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Beschäftigte der Europäischen Kommission haben Anfang vergangener Woche zwei Papiere vorgelegt, in denen sie die öffentliche Konsultation zum Arbeitsdokument für eine „Strategie EU2020“ auswerten. Ihre Einschätzung, dass das Herangehen, die Prioritäten und Grundideen des Arbeitsdokuments breit geteilt würden, rief den Protest von NGOs aus dem Sozial- und Umweltbereich hervor. So sprachen z. B. Conny Reuter, Präsident der Sozialplattform, von einer „totalen Fehlcharakterisierung“ und John Hontelez, Generalsekretär des Europäischen Umweltbüros, von einem „zu rosigen Bild“.Die Materialien aus dem Apparat der Europäischen Kommission fokussieren eindeutig auf Stellungnahmen seitens „der Wirtschaft“, insbesondere des Europäischen Runden Tisches (ERT). Dessen „Vision für ein konkurrenzfähiges Europa 2025“ ist zumindest aus zwei Gründen lesenswert: Zum einen zeigt das Papier, dass bereits das Arbeitsdokument der Kommission stark vom ERT beeinflusst war. Zum anderen, dass die ERT-Stellungnahme zum Kommissions-Dokument darauf zielt, die Kommission noch stärker im Sinne der „Vision für ein konkurrenzfähiges Europa 2025“ zu drängen. Sowohl im Kommissionsvorschlag als auch im ERT-Paper ist von „Transformation“ die Rede.

Der kritisierte Umgang mit den Stellungnahmen sozialer und ökologischer NGO zeigt, wessen Interessen für die Europäische Kommission relevanter sind, dass nach wie vor vom Grundgedanken ausgegangen wird: „Gut ist, was für die Mächtigen in der Wirtschaft gut ist“.

In der „Vision Europa 2025“ heißt es: „Europa ist ein integraler Teil der Weltwirtschaft. Sein ökonomischer Erfolg gründet sich auf Offenheit gegenüber der Welt. Und heute wandelt sich diese Welt rapide. Die globalen Megatrends stellen neue Herausforderungen dar und die entstehenden Wirtschaften spielen in den globalen Angelegenheiten eine zunehmend wichtige Rolle. Europa muss sich selbst transformieren, um mit den globalen Entwicklungen das Wohlbefinden unserer Gesellschaften erhalten und stärken zu können. Eine moderne industrielle und technologische Basis wird in dieser wesentlichen Transformation eine zentrale Rolle spielen. Eine mutige Vision wird gebraucht, um die notwendigen Veränderungen zu führen und die Konsistenz der Entscheidungen zu sichern, die für die Zukunft zu treffen sind.“

„Mutig“, weil politische Widerstände zu überwinden seien. Dies begründe nicht zuletzt die Publikation „Globale Trends 2025: eine transformierte Welt“ des US-amerikanischen National Intelligence Council (NIC)“, die die „Situation Europas im globalen Kontext 2025 marginal erscheinen lässt.“

Die Ursachen dafür seien innere Widersprüche, die wirtschaftliche Dynamik mindern. Das beträfe die unterschiedlichen politischen Prioritäten der EU-Mitgliedstaaten, die eine effektive Außenpolitik verhindern würden, mangelnde wirtschaftliche Liberalisierung, die Wirtschaft schwächende „uneffektive“ Reformen der sozialen Sicherungssysteme, die unzulängliche Integration und Stabilisierung der EU-Nachbarn.

