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“Strategien für die Welt nach der Krise. Europäisches Wachstum steigern”

Für jahrelange aufmerksame Beobachter/innen gab es nichts oder kaum Überraschendes auf dem nunmehr 11. Brüsseler Wirtschaftsforum, dem europäischen Ableger des Weltwirtschaftsforums. Das macht einen Vergleich mit den vorangegangenen Foren nicht überflüssig. Hatte man früher Feierstimmung, die durch attraktive Geschenke für die Teilnehmer/innen und übermäßige kulinarische Angebote unterstrichen wurde, dominierte nun nüchterne Sachlichkeit. Das könnte ja Ausdruck von Lernen und Angemessenheit sein – schließlich ging 2009 das EU-BIP um 4% gegenüber 2008 zurück, stieg die Zahl der Arbeitslosen auf offiziell 23 Millionen -, aber der Wandel schränkt den Blickwinkel und demokratische Spielregeln ein: Gab es bisher die klare Orientierung auf globalen Meinungsaustausch, ging es nunmehr um Konzentration auf eigene Botschaften. Demonstrierte man zuvor Interesse an Diskussionen mit Kritiker/innen, wurde jetzt auf Zusammenhalt eingeschworen. Ließ man zehn Jahre lang Äußerungen der Hörenden zu, durften 2010 nur schriftlich Fragen gestellt werden.

Der Kulturwandel fand seine Fortsetzung in ständiger Legitimation von Maßnahmen der Europäischen Kommission durch ihre Vertreter/innen und vor allem in einer noch stärkeren Marginalisierung der ohnehin immer marginalisierten sozialen, ökologischen und globalen Probleme – trotz Rede von der kohlenstoffarmen Wirtschaft. Das Einschwören fokussiert auf den Zusammenhalt der Europäischen Union, womit vor allem der staatliche und institutionelle gemeint ist, nicht recht der soziale. Es orientiert auf Akzeptanz der konzipierten Lissabon-Nachfolgestrategie EU2020 minus Aussagen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Kurzformel: Die staatlichen Akteure in ihren Ländern, die Kooperation unter den Regierenden innerhalb der Union und ihr Zusammenspiel mit den EU-Institutionen sollen für jene Balance zwischen Regulierung und Markt sorgen, die notwendig ist, um über den Gemeinsamen Markt die globale Konkurrenzfähigkeit der Union zu stärken und damit Wachstum und Beschäftigung zu maximieren. Dabei käme Strukturreformen, nachhaltigen öffentlichen Finanzen und umweltfreundlichen Technologien eine besondere Schlüsselstellung zu, wofür Stabilität der Finanzsysteme, erneuerbare Energien, Atomenergie, CCS und e-Mobilität die Schlagworte waren. Damit „Europa“ in der komplizierten Welt voller Unsicherheiten erfolgreich bleiben/erfolgreicher werden könne, müssten alle Akteure zugunsten wirtschaftlicher und fiskalischer Anpassung handeln – auch Deutschland und die Banken.

Die linke Antwort also wäre: „Reclaim the Budget“, um endlich den Einstieg in den sozialökologischen Umbau zu meistern.

Konkreter: 1) In seiner Grußadresse orientierte Wirtschaftskommissar Olli Rehn auf Strukturreformen, um verlorenen Boden zurück zu gewinnen, Produktivität, Wachstum und Beschäftigung zu steigern. Die EU-Wirtschaft erhole sich von ihrer bisher tiefsten Rezession. Die kritische Frage sei, ob die Realwirtschaft genug gefestigt wäre, um eine erneute Finanzturbulenz zu überstehen. Um das in der Strategie EU2020 geforderte nachhaltige, intelligente und inklusive Wirtschaftswachstum realisieren zu können, seien drei Aufgaben zu lösen: Erstens, den richtigen Zeitpunkt und die richtige Art und Weise des Ausstiegs aus den staatlichen Anti-Krisen-Stützungsprogrammen zu meisten; zweitens zeitgleich damit die notwendigen Strukturreformen zu realisieren, um das Wachstum zu fördern; drittens in die kohlenstoffarme Wirtschaft und das grüne Wachstum zu investieren, was angesichts der wachsenden globalen Nachfrage nach fossilen Energieträgern in europäischem Eigeninteresse sei.

