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Regelmäßig kehren in Krisenzeiten die Wellen der Wachstumskritik zurück.

Regelmäßig bleibt unklar, worauf sie sich jeweils bezieht. Häufig geraten die Ebenen der Kritik durcheinander. 1. Da geht es zunächst um Wachstum durch Kapitalverwertung, um Mehrwertproduktion, Profit, seine Wiederanlage, also Akkumulation auf erweiterter Stufenleiter. Theoretisch kann sich Kapital verwerten (relativ) entkoppelt vom stofflichen Verbrauch, etwa bei warenförmigen Dienstleistungen oder digitalen Gütern. Empirisch war wachsende Verwertung bisher allerdings immer mit steigenden Ressourcen- und Energieverbrauch verbunden. 2. Etwas anderes liegen die Dinge beim Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP).Hier fließen unterschiedliche Dinge zusammen: es gehen sowohl auf Gewinn-orientierte private wie staatliche Produktion als auch nicht-Gewinn-orientierte Tätigkeiten wie staatliche Dienstleistungen oder in nicht-staatlichen Betrieben des so genannten Dritten Sektors ein. Ob es sich um stoffliche oder nicht-stoffliche Produktion handelt ist egal – alle geldvermittelten Leistungen werden im BIP verwurschtet, so auch die Reparatur sozialer oder ökologischer Schäden. Die Milliarden zur Bekämpfung der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko steigerten das BIP der USA beträchtlich. 3. Nicht eingeht hingegen die Produktions- und Reproduktionsarbeit im unbezahlten, meist häuslichen Bereich. Immerhin schätzt die UN, das 50 Prozent der weltweit geleisteten Arbeit in diesem Bereich erbracht werden. Eine unerlässliche gesellschaftliche Stütze, die nirgends erfasst wird. 4. Ökologisch relevant ist eigentlich nur das stoffliche und energetische Wachstum. Inwiefern eine Entkopplung der
Stoff- und Energieströme von den ökonomischen Strömen erfolgen kann, ist einer der Knackpunkte jeder Form der Produktion, ob kapitalistisch oder nicht. Der Verwertungs- und Akkumulationszwang der kapitalistischen Produktionsweise macht eine exponentielle Reduktion des Stoff- und Energieumsatzes möglicherweise unwahrscheinlich. 5. Eine öko-feministische, aber auch kommunistische Perspektive: Wenn es um den Einsatz menschlicher und natürlicher Ressourcen in einer bedürfnisorientierten Ökonomie geht, hat das nicht unbedingt etwas mit Wert, Geld, Verwertung, Löhnen zu tun, sondern mit der partizipativen gesellschaftlichen Einsatz von Ressourcen und ihrer Verteilung. In einer Reproduktionsökonomie, geht es um Bedürfnisse und eine Ökonomie, die sich qualitativ entwickeln, aber nicht mehr quantitativ stofflich wachsen müssen. Wirtschaftlich spielt die Wachstumsfrage hier eigentlich keine Rolle, stofflich und energetisch wird es einfacher, bleibt aber als Problem immer zu beachten. Diese unterschiedlichen Ebenen, v.a. der Formcharakter der Produktion werden in den Debatten um Wachstum oft nicht explizit gemacht. Dann werden Debatten rasch zu Glaubensfragen oder verfehlen Macht- und Eigentumsfragen. Es macht einen Unterschied, ob wir über profit- oder bedürfnisorientierte Produktion sprechen, über stofflichen Warenkonsum oder Zeit- und Beziehungsreichtum, über Lohnabhängige oder die freie Assoziation von Produzenten. Entscheidend ist beim Reden über die Überwindung eines schädlichen Wachstums oder über (Post)Wachstum, wohin die Transformation gehen soll. Andernfalls geht die Wachstumskritik ins Leere.

Mehr dazu beim Kongress “Jenseits des Wachstums?!”, 20.-22. Mai 2011, TU-Berlin: www.jenseits-des-wachstums.de

3 Responses to “Was zum Teufel wächst da eigentlich?”

  1. was oft auch noch reinläuft in die debatte, zumindest wenn sie breitensportlich geführt wird, ist eine form der wachstumskritik, die technischen fortschritt ablehnt. es wäre also zu berücksichtigen: inwiefern läßt eine politisch gebotene wachstumskritik (punkte 1 und 4) durchaus raum für wachstum und fortschritt im sinne von produktivkraftentwicklung. oder umgekehrt: ist letztere vielleicht nicht einmal kein hindernis sondern sogar notwendige voraussetzung für einen ausstieg aus dem wachstum? ein wichtiger schritt in richtung emanzipation der (re)produktion wären kriterien für wachstumskritische produktivkraftentwicklung.

  2. Mario Candeias sagt:

    genau, die größte produktivkraft ist menschliche kreativität und kooperation. entscheidend ist wie und wozu diese entwicklung eingesetzt wird. da muss überhaupt nix grundsätzlich wachsen, weder stofflich noch in der wertform…

  3. […] Comments « Was zum Teufel wächst da eigentlich? […]

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