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Die Ergebnisse der Unterhauswahlen:

Konservative 36,1% +3,8 306 Mandate (+97)

Labour 29% -6,2 258 Mandate (-91)

Liberaldemokraten 23% +1,0 57 Mandate (-5)

“Others” 11,9% 28 Mandate darunter: Scottish National Party 6 Mandate (=) / Schottland Plaid Cymru 3 Mandate (+1) / Wales Democratic Unionist Party 8 Mandate (-1) /Nordirland Sinn Féin 5 Mandate (=) /Nordirland Social Democratic & Labour Party 3 Mandate (=) / Nordirland Alliance Party 1 Mandat (+1) / Nordirland Green Party 1 Mandat (+1). Unabhängige 1 Mandat.

Das Ergebnis der Unterhauswahlen vom 6. Mai liegt im Wesentlichen im Trend der Umfragen der letzten Monate. Ausgeblieben ist der massive Durchbruch der Liberaldemokraten, der im April möglich erschien. Die LibDem haben zwar auf 23% leicht zugelegt, ihr bestes Ergebnis seit der Wahl von 1983, als die Alliance von Labour-Abspaltung SDP und Liberals mit rund 25% nur knapp hinter Labour landete, aber trotzdem nur etwa 20 Mandate errang. Mit 57 Mandaten haben die LD jedoch 5 Sitze eingebüsst und bleiben somit unter den Zahlen von 2001 und 2005.

Labour hat erwartungsgemäß verloren und liegt mit 29% nur knapp über dem historischen Tief von 1983 (Hintergrund damals: Falkland-Krieg von 1982, tiefe Spaltung der Labour Party, z.T. doktrinäre Orientierung der Partei, beginnende Popularität neoliberaler Politik u.a.). Mit 258 Sitzen verlor Labour zwar 91 gegenüber 2005, ist jedoch nach wie vor stärker als die Partei etwa 1983/1987 war, und nur geringfügig schwächer als etwa 1979 und 1992. In Abhängigkeit von einer möglichen, wenn auch schwierigen, innerparteilichen Regeneration sowie externen Faktoren ist damit der Weg zurück zur politischen Mehrheit weniger weit, als dies nach dem Machtverlust 1979 der Fall war. Dies ist freilich ein Denken in den Kategorien des reinen Mehrheitswahlrechtes (“first past the post” oder “winner takes all”), dessen Zukunft offen ist. Während Labour in früheren Jahrzehnten teilweise Opfer des Mehrheitswahlrechtes war (insbesondere 1951, als die Partei bei einer Wahlbeteiligung von über 80% fast 49% der Stimmen errang, ihr bestes absolutes Ergebnis ihrer Geschichte und das zweithöchste Einzelstimmenergebnis aller Parteien jemals, und dennoch die Regierungsmehrheit verlor), und während die langen Thatcher-Major-.Jahre von 1979 bis 1997 auf nie mehr als 44% der Stimmen basierten, hat Labour seit 1997 massiv vom Wahlrecht profitiert. Mit Ergebnissen von rund 43 bzw.. 41% wurden 1997 und 2001 Mehrheiten von annähernd 2/3 der Mandate errungen. Und 2005 reichten selbst 35% noch zu einer souveränen Mehrheit – etwas, was es so vorher noch nie geben hatte.

Frühzeitig signalisierten die Umfragen, dass die Tories einen deutlichen Stimmenvorsprung brauchen würden, um eine parlamentarische Mehrheit zu erringen. Ein Vorsprung von 7% auf Labour, hat bekanntlich nicht gereicht. 36% für die Tories bedeuten zwar spürbare Zuwächse gegenüber 1997/2001 und leichte gegenüber 2005, jedoch nicht den erhofften großen Durchbruch. Entsprechend ist Cameron mit 306 Mandaten 20 Sitze von der eigenen Mehrheit entfernt. Die Wahlbeteiligung, die in GB nach einem Hoch in den 1950erJahren mit teilweise deutlich über 80% lange Jahre lang zwischen 71 und 79% schwankte, sank bei Blairs zweitem, deshalb nur scheinbar großem Sieg von 2001 auf 59%, so wenig wie zuletzt 1918. Sie erholte sich 2005 nur leicht auf 61% und stieg diesmal auf 65% – eine Entwicklung gegen den Trend in vielen Ländern (in gewisser Weise die USA bei Präsidentschaftswahlen ausgenommen), bleibt aber, historisch betrachtet, niedrig. Somit liegt Camerons Partei mit deutlich unter 11 Millionen Stimmen weit hinter dem Ergebnis von John Major von 1992 (14 Millionen), dem all time high einer britischen Partei in absoluten Zahlen.