Die Probleme sollten insbesondere dadurch gelöst werden, dass Wirtschaft, Bildung und Regierung über „Drehtüren“ verbunden seien und eine „Kultur der engen Kooperation“ pflegen. Mit anderen Worten: Die wichtigsten Akteure in den Regierungen und Bildungssystemen müssten den Interessen der führenden Wirtschaftsakteure besser Rechnung tragen. Dabei hätten die EU-Institutionen zu helfen. „Die EU sollte sich selbst in die Lage versetzen, als verantwortungsvoller Akteur globale Entwicklungen zu führen und zu gestalten.“

Die Ausgangsbedingungen seien eigentlich gut. Europa könne sehr wohl seine freie Marktwirtschaft stärken und den Wohlstand seiner Gesellschaften mehren. Eine ökologiefreundliche Wirtschaft mit neuen Technologien vermöge hohe Beschäftigung und soziale Standards zu sichern. Europas Prosperität und soziales Niveau könnten und sollten seine globale Konkurrenzfähigkeit forcieren. Dafür müsse es attraktiv für Binneninvestitionen bleiben und attraktiver für ausländische Investitionen werden. „Ein wachstumsfreundliches Geschäftsklima und ein hohes Niveau an Prosperität und sozialem Wohlstand sollen die besten Gelehrten aus der Welt magnetisch anziehen.“

Die Vision „Europa 2025“ zeichnet sich durch fünf Merkmale aus: 1. „Weltmeister in nachhaltigem Wachstum“ und 2. „gut in die globalen Märkte eingebettet und respektiert“ sein, 3. „eine entfesselte Innovationsmacht“ darstellen, 4. „Menschen, Bildung und Kultur Produktivität forcieren“ lassen und 5. „das Modell entschiedener, zuverlässiger und transparenter Governance“ realisieren.

„Nachhaltig“ soll als „ein Multi-Facetten-Konzept verstanden werden“, was gesteigerte Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen mit dem Sitz in der EU meint.

Die Politikempfehlungen überraschen nicht: die Rückkehr zu nachhaltigen Finanzen sichern; den Binnenmarkt besser funktionierend machen – ihn bezüglich der Teilnehmer und der erfassten Bereiche ausdehnen, ihn liberalisieren und sein Gewicht in der Gesellschaft erhöhen; die sozialen Sicherungssysteme privatisieren; staatliche Programme zur Steigerung der Energieeffizienz auflegen; mit PPP arbeiten und das öffentliche Beschaffungswesen umgestalten; Fonds für Forschung und Entwicklung sowie für Innovation einrichten; die geistigen Eigentumsrechte im Interesse der Konzerne regeln; die Rohstoffabhängigkeit abbauen; Partnerschaften im Interesse der Wirtschaft anbahnen bzw. entwickeln; offene Grenzen für Hochqualifizierte schaffen und Zollfreiheit herstellen; „EU2020“ umsetzen; Regulierung modernisieren, Kohärenz von Energie- und Klimapolitik herstellen.

Ergo: Regierung und Staat sollen bessere Ressourcenbeschaffer werden und die Mitglieder der Gesellschaft wirtschaftsfreundlicher machen.

In der vergangenen Woche legte ERT nochmals nach und ließ seinen Generalsekretär Wim Philippa z. B. erklären: „Um ein besseres Gleichgewicht zwischen sozialem Zusammenhalt und finanzieller Tragfähigkeit zu gewährleisten“, sollten Patientinnen und Patienten für ihre eigenen Gesundheitskosten haften. Dafür müsse man sich mit den verschiedenen Interessengruppen energischer auseinandersetzen.

Wenn es dann um den Airbus-Militärtransporter A400M geht, droht Merkel keine ERT-Kritik, wenn sie erklärt: „Es muss alles getan werden, um eine Lösung zu finden.“ Da sie nunmehr zur Verfechterin einer EU-Wirtschaftsregierung wurde, wäre schon gesichert, dass diese auch den Mächtigsten in der Wirtschaft dienen würde.

Ärgerlich ist, dass es die Linken im offiziellen politischen System (mal wieder) versäumt haben, eigene Positionen und Konzepte in die Konsultation zur „EU2020“ einzubringen und damit zu beweisen, dass sie die „besseren Europäer/innen“ sind. „Bessere Europäer/innen, weil sie sich für eine EU für alle hier Lebenden engagieren, die demokratisch und solidarisch globale Probleme gerecht lösen hilft.

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