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Am 15.1.2011 veranstaltete das Denkwerk Zukunft seine zweite internationale Konferenz. Unter dem Titel „Weichen stellen. Wege zu zukunftsfähigen Lebensweisen“ berieten ca. 400 Menschen, wie in unserem Alltag die Stoff- und Energieumsätze drastisch reduziert werden könnten. Das war zweifellos interessant und brachte neue Einsichten und Anregungen. Schließlich sind selten in wenigen Stunden so namhafte Persönlichkeiten des globalisierten Kultur- und Geisteslebens wie Juliet B. Schor, Gerald Hüther, Elena Esposito, Peter Sloterdijk, Herfried Münkler, Harald Welzer, Michael von Brück und Meinhard Miegel erlebbar. Wahrlich selten erfährt man so plastisch den Nachweis, dass „Europa“ von anderen Kulturen lernen kann, wie Dasho Karma Ura, Diego Hangartner und Sulak Sivaraksa ihn lieferten. Und so konnte man Vieles lernen, um sich und andere intellektuell zu motivieren, mit weniger Energie- und Stoffverbrauch zu leben und dies als Gewinn an Lebensqualität zu sehen.

Die Veranstalter/innen und Referent/innen konnten sich über das lebhafte Interesse und die Aufnahmebereitschaft der Anwesenden freuen. Die Konferenz verlief harmonisch. Doch in den letzten Minuten kamen das überfällige „Ja, aber!“ und der symbolische Faustschlag auf den Tisch: Harald Welzer weigerte sich, beim Appell an den „guten Willen“ zu verharren und den Individuen die Verantwortung dafür zuzuweisen, dass sich die Gesellschaft nachhaltig entwickelt. Schließlich stehen zumindest zwei Fragen: Was hindert uns denn außer unseren Gewohnheiten daran, ökologisch verantwortungsvoll zu handeln? Und was verhindert, dass unser Wille zu ökologischer Vernunft wirklich die Lage der sozial und global Ärmsten verbessert?

Angesichts ihrer Leiden, der sozialen, ökologischen und globalen Probleme war Welzers Protest nur angebracht: Der Zeitpunkt, da allmähliches Umdenken und Umsteuern den Zusammenbruch der überlasteten Ökosysteme verhindern könnte, ist lange vorbei. Schon lange siechen und sterben Arme an den Folgen globaler Erwärmung und schwindender Biodiversiät. Das Vegetieren von Menschen, Armut und soziale Ausgrenzung waren nie tolerabel. Jetzt muss diesen Menschen geholfen werden und das bedeutet Kampf gegen die Verursacher ihres Elends. Dass dieser Kampf nicht wie notwendig geführt wird, hängt damit zusammen, dass die Verursacher in den industrialisierten Regionen dieser Welt einen Konsens mit den Bevölkerungsmehrheiten ihrer Gesellschaften schließen konnten. Dieser basiert nicht zuletzt auf Energie- und Ressourcenkonsum und geht mit der Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen einher.

“Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik hat eine Variante des Tötens aus dem Kolonialkrieg wieder aufgenommen, die als überflüssig oder schädlich definierte Personen nicht einfach beseitigte, sondern der Vernichtungsgewalt noch ein Maximum an Nutzen abgewann: ‘Vernichtung durch Arbeit.’ ” (Welzer 2010: 37-38)

“Das 21. Jahrhundert ist in Ermangelung zukunftsfähiger Gesellschaftsmodelle utopiefern und ressourcennah – es wird getötet, weil die Täter jene Ressourcen beanspruchen, die die Opfer haben oder auch nur haben möchten. …