12% der Stimmen gingen an andere Parteien und Kandidatinnen und Kandidaten, eine Zahl, die sich jedoch regional sehr differenziert darstellt. Parteien mit einem zumindest teilweisen Unions-weiten Anspruch sind nur noch die Grünen, die UK Independence Party und die British National Party. Während die Grünen mit rund einem Prozent der Stimmen und knapp 300.000 Stimmen landesweit stagnierten, gelang ihnen in Brighton mit ihrer Kandidatin Caroline Lucas der erstmalige Einzug ins Unterhaus. Interessant am Rande: Die ersten vier Plätze in diesem Wahlkreis gingen alle an Frauen. Deutliche Zuwächse auf gut 3 bzw.. knapp 2% erzielten die UKIP, die stark im EP vertreten ist, und die BNP. Beide verfehlten jedoch den Einzug ins Unterhaus, wobei der mittlerweile auch national und medial bekannte BNP-Chef Nick Griffin im Londoner East End bei seiner stark beachteten Kandidatur mit rund 15% der Stimmen nur auf Platz 3 kam. Dennoch verbergen sich hinter den Ergebnissen von UKIP und BNP rund 1,5 Millionen Stimmen für eine traditionell rechtsnationale bzw… eine dezidierte Rechtsaußen-Partei. Unabhängige lokale Kandidatinnen und Kandidaten haben durchweg den Einzug ins Unterhaus verpasst, von einer im später noch zu nennenden Ausnahme in Nordirland abgesehen.Nach dem alle Parteien betreffenden “Spesenskandal” der MP’s war dies nicht unbedingt zu erwarten. Kleine linke Parteien und linke Kandidatinnen und Kandidaten haben nicht von der verbreiteten Unzufriedenheit mit Labour profitiert. Im Gegenteil verlor Respect – the Unity Coalition, ein heterogenes Bündnis des schillernden Georg Gallwoway mit Anti-Irakkriegs-Gruppen, Trotzkisten und islamischen Gruppen, das m.E. in der deutschen Linken zu unkritisch betrachtet wurde, ihren 2005 errungenen Sitz in London; Galloway erzielte aber mit rund 17% in seinem Wahlkreis einen Achtungserfolg. Auch im Herzland Labours in Südwales eroberte Labour den Wahlkreis Blaenau Gwent, den von 1929 bis 1992 mit Aneurin Bevan und Michael Foot Ikonen der Labour-Linken mit Ergebnissen von teilweise über 75% errungen gehalten hatten, von einem linksunabhängigen Abgeordneten zurück. Der Verlust dieses Wahlkreises war ein Zeichen von massiver Unzufriedenheit mit Blairs Kurs aus dezidiert linker, aber auch schlicht traditioneller Labour-Sicht. Auch in Schottland büsste die zu Beginn der 2000er Jahre noch so hoffnungsvolle Scottish Socialist Party, mittlerweile gespalten, die Reste ihres Anhangs ein und ist wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückgekehrt, aus der es neue und alte linke Kleingruppen auch diesmal nicht herausgeschafft haben.

