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Das internationale Symposium an der Heinrich-Böll-Stiftung vom Mittwoch (13.4.) sollte ausgehend vom 25. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe zur Atomkraft als „Brückentechnologie ins Solarzeitalter“, zur globalen „Renaissance der Atomkraft“ und zum „Beitrag der Atomenergie im Kampf gegen den Klimawandel“ diskutieren. Es sollte damit gegen die Verlängerung von AKW-Laufzeiten mobilisieren. So lag Band 12 in der Reihe Ökologie „Mythos Atomkraft“ frühzeitig vor und die Veranstaltung war perfekt geplant bis auf den Keynote-Speaker Tetsunari Iida aus Japan – in Reaktion auf das anhaltende Drama von Fukushima. Dass der Direktor des Institutes für nachhaltige Energiepolitik gegen Atomenergie argumentierte, überraschte nicht. Dass er die Einrichtung einer internationalen Fukushima-Taskforce forderte, überraschte jedoch nicht wenige. Anhaltende „Kopflosigkeit“ im High-Tech-Land Japan lässt offenbar weiterhin sich wundern. Ex-EU-Kommissarin Michaele Schreyer kritisierte den Europäischen Rat, in Sachen internationaler Task Force nicht initiativ geworden zu sein.

Schockiert nahmen viele auch den Bericht des indischen Journalisten und Friedensaktivisten Praful Bidwai auf, der über den AKW-Bau in einem „Biodiversitätszentrum“ von Maharashtra sprach, wodurch Menschen aus ihren Dörfern in Jaitapur vertrieben, ihre ökonomischen und natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden. Das stört weder den französischen Atomkonzern Areva, der den Auftrag erhielt, noch die zuständigen indischen Staatsorgane. Allerdings wehren sich die Betroffenen im Unterschied zu den Bewohner/innen jener Küstenregion im Westen Finnlands, wo Areva mit billigen osteuropäischen Arbeitern das AKW Olkiluoto 3 baut. Die Arbeitshetze und fehlenden Qualifikationen verhindern sorgfältigen Bau, die Instruktionen der „Oberen“ nehmen das hin und drücken weiter auf Tempo.

Ob Indien, Finnland, China oder Japan – AKWs werden immer in Kooperation mit Staaten errichtet, denn immer sind staatliche Genehmigungen, Bürgschaften und Subventionen im Spiel. Immer gibt es für privatwirtschaftliche Unternehmen Probleme wie die Uranversorgung, Atommüll-Endlagerung, Anlagen-Schutz, Stilllegungskosten.  Diese Fragen begründen einerseits staatliche Intervention, andererseits Uranverknappung Wiederaufbereitungsanlagen und  schnelle Brüter – Entwicklungen, die wiederum staatliche Intervention erfordern.

Bei neoliberaler Hegemonie funktioniert das funktionale Zusammenspiel zwischen staatlichen Akteuren und führenden Wirtschaftsakteuren – das Zusammenspiel unter den Herrschenden, das Plutoniumkreisläufe stützt. In diesen entsteht hochtoxisches bombenfähiges Spaltmaterial.

Mycle Schneider (Internationaler Berater für Energie und Nuklearpolitik, Paris) legte überzeugend dar, warum bereits die Laufzeitverlängerung für bestehende AKW den Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere von Windenergie, hemmt und warum erst recht AKW-Neubau die Erschließung erneuerbarer Energien bremst: beide konkurrieren um Investitionen, Kunden und die Nutzung der Leitungen/Netze. Da AKW wie Kohlekraftwerke nicht kurzfristig runtergefahren werden können, entsteht Überschussstrom, der Exporte erzwingt.

Es wäre hinzuzufügen, dass beide Energiearten bzw. Strategien auch um politischen Einfluss und gesellschaftliche Akzeptanz konkurrieren und dass AKWs nur Strom, nicht Wärme produzieren können.

Was mit der Begrüßung durch den Präsidenten der Böll-Stiftung Ralf Fücks und in den verschiedenen Formen und Stadien des Symposiums immer wieder eine Rolle spielte, waren die Polemiken zum einen mit der These, es gäbe eine „Renaissance der Atomkraft“; zum anderen mit der Behauptung, man sei als Atomkraftgegner/innen „ewig Gestrige“. Richtig ist: die Zahl der Atomkraftwerke sinkt weltweit. Insgesamt sind 437 in Betrieb. Es werden mehr vom Netz gehen als gebaut werden sollen. 160 neue sind geplant, davon allein 53 in China.