2) In seiner Eröffnungsrede referierte der Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy über “Lehren aus der Krise”. Er nannte die gegenwärtige Wirtschaftssituation “Post-Rezession”, die den Weg zur “Post-Krise” einleiten soll. Die “Krisenlehren” basieren auf der Idee, dass die Priorität der Wirtschaftspolitik fiskalische Stabilität sei, damit die öffentlichen Schulden nicht außer Kontrolle gerieten und  Finanzturbulenzen effektiver bekämpft werden könnten. Damit gehe es um Krisenprävention und Krisenmanagement, weshalb der Europäische Rat gemeinsam mit den Europäischen Institutionen eine Task Force geschaffen habe.  Diese besteht aus Repräsentanten der 27 EU-Mitgliedsländer, dem Präsidenten des Europäischen Rates, Kommissar Rehn von der Europäischen Kommission, Premierminister Juncker von der Eurogruppe. Die Task Force habe vier Hauptziele: Erstens für mehr Budgetdisziplin zu sorgen, zweitens die Divergenzen zwischen den Mitgliedsländern bezüglich ihrer Konkurrenzfähigkeit zu reduzieren, drittens einen effektiven Krisenmechanismus zu schaffen, um solche Probleme lösen zu können, die heute die Eurozone belasten, viertens die institutionelle Kooperation und Koordinierung zu stärken. Es gehe also um Handlungsfähigkeit, die gerade angesichts der antieuropäischen Stimmungen gefordert sei.

3) Der Vorsitzende der Europäischen Kommissar José Manuel Barroso nannte drei Hauptherausforderungen: „ein konstruktives Zusammenspiel nationalstaatlicher und europäischer Erwägungen sichern“, eine mehr „sensitive Balance zwischen der Effektivität der Marktkräfte und wirtschaftlicher Kohäsion“ ermöglichen, wirtschaftliche und fiskalische Anpassung vollziehen und zugleich „Wachstum schützen“. Er thematisierte Nationalismus, Frust und gefährliche antieuropäische Stimmungen und forderte von den Regierungen ein resolutes Gegensteuern, wofür auch und insbesondere die politische Auseinandersetzung mit Akteuren des Finanzsektors nötig sei.

Besonders wichtig sei, den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die europäischen Institutionen zu stärken. Beides gehöre zusammen und „wir“ brauchten mehr Aufsicht über die finanzpolitischen Akteure; die Stärkung von Europäischer Kommission, EZB und ECOFIN und ihres Zusammenspieles sowie der Kooperation mit den Regierungen.

Die Bemühungen zum Ausgleich der öffentlichen Finanzen und so zur Stärkung der Finanzaufsicht müssten  aus zwei Gründen mit der Strategie EU2020 verbunden werden: Finanzfonds könnten effektiver eingesetzt werden, würden sie mit Strukturreformen verbunden; Wachstum sei nicht zuletzt eine Frage der Qualität staatlicher Finanzen – der Ausgaben für Bildung, Forschung und Innovation sowie der Rentenreformen.

4) EU-Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard macht strikte Reduktionsziele als Chance für die Innovationstätigkeit der Industrie aus. Würde sie genutzt, könnte die Konkurrenzfähigkeit „Europas Industrie“ gesteigert werden, was Wachstum und Beschäftigung zu gute käme. Ineffiziente Anlagen würden uns noch Jahrzehnte belasten. Der krisenbedingte Rückgang klimarelevanter Emissionen  sollte nicht den Druck zu notwendigen Investitionen und zur Anhebung der Reduktionsziele 2020 für CO2-Emissionen von 20 auf 30% mindern. Die Industrie solle ihre (insbesondere 2009) nicht genutzten Emissionsrechte aufbewahren und in der Handelsperiode 2013 bis 2020 nutzen. Der Preis für die Emissionsrechte sei zu niedrig, weshalb der Anreiz fehle, in Innovationen zu investieren. Er müsse folglich erhöht werden.

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