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Neugierig auf Bürgerhaushalt

Das Portal buergerhaushalt.de berichtet in letzter Zeit verstärkt über Formen der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Haushaltspolitik, die vor allem auf die Kürzung von Ausgaben orientiert sind. Besonders hervorgehoben wird dabei das „Solinger Modell“. Auch das nächste Treffen des bundesweiten Netzwerks „Bürgerhaushalt“ im Februar steht unter dem Titel „Sparen mit Bürgerhaushalt?“
Immerhin ist damit jetzt offensichtlich gelungen, was der Bertelsmann-Stiftung mit dem Modellprojekt Bürgerhaushalt Anfang der 2000er Jahre nicht vergönnt war – die Umdeutung des Ansatzes von Porto Alegre von einem Demokratisierungs- in einen Sparkurs-Legitimationsprozess.
Vor diesem Hintergrund ist es angebracht, sich wieder auf die Wurzeln der Idee der Demokratisierung von Haushaltspolitik zu besinnen. Der Haushalt ist zu wichtig, als dass man ein Instrument wie den Bürgerhaushalt einfach SparvollstreckerInnen überlassen sollte.
Um sich die Möglichkeiten der Nutzung des BürgerInnenhaushaltes in den Auseinandersetzungen um Grundrichtungen von Politik zu vergegenwärtigen, kann ein gerade erschienenes Büchlein vielleicht hilfreich sein. Jochen Franzke und Heinz Kleger haben vor einigen Wochen eine Broschüre unter den Titel „Bürgerhaushalte. Chancen und Grenzen“ veröffentlicht. Die Autoren spannen den Bogen von der Idee aus Porto Alegre über die ersten Schritte in Deutschland bis hin zu den gegenwärtig realisierten Praxen. Dabei stellen sie in konzentrierter Form verschiedene Herangehensweisen vor und ordnen die Veränderungen in den Kommunen in weitergehende Trends im Verständnis von Kommunalpolitik ein. Sie beziehen unter anderem die Diskussionen zur „Bürgerkommune“ und zu einer geschlechtersensiblen Haushaltspolitik (Gender Budgeting) in ihre Untersuchung mit ein.
Die Darlegungen der Autoren machen durchaus deutlich, dass der Bürgerhaushalt zu einem Feld der Auseinandersetzung um die Potenziale von Formen direkter Demokratie (wie man den Bürgerhaushalt nach dem Modell von Porto Alegre verstehen kann) geworden ist. Sie verweisen darauf, dass bereits in einem frühen Stadium Demokratisierung von Haushaltspolitik als „illusorisch“ betrachtet wurde. Übrigens trifft sich diese von akademisch-etablierter Seite formulierte Vorbehalt mit dem Blick vieler AktivistInnen aus dem linken und gewerkschaftlichen Spektrum – so jedenfalls die Erfahrung vieler Diskussionen. Franzke/Kleger zeigen die Vielfalt der Möglichkeiten, die eine Offenheit gegenüber dem Anliegen der Demokratisierung von Haushaltspolitik innewohnen. Sie betonen, dass Bürgerhaushalte nicht wertfrei sind. Bei der Darlegung der Beispiel nehmen die Autoren keine Bewertung vor – diese Arbeit der Bestimmung der „Werthaltigkeit“ muss LeserIn selbst leisten. Im abschließenden Abschnitt gehen die Autoren auf Wirkungen, offene Fragen und Probleme ein. Sie stellen fest, dass die Bürgerhaushalte „bislang unterbilanzierte Werte in den politischen Prozess“ einführen (also bestimmte Interessenlagen, die keine Berücksichtigung in der Arbeit der Verwaltungen und Parteien finden), dass damit aber nicht automatisch eine „Stärkung des Vertrauens in die Kommunalpolitik“ verbunden sei. Diese Frage wird an dieser Stelle nicht weiter verfolgt, ist aber eine zentrale Aussage. Untersuchungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung (auch in Kooperation mit Projektpartnern vor allem in Brasilien) zu dieser Frage haben immer wieder gezeigt, dass die Demokratisierung von Haushaltspolitik ein anderes politisches Handeln gerade linker PolitikerInnen und Organisationen erfordert. Viele der von Franzke und Kleger dann aufgeworfenen Fragen, etwa die Probleme „marginalisierte Gruppen“ zu erreichen, mangelnde Repräsentativität usw. werden ihre Lösung nicht in einer weiteren Verfeinerung von Verfahren durch die Verwaltung, sondern nur durch die Mobilisierung, die Aneignung dieser Verfahren durch die BürgerInnen finden. So ist zuzustimmen, wenn es abschließend heißt: „Ein langer Atem ist … allerdings erforderlich. Die geschilderten Probleme sind nicht so gravierend, dass sie dagegen sprechen, es mit diesem Instrument wenigstens zu versuchen. Oft werden allzu schnelle Bilanzen gezogen.“
Eine Broschüre also, die neugierig auf Bürgerhaushalt macht.

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