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Hans-Werner Sinn ist ein Freund klarer Worte. So stellt er völlig berechtigt fest: „Nun hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Alarm geschlagen und darauf hingewiesen, dass den westeuropäischen Banken das Schlimmste erst noch bevorsteht. Der Grund: Sie hätten ihre Abschreibungen auf toxische Finanzprodukte noch nicht in dem Maße offengelegt wie ihre amerikanischen Wettbewerber. Der Konjunkturzyklus laufe versetzt, und insbesondere Deutschland habe es versäumt, die Banken bei der Umsetzung seines Bad-Bank-Konzepts zu mehr Bilanzwahrheit zu verpflichten. Bis zum zweiten Quartal 2009 seien in Westeuropa erst gut 40 Prozent der erforderlichen Abschreibungen in den Bankbilanzen realisiert worden, moniert der IWF.“ Auch Soffin ist besorgt über den Zustand der Banken. Auch wenn der Trend nun zu „weniger komplexen Produkten“ gehen soll – die mit der Verbriefungspraxis verbundenen Risiken werden auch durch neue Regulierungsschritte nicht nennenswert verringert.
Ja so ist es. Niedrige Zinsen, explodierender Goldpreis bei gleichzeitig intensivem Börsengeschäft, wirtschaftliche Aktivität weit unter dem Niveau des Vorjahres – es ist noch viel Geld im System, das lediglich Frucht der Spekulation ist. Es besteht somit wahrlich kein Grund, ein Ende der krisenhaften Entwicklung auszurufen. Dies umso mehr, als dass die Erhöhung der Produktion vor allem auf die Entwicklung im Bausektor zurückgeht, der wiederum durch die Projekte des Konjunkturpaket II stimuliert wurde.
Folgerichtig verschwinden nun langsam die Versprechungen aus dem Wahlkampf in der Versenkung. Nun soll es doch keine Steuersenkungen geben. Die FDP möchte eine PKW-Maut. Und man denkt über ein Bürgergeld nach, das selbst vom Handelsblatt als verdeckter Kombilohn erkannt wird. Schließlich steht auch das Arbeitsrecht wieder unter Beschuss.
Nicht nur in der Regierung, unter den Herrschenden selbst fehlt momentan jede Idee einer Reform, die den Widersprüchen des finanzinvestorengetriebenen Kapitalismus (Huffschmid) Raum gibt. Nach der Verdammung der gierigen Banker kommt – nichts. Jeder weitere Schritt hätte tiefgehende Wirkungen auf das System insgesamt. Deshalb auch der Ausschluss der Öffentlichkeit aus der Konjunkturpolitik, wie sie jetzt selbst in Medien beklagt wird.
Mithin spricht alles dafür, dass die Öffentlichkeit von Politik jetzt eine zentrale Forderung sein muss. Es ist zentral zu sagen, was ist, um Entsolidarisierung entgegenzuwirken. Denn das faktische Eingeständnis der Unmöglichkeit, mit den im Wahlkampf propagierten Mitteln die Krise lösen zu können, bedeutet im Umkehrschluss die Eröffnung eine neuen Runde des Drucks auf breite Krise der Bevölkerung. Ratlosigkeit mit versucht, mit forschem Handeln zu kaschieren, wie schon vor einem Jahr. Was zählt, ist die Stabilität der eigenen Macht. Das kann die Hemmschwelle beim Griff zu repressiven Methoden gefährlich schnell senken. Egal, wessen Logik man folgt: der eines Sinn, der Preise (dazu gehören für ihn auch Löhne und Sozialleistungen) für unendlich elastisch hält oder der eines Bernanke, für den monetäre Instrumente bei richtigem Einsatz zum Gleichgewicht führen – zu guter letzt werden die Rechnung von den Lohnabhängigen zu zahlen sein, wenn nicht eine neue Qualität von Widerstand erreicht werden kann.
Bewegungen waren dann erfolgreich, wenn sie solidaritätsfähig waren. Das ist jetzt die zentrale Frage. In den fünfziger und sechziger Jahren wurden solche Wege gefunden. Leider werden diese Erfahrungen kaum gewürdigt, liegen sie doch in den Zeiten des überwundenen „Fordismus“.

