg)?

Das alles sind nur Hinweise, aber sie verweisen auf den Zusammenhang einer elitären Lebensweise, die wenig demokratisch ist. Der populistische Kurzschluß zwischen dem „Demagogen“ und dem „Volk“ vom Typus Jörg Haider oder Berlusconi wird ersetzt durch den seriös erscheinenden Adligen. Das entspricht in etwa dem früheren, von den Freiheitlichen zu den Christkonservativen gewechselten österreichischen Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der mit seiner Frau an seiner Seite als schön und honorig galt, hochgelobt wurde und sich nun doch als tüchtig korrupt zu erweisen scheint: die Untersuchungen laufen zögernd, würden aber einmal mehr auf den verbrecherischen Charakter kapitalistischer Politik hinweisen. Immerhin, es fehlte ihm der Adelstitel, den man in Österreich aber ohnehin nicht verwenden dürfte. Das „Volk“ ist Gegenstand von Manipulation, es wird bedient mit viertklassiger Unterhaltung über adlige und sonstige Jetset-Persönlichkeiten und von diesen in der nächsten Runde für die Politik mobilisiert und instrumentalisiert. Die Demokratie wird feudalisiert, „aritokratisiert“, „royalisiert“. Horkheimer und Adorno machten vor langem deutlich, daß Kulturindustrie ein System darstelle, ein Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis. Dieses System umfasste ihrer Ansicht nach den Film, das Radio, die Architektur, die Automobilität, die Musik. Der Plagiatsfall zu Guttenbergs gibt uns einen Einblick, wie ausgedehnt die Kulturindustrie zu operieren vermag. Der Adel, die Pornographie-Industrie, philanthropische Kampagnen gegen Pädophilie, die Politik, der Dirigenten-Vater und seine E-Musik, das Fernsehen und die Presse können zu einer kompakten Einheit werden und die Täuschung und die Lüge zum System zu machen, das noch den Anschein zu vermitteln vermag, von ganz vielen unterstützt zu werden. Alles fand in Bayreuth statt, dort wird, getragen vom Adel, seit langem der Idee des Gesamtkunstwerks gefrönt, eine frühe Stufe der Kulturindustrie. Zu Guttenberg hat versucht, auch die Wissenschaft dem Boulevard zu unterwerfen. Beinahe wäre es ihm geglückt. Mit dem Gymnasium und der Universität hat die Monarchie in Deutschland das Bürgertum nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848 pazifiziert und am Herrschaftsblock teilnehmen lassen. Die verachtungsvolle Geste, sich den Titel durch einen Plagiatsversuch zu erschleichen, gehört in diese Tradition. Es ist die elitäre Haltung derjenigen, denen es ohnehin gehört; die alle zwingen, die Uniform zu grüßen. Aber es ist auch die Haltung derjenigen, die Schauspieler ihrer selbst sind, deren ganzes Leben auf dem Betrug der „Massen“ und dem Schein beruht und die alles, was sie sind, dem Echo einer jahrhundertelangen Tradition der Machtausübung und der Aneignung der Arbeit anderer verdanken. Dies alles verbindet sich mit einem tiefen Anti-Intellektualismus in der gegenwärtigen Politik. Warum sollte man die Wissenschaften ernst nehmen, wenn man es doch selbst kann und so nebenbei auch ein bißchen auf Wissenschaft macht? Wenn man vermuten muß, daß die Leute alle zu ihren Doktortiteln kommen, indem sie hier und da ein „bißchen abspicken“, wie es dann verharmlosend heißt? Warum sollten PolitikerInnen wissenschaftliche Argumente ernst nehmen, wenn sie wissen, wie leicht sie durch Fälschung zu erlangen sind oder bei Experten und Gutachtern gekauft werden können? In seinem Artikel weist Tobias Feld darauf hin, daß ein Mitarbeiter der Europaabgeordneten Koch-Mehrin in einem Blog dieser wohlgesinnte Kommentare verfasste, ohne sich als Mitarbeiter zu erkennen zu geben. Auch ihre Dissertation wird gerade wegen Plagiatsvorwürfen durchleuchtet, auf 58 Seiten der 225 Seiten wurden bis zum 24.4.2011 Plagiate gefunden. Um alle Ansprüche auf soziale Gerechtigkeit abzuwehren, wies Hayek darauf hin, daß unter Bedingungen des Marktes die Einkommen allein nach Glück, nicht nach Leistung verteilt werden. Die Täuschung ist ein Versuch, sich dieses Glück im Kapitalismus zu ergattern; der Kapitalismus ist die Form, der auf solchen Manövern beruht. Eine Umstülpung der Gesellschaft ins Realen wäre an der Zeit.

One Response to “Der Plagiator – zum Verhältnis von Politik, Boulevard und Wissenschaft”

  1. Ingo sagt:

    Siehe hierzu auch Anja Krüger und Pascal Beucker in ak 559 über Bildungspolitik und den Klassencharakter der Guttenberg-Debatte: www.akweb.de/ak_s/ak559/10.htm

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