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“Ich wuchs mit der nuklearen Bedrohung auf”, beginnt das Ich in Nick Harkaways großartig 3703754326_3e59304dbbgeschriebenem SF-Comic-Kriegsbuch auf S. 378 das Kapitel Acht von  “Die gelöschte Welt” :

“Ich wuchs mit der nuklearen Bedrohung auf. Sie wohnte an der nächsten Ecke und begleitete mich zur Schule. Gonzo und ich spielten manchmal mit ihr, wenn sich die anderen Kinder nicht mit uns abgeben wollten. Wir waren es schließlich so leid, mit dieser verdammten fantasielosen nuklearen Bedrohung Armageddon zu spielen, dass wir sie anflehten, ein anderes Spiel zu lernen, aber es war zwecklos. Meistens saß sie nur hinten im Klassenzimmer herum und nahm übel. Eines Tages aber erfuhren wir, sie sei tot. Manche Leute regten sich sehr darüber auf, aber ich war nur froh, dass ich sie nicht mehr mit mir herumschleppen musste. Kinder können ganz schön selbstsüchtig sein.

Wenn sie genug Zeit haben, können sich Menschen an fast alles gewöhnen. Dabei können sie einen Punkt erreichen, an dem sie es als übel empfinden, als beängstigenden, ungemütlichen und unglaublich gefährlichen Zustand, wenn sie nicht jeden Tag in der Angst leben müssen, wegen eines Streits über die wirtschaftliche Theorie und Praxis zu Plasma verdampft zu werden. Dies ist das Geschenk der Konzentration auf das vermeintlich Wesentliche oder der vorsätzlichen Verleugnung. Jungen sind besonders geschickt darin. Mädchen sind – oder sie waren es dort, wo ich aufwuchs – emotional ausgeglichener und gesünder und finden deshalb die alles andere  ausschließende Fixierung auf Dinosaurier, Systematik, Philatelie und Geopolitik ein bisschen besorgniserregend und traurig. Mädchen können das Gesamtbild leichter erfassen (zum Beispiel: Es wäre vielleicht besser, wegen dieser Sache nicht gleich die ganze Welt zu zerstören), während Jungen den perfekten Blick für das Kleingedruckte haben (zum Beispiel: Diese heimtückische Idee widerspricht den Grundfesten unseres Daseins und darf deshalb nicht neben unserer friedliebenden freien Gesellschaft aufblühen). Bleibt festzuhalten, dass es vermutlich besser wäre, Massenvernichtungswaffen den Mädchen zu überlassen. Jedenfalls waren wir fast beleidigt, als unsere zum Untergang verurteilte letzte Bastion schließlich hinfällig wird, weil wir gerettet werden. Wir hatten uns gerade so gut eingerichtet.”

Den Beginn davon, den langen kulturellen fallout des atomic age, hat Paul Boyer in seinem 1985 publizierten By the Bomb’s Early Light untersucht. Für den größten Teil der Menschheit sitzt die nukleare Apokalypse nur noch als halbvergessener Alien herum. Diesen Anachronismus aufs Tablet zu bringen, ist wahrlich einen Friedensnobelpreis wert. Wie  weit freilich der Weg zu den Kissinger Associates sein wird, bleibt abzuwarten.

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