Neue Ansätze suchen und ein positives Projekt entwickeln

Vielleicht ist es nötig, den Ansatz für eine neue Qualität von Solidarität unter folgendem Gesichtspunkt zu diskutieren.
Die neue Solidarität ist ein Ausdruck eines Mitte-Unten-Bündnisses, das neue Spielräume emanzipatorischer Veränderung schaffen kann. Der Differenzierungsprozess unter den Lohnabhängigen, der für die eine Seite mit dem Begriff des Prekariats, für die andere mit Stammbelegschaften usw. beschrieben wird, wird als Ressource für Veränderung verstanden. Die Neue Solidarität ist Form ihrer gemeinsamen (Selbst)Organisierung ohne den unmittelbaren Druck des Fabriksystems (der „fordistischen Produktionsweise“) in einer arbeitsteilig globalisierten Gesellschaft. Sie knüpft an die selbstorganisatorischen Potenziale an, die auf verschiedene Art und Weise dem Prekariat wie dem lohnabhängigen Nicht-Prekariat, der Mitte und dem Unten sowie den Akteuren im Globalen Norden wie dem Globalen Süden eigen sind. Sie ist moralischer, politischer und kultureller Kodex dieses Bündnisses. Sie ist a priori nur global möglich, da die Herrschaftsvermittlung tatsächlich global ist.
Prekariat und Nicht-Prekariat als Aufhebung der traditionellen Arbeiterklasse verstanden entwickeln in der Neuen Solidarität neue Wege der Gesellschaftsveränderungen, sie kommen in diesem Rahmen zum Bewusstsein ihrer Gemeinsamkeit. Sie muss und kann in viel höherem Maße als die Alte Solidarität Resultat bewusster Aneignung der Welt sein, was sie in viel höherem Maße als kulturelles Projekt setzt.
Widerstand muss so mit einem positiven Projekt verbunden werden. Dabei wird dem Staat und der Nutzung seiner Potenziale eine zentrale Rolle zukommen – ob man das nun abstrakt gut findet oder nicht. Denn der Widerstand gegen derartige Veränderungen wird groß sein. Diese Auseinandersetzung erfasst auch die Sphäre der Herrschenden. Dazu noch einmal Hans-Werner Sinn: „Wenn die Banken neues Eigenkapital nicht am Markt einsammeln können, muss es vom Staat kommen. Noch immer liegen von den 80 Milliarden Euro, die der Bund als Eigenkapital zur Verfügung gestellt hat, 60 Milliarden Euro ungenutzt herum. Ich begreife nicht, dass es im liberalen Amerika möglich war, die Rekapitalisierung der Banken auf dem Wege der staatlichen Beteiligung zu erzwingen, während sich das staatsgläubige Deutschland als handlungsunfähig erweist. Und man komme hier nicht mit der EU, die das angeblich verhindert. Die EU wird nichts verhindern, wenn Deutschland seine wirtschaftliche Existenz sichern will. Wenn sich der Staat in der Krise am Eigenkapital der Banken beteiligt, rettet er die Banken, ohne die Bankaktionäre zu retten. Das ist die richtige Strategie, um den Banken auch langfristig die richtigen Anreize für ihr Geschäft zu setzen.“
Nun, er mag es nicht begreifen – aber hier geht es eben um knallharte Interessen. Staatlicher Eingriff ist aus der Sicht anderer Fraktionen eben Delegitimierung des Systems überhaupt: Zuletzt sind sie alle IdeologInnen.
Es blieb der anglikanischen Kirche vorbehalten, den Hedgefonds die Absolution zu erteilen: “Die Kirche von England warnt davor, die hochspekulativen Fonds zu stark zu regulieren. In einem Brief an den zuständigen Ausschuss des britischen Oberhauses warnte die Investmentgesellschaft der Kirche vor “ernsten Folgen” strengerer Regeln. Die EU-Pläne in der aktuellen Form würden “unsere wohltätige Arbeit und unsere Leistungen für das öffentliche Wohl stark einschränken”, heißt es in dem Schreiben, das die Kirche zusammen mit fünf britischen Wohltätigkeitsorganisationen verfasste.”
Das ist nicht einfach nur lächerlich – es zeigt, wie tief die krisenauslösenden Strukturen, die Abhängigkeiten von ihnen und die damit verbundenen Denkweisen bereits in der Gesellschaft verankert sind. Wie sagte schon Marx: “Die englische Hochkirche z.B. verzeiht eher den Angriff auf 38 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf 1/39 ihres Geldeinkommens.” (Das Kapital.Band 1 S.16) Das mag alles ganz anders gemeint sein, das Resultat ist aber eben die Apologetik der Verhältnisse.

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