Mit der Verbreitung und Spürbarkeit der Klimafolgen, mit dem Wachsen von Not, Migration und Gewalt, wird sich der Problemlösungsdruck  verschärfen und der mentale Raum einengen. Die Wahrscheinlichkeit irrationaler und kontraproduktiver Lösungsstrategien erhöht sich. Das gilt insbesondere für die Gewaltproblematik, die durch den Klimawandel verschärft wird. Es besteht aller historischen Erfahrung nach eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, die den Status von Überflüssigen bekommen und die Wohlstands- und Sicherheitsbedürfnisse von Etablierten zu bedrohen scheinen, in großer Zahl zu Tode kommen werden; sei es durch fehlendes Wasser und mangelnde Ernährung , sei es durch Kriege an der Grenze, sei es durch Bürgerkriege und zwischenstaatliche Konflikte infolge veränderter Umweltbedingungen. Das ist keine normative Aussage; sie entspricht lediglich dem, was man aus Lösungen gefühlter Probleme im zwanzigstem Jahrhundert gelernt haben kann.” (Welzer, Harald, 2010: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, 276,)[1]

Die Linken und so DIE LINKE. sind also dringend gefordert, Lebensweisen, Konsum, VerbraucherInnenpolitik und „Sicherheit“ zur Schwerpunkten ihres politischen Alltags zu machen. Der vorliegende Entwurf für ein Parteiprogramm der LINKEn wird diesem MUSS nicht gerecht. Ein Grund mehr, jene im Umfeld der Partei zu unterstützen, die wie Rudolf Mondelaers und Wolfgang Hahn in fünf Punkten Anforderungen an linke VerbraucherInnenpolitik formulieren: „Erstens, VerbraucherInnenpolitik muss über den Horizont des gegebenen Konsummodells hinausschauen, muss den Verbraucher/innen helfen, dieses Modell kritisch zu hinterfragen. VerbraucherInnenpolitik  muss zweitens mit Blick auf Alternativen über den individuellen Konsum hinaus auch die Bereiche der gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Konsumtion ins Auge fassen. Drittens hat VerbraucherInnenpolitik die soziale Differenzierung der Konsumentinnen und Konsumenten zu beachten, d. h., dass unvermeidbare Einschränkungen und Kostensteigerungen beim Umbau nicht zu Lasten der sozial Schwachen gehen dürfen. Viertens muss sich VerbraucherInnenpolitik zur aktiven Einflussnahme auf die Produktion befähigen. Und fünftens schließlich wird VerbraucherInnenpolitik von links davon ausgehen, dass der Übergang zu einer nachhaltigen, anspruchsvollen und erfüllten Lebensweise nur gelingen kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihre ureigenen Angelegenheiten selbstbestimmt und selbstverantwortlich regeln.“

(die-linke.de/fileadmin/download/zusammenschluesse/wipo/beitraege_wipo/beitraege_wipo_dezember2010.pdf)


[1] Harald Welzer ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Er zeigt detailliert, wie in sozial ungleichen, strukturell gespaltenen Gesellschaften unter wachsendem Problemdruck und damit unter zunehmendem Handlungsdruck gesellschaftliche Akteure, ihre  Psychologie, Werte und Kultur sich gegenseitig verstärkende Dynamiken und Dimensionen von Gewalt auslösen. Er demonstriert, wie diese Gewalt mit der Kategorisierung von Menschen einhergeht, deren Interessen und Rechte von den Gewaltbereiten bzw. Gewaltfähigen mit Verweis auf eine Bedrohung bzw. auf einen SIE- im Unterschied zum WIR-sein eingeschränkt werden und bleiben (sollen); wie bei an Kompliziertheit und Komplexität zunehmender Problementwicklung und damit weiter wachsendem Handlungsdruck die sich gegenseitig verstärkenden Dynamiken und Dimensionen von Gewalt durch führende Akteure bei Konsens, Akzeptanz und Toleranz anderer in die weitere Verfestigung von Hierarchien, in weitere Absenkung und sogar Negation der Rechte für jene mit den bereits eingeschränkten Rechten münden.

One Response to “… und Harald Welzer provozierte”

  1. […] leben, letztlich verstrahlt jedoch alles in Wärme. Da hilft weder der Appell gegen, noch Strafen für die Verschwendung. This entry was posted in Greentech, Zukunft. Bookmark the permalink. […]

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