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Merkel kam nicht …

von Friederike Habermann

Merkel kam nicht, Obama auch nicht – genau genommen: Kein Staatsoberhaupt eines Industrielandes ließ sich sehen auf dem Welthungergipfel der Uno-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO). Ausgenommen der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der seiner Gastgeberrolle gerecht zu werden hatte.
Über eine Milliarde Menschen hungern, das sind hundertundfünfzig Millionen mehr als vor der jüngsten Hungerkrise. Es ist historischer Höchststand. Und um dabei einem Missverständnis vorzubeugen: Es liegt nicht an der angeblichen ´Bevölkerungsexplosion´ und nicht an braunen Frauen, die kleine Kinder mit und ohne Kopftuch in die Welt setzen. Auch die Lebensmittelproduktion hat einen historischen Höchststand erreicht – wohlgemerkt: pro Kopf.
Kurz vor dem Gipfel riefen der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban-Ki Moon, und weitere oberste UN-VertreterInnen zu einem globalen 24-Stunden-Hungerstreik auf, um auf diese Situation aufmerksam zu machen und um Solidarität auszudrücken.
Gleichzeitig startete das World Food Program (WFP) der Vereinten Nationen einen Aufruf für individuelle Spenden gegen den weltweiten Hunger. Dieses jüngste Welternährungsprogramm mit dem Namen „Billion for a Billion – Eine Milliarde für eine Milliarde“ zielt darauf, zweimal eine Milliarde Menschen zu erreichen: als Nehmende und als Gebende. „Wenn eine Milliarde Internetnutzende einen Dollar oder Euro in der Woche spenden, dann können wir buchstäblich das Leben einer Milliarde Menschen in der ganzen Welt verändern“, stellte die WFP-Direktorin das Programm vor. Eine Milliarde Menschen zu ernähren sehe wie eine Herausforderung aus, aber kleine Spenden könnten einen großen Unterschied machen, sagte sie weiter. „Jahr ein, Jahr aus haben Regierungen das WFP unterstützt in seiner Mission, die Hungrigsten dieser Welt zu ernähren, aber man kann nicht erwarten, dass sie alleine dies weiterhin tun“.
Moment. Bitte nochmal für Dummies.
Wenn die Staaten jahrelang etwas getan haben, dann sind jetzt wir – die Menschen – dran? Mein Staat hat etwas gegeben, also jetzt ich? Gilt das auch für anderes? Militärausgaben zum Beispiel? Mein Staat hat jahrelang den Krieg am Hindukusch finanziert, also jetzt auch ich? Einmal die Woche ein Euro käme allerdings nicht hin. Die Militärausgaben erreichen mit 31,2 Milliarden Euro dieses Jahr ebenfalls einen historischen Rekord, und Deutschland hätte das Problem, dass seine Bevölkerung nicht eine ganze Milliarde zählt, sondern nur läppische 80 Millionen, das macht dann schon 7 Euro und 50 Cent pro Woche. Babies und Punks mit eingerechnet.
Wesentlich teurer aber kommt mich die Bankenkrise. Hier musste niemand in Hungerstreik gehen, um allein in Europa (nach einem Bericht der EU-Kommission) Hilfspakete und Bürgschaften für mal eben fünf Billionen Euro, mit anderen Worten 5 000 Milliarden (oder auch 5 000 000 000 000) schnüren zu lassen. Zwar wird nur mit bis zu zwei Billionen absolutem Verlust am Ende gerechnet, doch solche Betrachtungen spielen beim Hunger ja auch keine Rolle – oder wird argumentiert, wer nicht verhungert, kann dann weiter zum weltweiten Bruttosozialprodukt beitragen?
Andererseits, wenn mein Staat und ich uns abwechseln beim Ausgeben, dann doch wohl auch beim Einnehmen? Die letzten Jahre hat mein Staat die Steuern eingenommen, jetzt ich! Und wer das Geld gibt, bestimmt!
Dann bestimme ich, dass ab sofort das Geld in das Welternährungsprogramm fließt statt in den Hindukusch – um mal einen Anfang zu machen. Und es reicht ja auch schon: Die Tatsache, dass über eine Milliarden Menschen täglich weniger als 1900 Kilokalorien zu sich nehmen können, dass sie sich oft apathisch durch den Tag schleppen, dass ihre Gedanken sich um nichts anderes drehen können, dass Mütter versuchen, ihre Kinder in den Schlaf zu wiegen, um sie vom Essen abzulenken, dass diese wiederum nie ihre Intelligenz und anderen Fähigkeiten werden voll entwickeln können – all dies würde die Welt tatsächlich nur 23 Milliarden im Jahr kosten.
In Rom kam es unter den verbleibenden Staaten zu keinem handfesten Ergebnis. Vielleicht fällt uns – den Menschen – ja etwas ein, was wir außer Hungerstreiks noch an Solidaritätsaktionen durchführen können. Und sei es Zuhören: Bewegungen aus dem Süden fordern seit Jahren Ernährungssouveränität. Um das zu erreichen, braucht es nicht einmal den Euro pro Woche. Sondern eine gerechtere Welt. Ohne Hunger.

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