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Rückblick auf das 3. Sozialforum in Deutschland

Engagierten Wendländer Frauen und Männern ist dafür zu danken, dass in Hitzacker das Bedürfnis nach Sozialforen und Sozialforumsprozessen klar artikuliert werden konnte. Das ist keineswegs wenig und selbstverständlich, denn schon beim 2. Sozialforum in Deutschland (Herbst 2007) musste resümiert werden, dass in Westeuropa und vor allem in Deutschland die Sozialforumsbewegung noch nicht angekommen und teilweise wieder vom Weg abgekommen sei. Die Entwicklung der TeilnehmerInnenzahlen, zeitgleich zum 3. Sozialforum tagende Gremien und entstandene parallele Strukturen wie z. B. das „Krisenbündnis 28.3.“, die Prinzipien der Sozialforen nutzen, aber nicht auf deren breite Spektrenvielfalt zielen, machen deutlich: die Sozialforumsprozesse stagnieren weiterhin bzw. sind rückläufig. Ihre vielfach eingeschätzte geringe Effektivität erklärt das Desinteresse verschiedener Akteure und deren „Rückbesinnung“ auf eher traditionelle Politikformen und Praktiken.
Im vorliegenden Beitrag wird zum einen die These vertreten, dass die Ursachen für die Sozialforums-Probleme wesentlich mit dem Verständnis von Politik zu tun haben. Zum anderen wird erklärt, dass es notwendig ist, auf kontinuierliche politische Sozialforumsprozesse zu fokussieren statt auf die vielfach eher organisatorische Vorbereitung von Sozialforen als Events.

„Effektivitätsfragen“ können nicht diskutiert werden ohne Verweis auf die historischen Argumente für Sozialforen – für offene Räume, in denen all jene willkommen sind, die sich zur Analyse gesellschaftlicher Zustände, zu gesellschaftspolitischen Alternativen sowie zu Wegen ihrer Realisierung austauschen möchten und dabei der Idee „alle Menschenrechte für jede und jeden“ anhängen. Das gilt auch für kollektive Akteure bzw. ihre Vertreter/innen, sofern es sich nicht um Gesandte des offiziellen politischen Systems (Parteien), der Verwaltungen und bewaffneter Strukturen handelt. Das Setzen auf individuelle und kollektive Lernprozesse, auf Konsens und neue politische Gemeinsamkeit geht aus Selbstkritik und Selbstreflexion hervor, aus Einsichten aus dem Scheitern traditioneller Bündnispolitik und aus der Analyse von Erfahrungen indigener Befreiungsbewegungen insbesondere in Lateinamerika. Es zielt auf eine emanzipative solidarische Kultur als Voraussetzung für erfolgreiche linke bzw. demokratisch-sozialistische Politik.

„Politik“ wird hier verstanden als das Ringen von Menschen um die Durchsetzung ihrer Interessen, als aktive Auseinandersetzung mit der Ordnung, nach der die Individuen sich bewegen (sollen), mit den Verhältnissen zwischen ihnen. „Politik“ ist Kampf zur Verteidigung oder Veränderung von Akteurspositionen und
–konstellationen in der Gesellschaft.

Der gesellschaftliche und wissenschaftliche Mainstream und zahlreiche Linke verbinden jedoch Politik vor allem mit dem Staat, mit Parteien, mit dem parlamentarischen System, mit Organisationshandeln in Bezug auf die Verwaltung der Gesellschaft.
Wenn man ausgehend davon an Probleme menschlicher Lebensverhältnisse herangeht, müssen diese entsprechend der staatlichen bzw. parlamentarischen Ressortteilung bearbeitet werden. Dabei steht fortwährend die Frage nach der Rangfolge, den konkreten Adressaten von Forderungen und der zuständigen Verwaltungsebene. Aber menschliche Lebensbedingungen betreffen immer zugleich die körperliche und seelische Unversehrtheit der Individuen, ihre individuelle Freiheit und mögliche Einflussnahme auf gesellschaftliche Arbeit und Entwicklungen, auf die Verhältnisse untereinander inner- und außerhalb ihres territorialen Lebensmittelpunktes, ihre Bildung, medizinische Betreuung und soziale Absicherung, die Verfasstheit ihrer natürlichen Lebensbedingungen. Die Menschen leben immer in Geschlechterverhältnissen und Lebensgemeinschaften.

Der Streit über die Rangfolge von Problemen – so beim Ausspielen von Arbeitsplätzen gegen ökologische Erfordernisse – und über Verwaltungsadressaten erschwert die Verabredung gemeinsamer Aktionen und die Entwicklung gesellschaftspolitischer Allianzen.

Wenn wir anders und eher im oben vorgestellten (Marxschen) Verständnis an „Politik“ herangehen, können und müssen weitaus mehr Akteure eingeladen werden, gemeinsame Positionen zu suchen, zu finden und in politisches Handeln umzusetzen. Je stärker dabei Akteure wirken, die sozial und ökologisch zerstörerische Prozesse strukturell zurückdrängen und letztendlich überwinden, die Richtung und die Art und Weise gesellschaftlicher Entwicklung radikal verändern wollen, je mehr geht es um politisches Agieren statt Reagieren auf Angriffe „von oben“.
Die Effektivität von Sozialforumsprozessen wäre also danach zu bewerten, inwiefern sie helfen, die Politikwirksamkeit der Linken zu mehren, linke gesellschaftspolitische Allianzen zu organisieren und zu qualifizieren. Genau darauf zielen die „gemeinsamen Projekte demokratischer Gesellschaftsveränderung“, die auf der Versammlung sozialer Bewegungen in Hitzacker verabredet wurden. Deshalb heißt es dort weiter, dass wir „auf kollektives Lernen [setzen] und wissen, dass wir uns selbst verändern müssen“.
An solchen Projekten arbeiten, eigene Handlungs- und Aktionsfähigkeit entwickeln und in der gesellschaftspolitischen Praxis beweisen, gemeinsam lernen und sich selbst verändern aber kann man nicht, wenn man nur auf Sozialforen bzw. deren organisatorischen Vorbereitungstreffen zusammenkommt. Es geht um die ständige Kommunikation und Kooperation jener, die sich auf Sozialforen ausgetauscht haben und die u. a. dafür wirken, dass auf dem nächsten Sozialforum Erfahrungen auswertet, neu hinzu Gewonnenen Zwischenergebnisse der Arbeit an den „gemeinsamen Projekten demokratischer Gesellschaftsveränderung“ vorgestellt und gemeinsam diskutiert werden. Dass neue Aktionen und Vorhaben verabredet werden und dass das Miteinander auch Spaß macht und ermutigt.

Dass linke Politik Spaß machen und ermutigen kann, war in Hitzacker erlebbar und das ist das besondere Verdienst von Christina, Monika, Simon, Arne …

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