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120 Prozent Zins

[1]Heute fand im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages eine Anhörung zu Zins-Swap-Geschäften von Kommunen [2] statt.
Im Bericht zu dieser Veranstaltung wird die Erfahrung des Bürgermeisters von Pforzheim [3] wiedergegeben:

„Der Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim, Gert Hager, berichtete in der Anhörung, seine Stadt habe versucht, die angesichts eines Schuldenstandes von 128 Millionen Euro erhebliche Zinsbelastung durch den Einsatz derivater Geschäfte wie Zins-Swaps zu optimieren. Nachdem die Deutsche Bank erhebliche Zinsausgleichszahlungen gefordert habe, habe die Stadt versucht, das Risiko zu reduzieren, indem man mit der Bank J.P. Morgan Chase, ”Spiegelswaps“ abgeschlossen habe, die die Entwicklung der Swaps der Deutschen Bank spiegelbildlich abbildeten. In diesem Zusammenhang sei es aber zu weiteren Derivate-Geschäften mit J.P. Morgan Chase gekommen. Mittlerweile seien die Geschäfte mit beiden Banken beendet: ”Der Stadt Pforzheim entstand hieraus ein Verlust von rund 56 Millionen Euro“, stellte Hager fest.“ (ausführlicher in seiner schriftlichen Stellungnahme [4])

Ein anderer Sachverständiger sprach davon, dass für Kommunen im ungünstigen Falle „dieser Art Finanzgeschäfte ein jährlicher Zinssatz von 120 Prozent … entstehen“ könne. Schließlich sei auf die Stellungnahme von Frank Winkler [5] verwiesen, die als kleine Einführung in die Ökonomie der Swaps gelesen werden kann. Überhaupt stand die Mehrzahl der Sachverständigen aus Wissenschaft und Beratung der Nutzung derartiger Instrumente kritisch gegenüber.

Anders die Vertreter der Banken und auch die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Sie betrachten die Nutzung der im Kern notwendig spekulativen Instrumente wenig kritisch. Trotz der dargelegten Beispiele: „Ein generelles Verbot von Derivaten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement lehnte die Bundesvereinigung … ab.“ Offensichtlich hat man sich mit der Austrocknung der Kommunalfinanzen abgefunden. Die Verwandlung der Kommune in einen Konzern scheint hier schon mental weit fortgeschritten, wenn nicht dominierend zu sein. Ganz in diesem Sinne ist die der Stellungnahme der Spitzenverbände [6] beigefügte „Muster – Dienstanweisung für den Einsatz von derivativen Finanzinstrumenten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement“ zu lesen: „Gemäß Derivaterlass vom … des Landes … / Stadtratsbeschluss vom … / … verwendet die Stadt … Finanzderivate ausschließlich zur Sicherung („Hedging“)/ und zur Optimierung/des Schuldenportfolios. Der Einsatz von Finanzderivaten zu spekulativen Zwecken ist nicht zugelassen.“ Das Problem ist nicht, dass die Spitzenverbände Ratschläge zum Umgang mit den genannten Finanzierungsinstrumenten geben – das Problem ist, dass sich diese Ratschläge nahtlos in die Einbindung der Kommunalfinanzen in den Finanzmarkt einfügen. Das verändert mehr und mehr Denk- und Handlungsweisen in Verwaltung und Politik – und stärkt die Rolle von Teilen der Verwaltung gegenüber der Politik. Außerdem ist es doch so, dass selbst dann, wenn ein solches Geschäft gut geht, jemand die Gewinne der Beteiligten erwirtschaften und bezahlen muss. Öffentliche Finanzen werden so unmittelbar zu einem Moment der Stärkung der Wirkungstiefe der finanzkapitalistischen Verflechtungen und darauf aufbauenden Interessenkongruenz von Teilen der Verwaltung und der Wirtschaft. Es ist gefährlich, wenn, wie einige Aussagen der Anhörung nahe legen, die Finanzierung der Kommunen abhängiger vom Finanzmarkt wird. Der Vertreter der Deutschen Bank sagte völlig richtig, dass es auch zum Wirtschaften gehöre, „das jemand Risiken übernehme.“ Aber wohlgemerkt – es geht hier nicht um Risiken unternehmerischer Natur, sondern um Risiken, die entstehen, um kommunale Leistungen zu erbringen, von denen zumal Unternehmen wie die Deutsche Bank profitieren.

Eine wesentliche Konsequenz der in der Anhörung deutlich werdenden gegensätzlichen Sichtweisen ist, dass Haushaltspolitik gerade in den Kommunen viel stärker Gegenstand von Auseinandersetzungen um Transparenz und Mitwirkung seitens der BürgerInnen werden muss. Der Schock der Finanzkrise ist in Teilen der Politik und in weiten teilen des Bankensektors verdaut, man wird wieder aggressiv. Die Hinterzimmerpolitik, die in der Haushaltspolitik immer noch Norm ist, begünstigt die Finanzialisierung des Kommunalen, die Abhängigkeit der Kommunen von Finanzgeschäften. Das ist aber keine Grundlage nachhaltiger Politik, schon gar nicht nachhaltiger Finanzpolitik.

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1 Kommentar (Öffnen | Schließen)

1 Kommentar Empfänger "120 Prozent Zins"

#1 Kommentar von Judith Dellheim am April 6, 2011 00000004 11:27 pm 130213242311Mi, 06 Apr 2011 23:27:03 +0000

Hinweis:
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