Eine regionale Betrachtung zeigt nicht nur die traditionellen Differenzierungen des UK, sondern auch Abweichungen vom Trend des Jahres 2010. Dies gilt insbesondere für Schottland, wo Labour, traditionell dominierend, in den letzten Jahren nicht nur die Regionalregierung an die Scottish National Party verloren hatte, sondern auch mehrere Nachwahlen. Nun steigerte die Labour Party aber ihren Stimmenanteil um 2,5% auf 42% und verteidigte alle 41 von ihr gehaltenen Sitze. SNP und LibDem kamen wiederum auf jeweils knapp 20% und 6 bzw.. 11 Sitze, die Tories stagnierten bei gut 16% und stellen weiterhin nur einen der 59 schottischen Sitze. Die Grünen blieben weit hinter ihren Regionalwahlerfolgen zurück. UKIP und BNP spielen keine Rolle. In Wales, mehr noch als Schottland ein traditioneller stronghold Labours, setzte sich der Niedergang Labours fort. Mit nur wenig mehr als 36% erzielte Labour eines der schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte, während die Tories mit gut 26% einen deutlichen Zuwachs erzielten. Trotz Verlusten stellt Labour aber immer noch 26 der 40 walisischen Sitze, die Tories kommen auf 26% und 8 Sitze, bei nur leichten Veränderungen kommt die Regionalpartei Plaid Cymru auf 11% und 3 Mandate, die LD auf 20% und ebenfalls 3 Sitze. UKIP und BNP bleiben leicht unter ihren englischen Ergebnissen, schneiden jedoch deutlich stärker als in Schottland ab. In England, wo 4/5 der Mandate vergeben werden, eroberten die Tories ihre 1997 nach langer Zeit erstmals verlorene Mehrheit wieder zurück. Mit knapp 40% der Stimmen errangen sie 297 der 533 englischen Mandate (ein Wahlkreis wählt erst Ende Mai) – ginge es also nur nach England, wäre Cameron schon am Freitag in Downing Street Nr. 10 eingezogen. Labour ist in England mit 28% und 191 Sitzen im Prinzip auf den Stand vor Tony Blair zurückgeworfen worden. Alte regionale Unterschied wurden im Wesentlichen wiederhergestellt: In Südengland, von Cornwall bis in den Südosten und Osten, liegt Labour zwischen 15 und 20% und damit hinter den LibDem auf Platz 3. Die Tories sind in ihre absolut dominierende Stellung in den traditionell prosperierenden Regionen zurückgekehrt. Starke, teilweise überproportionale Verluste erlitt Labour auch in den bei engen Wahlen immer umkämpften Midlands sowie in ihren Hochburgen im Norden. Dort konnte sie aber, trotz starker Stimmenverluste, den Platz als stärkste Partei und eine Mehrheit der Sitze verteidigen. In den Midlands und im Norden schnitt die BNP am besten ab. Gegen den Trend verlor Labour in London nur gut 2% und bleib nach Stimmen und Sitzen stärkste Partei in der mittlerweile vom konservativen Exzentriker Boris Johnson regierten Hauptstadt.

Noch stärker als Schottland, erst Recht als Wales, ist Nordirland seit mehr als 4 Jahrzehnten ein Sonderfall. Zwar gibt es Parteien in GB und Nordirland, die sich nahe stehen (Social Democratic and Labour Party und Labour, Alliance Party und LD), aber nur die Konservativen versuchten, an die alte Tradition von Unionisten und Konservativen anzuknüpfen, indem sie mit der lange dominierenden, seit 2003 / 2005 aber nur noch zweite Kraft des Unionismus, der Ulster Unionist Party, kooperierten. Doch bleib dieses Bündnis erfolglos, die UUP verlor ihr letztes Mandat. Während im übrigen UK die Wahlbeteiligung stieg, sank sie in Nordirland stark auf rund 58%. Allerdings differierte sie lokal stark, dort, wo enge Ergebnisse zu erwarten waren, blieb sie stabil, in Wahlkreisen mit klaren Mehrheitsverhältnissen sank die Beteiligung um teilweise mehr als 10%. Verlierer der Wahlen in Nordirland sind beide großen unionistischen Parteien. Die Democratic Unionist Party, jahrzehntelang Hardlinerin im unionistisch-protestantischen Lager, seit 2007 aber mit Sinn Féin regierend, verlor deutlich an Stimmen, verteidigte aber 8 ihrer 9 Sitze. Sinn Féin gewann leicht an Prozenten hinzu (bei in absoluten Zahlen leichten Verlusten) und ist mit 25,5% zum ersten Mal in der Geschichte Nordirlands stärkste Partei, wenn auch mit konstant 5 Mandaten parlamentarisch weiterhin auf dem zweiten Platz. Dabei verteidigte Michelle Gildernew von SF gegen einen unabhängigen unionistischen Kandidaten ihren Wahlkreis mit gerade einmal 4 Stimmen – wohl das knappste Ergebnis im ganzen UK. Die seit Jahrzehnten dominierenden SF-Politiker Gerry Adams (bei absoluten Stimmenverlusten, aber relativen Gewinnen nunmehr über 71% der Stimmen in West-Belfast) und Martin McGuiness (52% in Ulster-Mid) gehören zu den Gewinnern, was angesichts der enttäuschten Hoffnungen auf deutliche Zugewinne in der Republik Irland und gravierende Probleme um Adams verstorbenen Vater und Bruder nicht als sicher galt. Unabhängige sozialistische und/oder radikale republikanische Kandidatinnen und Kandidaten blieben, von einem Achtungserfolg (Eamon McCann) abgesehen, bedeutungslos. Spektakulär war der Sieg der bürgerlichen, dem Anspruch nach überkonfessionellen und multiethnischen Alliance Party in Belfast East, wo sie dem First Minister der Regionalregierung, dem DUP-Chef Peter Robinson, das Mandat abnahm. Die Folgen für die Regionalregierung, die gerade die lange heftig umstrittene Verlagerung der Zuständigkeiten für Justiz und Polizei nach Belfast vereinbart hat, sind offen, ebenso die Zukunft von Robinson und die beiden unionistischen Parteien. Die moderat irisch-katholische SDLP errang mit rund einem Sechstel der Stimmen wiederum 3 Mandate. Erstmals in der nordirischen Geschichte haben damit unionistische Parteien keine klare Mehrheit mehr.