Nicht „ewig Gestrige“ sein zu wollen, offenbarte sich insbesondere bei den Technologie-Fragen, wobei sich (wiederum) große Sympathien für Desertec und Seatec zeigten.

Auch war teilweise von „sauberer Energie“ dank Atomfusion die Rede. Günther Hasinger, wissenschaftlicher Direktor des Max-Planck-Institutes für Plasmaphysik, gehört zu den Protagonisten dieser Idee: Der Brennstoff als Gemisch (Plasma) aus schweren und superschweren Wasserstoffsorten (Isotopen) Deuterium und Tritium wird auf bis zu 200 Millionen Grad erhitzt. Dabei werden Atomkerne aus ihren Elektronenhüllen gelöst und verschmelzen miteinander. Damit es nicht die Reaktorwand berührt und abkühlt, sperren es riesige stromdurchflossene Spulen in einen „Käfig“. Beim Verschmelzen der Kerne entsteht Energie für die Stromproduktion.

Hasinger nannte als „Vorteile der Fusionsenergie“:

„ Brennstoffvorrat fast unbeschränkt und für alle Nationen verfügbar

• Deuterium (D aus Wasser) und Lithium (Li aus Steinen und Meerwasser)

• Eine Badewanne Wasser und eine Laptop-Batterie = Familie Strom für 50 Jahre

• Praktisch unbegrenzte Vorräte (u.U. Symbiose mit Batteriewirtschaft möglich)

Vorteile für die Umwelt: Clean Energy!

• Keinerlei CO2 Emissionen

• Mittlere bis niedrige radioaktive Belastung, kein Endlagerproblem

• Unfall- und Verunreinigungsrisiko minimal

Keine Explosionsgefahr, keine Kernschmelze

• <5 Minuten Brennstoff im Plasma

Niedriges Proliferationsrisiko nuklearer Materialien

• Keine spaltbaren Materialien

Extrem hohe Energie-Konzentration

• Minimale Landnutzung im Vergleich zu Solar-, Wind- und Wasserkraft

Unabhängig von Tages-, Jahres- oder Regionalen Variationen

• Ideal für Ballungsräume und Grundlastversorgung

Deutliche Vorteile im Vergleich zu Spalteaktoren und Brütern“.

Nur ist das Ganze schrecklich teuer und nur – wenn überhaupt – langwierig lösbar, worauf Wolfgang Liebert von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe zu Naturwissenschaft, Technologie und Sicherheit an der Darmstädter Technischen Universität umfassend einging. Schließlich gibt es das internationale Fusionsprojekt „Iter“, lateinisch: „der Weg“. Im südfranzösischen Cadarache soll erprobt werden, was später in Kraftwerken nutzbar werden soll. “Iter” ist schon seit 1988 geplant – von EU-europäischen, japanischen, sowjetisch/russischen und US-amerikanischen ExpertInnnen und Politiker/innen. 2003 schlossen sich China und Südkorea dem Großprojekt an, 2005 folgte Indien. Der Bau der Anlage sollte bereits 2009 beginnen, aber aus Finanzgründen und Streiterei begann er nicht. Nach der vollständigen Errichtung von „Iter“ im Jahre 2026 sollen zwanzig Jahre Forschungsarbeit  folgen. Bis zur – unsicheren, aber gewollten – Inbetriebnahme kommerzieller Fusionsreaktoren würden weit über 50 Jahre vergehen …

Und wieder zeigt sich die Allianz von Staaten und Energiekonzernen. Diese Allianz wurde durch Rebecca Harms thematisiert, die auf die Mitteilung (112/2011) der Europäischen Kommission „Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050“ verwies. Dort werden CCS-Strategien, AKW, Fusionsforschung und der Ausbau erneuerbarer Energien als zukunftsfähige Wege behandelt.

Allerdings endete die Gesellschaftskritik von Harms mit der Kritik an Technologie-und-Lobby-Allianzen. Interessant ist, dass Harms eine Europäische Bürgerinitiative zur Reformierung von EURATOM favorisiert.

Eine Initiative (u. a. der Autorin), sich mit dem EU2050-Konzept der Europäischen Kommission im Rahmen des Europäischen Sozialforumsprozesses zu befassen, schlug fehl. Sie war verbunden mit dem Aufruf, sich an den internationalen Anti-AKW-Aktionen anlässlich des 25. Jahrestages des Unglücks von Tschernobyl zu beteiligen. Diese Aktionen verdienen unsere Unterstützung, ebenso Initiativen für die Arbeit an linken Konzepten und politischen Strategien für eine solidarische solare Energiewende im Kontext mit sozialökologischem Umbau.

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