Die Regierungsfrage: Erstmals seit den Februar-Wahlen 1974 (wegen des knappen Ausgangs gab es im Oktober eine zweite Wahl, die Labour knapp gewann) hat selbst das reine Mehrheitswahlrecht keine klare Mehrheit produziert. Erstmals seit 1979 (Labour büsste durch Austritte und Nachwahlen im Laufe der Legislaturperiode 1974-79 seine Mehrheit ein) wird es eine Minderheitsregierung geben – oder, noch ungewöhnlicher, eine Koalitionsregierung. Die letzte endete im Mai 1945 nach dem Sieg über Nazi-Deutschland, aus den folgenden Wahlen ging nicht Churchill, sondern Attlees Labour Party als klare Siegerin hervor. Die Tories sind in diesem hung parliament 20 Sitze von einer Mehrheit entfernt. Mit den 57 Sitzen der Liberalen hätten sie eine deutliche Mehrheit von 363 der 650 Sitze. Ideologisch sind die Liberalen unter ihrem – wieder einmal- neuen Vorsitzenden Nick Clegg weniger linksliberal, als dies vor einigen Jahren der Fall war. Entsprechend ins das Verhandlungsmandat für Clegg zu Gesprächen mit den Tories nicht so überraschend, wenngleich die Mehrheit der liberalen Wähler sich eher einem progressiven Lib-Lab-Lager zuordnen dürfte. In Fragen der Europa- und Einwanderungspolitik, auch der Verteidigungspolitik und Fragen der inneren Sicherheit und Bürgerrechte, liegen Labour und Tories nicht so weit auseinander, hier haben die LibDem mit beiden erhebliche Differenzen. Wirtschafts–, Finanz- und sozialpolitisch stehen die LibDem gegenwärtig, anders als vor einigen Jahren, eher in der Mitte zwischen beiden Parteien. Entscheidend für Clegg sollte die Frage einer Wahlrechtsreform sein, die zuletzt in den neunziger Jahren auf der Agenda progressiver Kreise stand. Hier ist Cameron wesentlich ablehnender als Labour, das zumindest für ein Referendum in dieser Frage offen ist. Klar ist, dass nach britischer Gewohnheit, in der meist schon am Tag nach der Wahl im Kern klar ist, wer regiert, ein großer Zeitdruck für die Gespräche zur Regierungsbildung besteht. Problematisch für einen LibLab-Pakt, der Ideen- und organisationsgeschichtlich an die die progressive Allianz der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg anknüpft und auch jetzt kulturell naheliegender wäre, ist aber die fehlende Mehrheit selbst für Labour und LD zusammen: 315 anstelle der nötigen 326 Sitze. Denkbar wäre eine bunte Unterstützungsschar, sehr wahrscheinlich mit PC, wahrscheinlich den Grünen, unter Umständen der SNP, vielleicht der SDLP und der Alliance Party aus Nordirland. Selbst bei dieser breitest möglichen Konstellation wären das aber nur 330 Stimmen, zu wenig und zu heterogen für eine längerfristig stabile Regierung. Insofern spricht, sollte es nicht zu einer Vereinbarung von Tories und Liberalen kommen, manches für eine Minderheitsregierung, die Neuwahlen in näherer Zukunft anstrebt.

Sehr unwahrscheinlich ist eine politische Zukunft für Gordon Brown, der der wohl mächtigste und am längsten amtierende Schatzkanzler seit einem Jahrhundert war, als Premierminister aber, selbst bei freundlicher Betrachtung, glücklos blieb. Der zuletzt ungeliebte Tony Blair bleibt mit drei Wahlsiegen noch vor Harold Wilson (4 Wahlsiege bei 5 Antritten) und Clement Attlee (der von 1945 bis 1951 Labours politisch erfolgreichste Regierung führte) Labours elektoral erfolgreichster Parteichef. Brown vermied 2007 das Risiko einer snap election, die ihm möglicher Weise einen knappen Sieg, begünstigt durch den Neuen-Bonus, eingebracht hätte. Wie John Major reizte er die Legislaturperiode voll aus, wie Major 1997 konnte das seine klare Niederlage nicht verhindern.

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