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No, we didn’t…Aussichten der liberalen Obama-Administration

142_4242-a [1]Nach fast einem ¾ Jahr Regierung Obama ist es immer fraglicher, ob – wie von vielen vermutet – der mit ihr an die Regierungsmacht gekommene Liberalismus die aktuelle Krisenbewältigung politisch so gestalten will oder kann, dass sie strategisch verbunden wird mit (a) einem staatsgetriebenen, elitenkontrollierten Green & Public New Deal – also einem neuen kapitalistischen Akkumulationsmodell, das starke Schwerpunkte setzt auf öffentliche Infrastruktur und Beschäftigung, Gesundheit, Energie, Ökologie – und (b) einer Restabilisierung der globalen Hegemonialrolle der USA, die verbunden ist mit einer Aufwertung kooperativer und nicht-militärischer Elemente in den internationalen Beziehungen.

Ein Realignment?

Damit wird auch fraglich, ob die zunächst breit diskutierte Chance auf ein realignment, also die Bildung eines wahl- und machtpolitisch stabilen und dauerhaften liberalen Blocks der Macht noch realistisch ist, der Spielräume für Optionen auf einen postneoliberalen Entwicklungspfad deutlich ausweiten würde. Bei den Wahlen schnitten die Demokraten stark ab in aufsteigenden, expandierenden und aktiven Wählergruppen: das minority vote (also Hispanos, Afroamerikaner oder Asiaten) ging 80:18 an Obama, höhere Qualifizierte, Professionals, Jugendliche, Frauen und Nicht-Christen präferierten Obama ebenso wie die Bewohner der schnell wachsenden dynamischen Metropolenregionen. Neue Geografie und neue Demografie stehen für die Grundlegung von politischen Möglichkeiten, deren Verwirklichung von anderen Faktoren abhängt. Seit März 2008 ging es schon nicht mehr primär um das Erbe Bushs, um die Kriegsfrage und den Terrorismus, um Moral die culture wars über law and order, God, guns, Abtreibung und Familienwerte (also um die starken Themen der politischen Rechten), sondern zunehmend um Krisenpolitik, die bis heute alles überstrahlt und in deren Windschatten alle anderen aktuellen Fragen der Macht und der strategischen Politik behandelt werden.

Das Korsett der Krisenpolitik

Mittlerweile zeigt sich immer klarer, dass die fast ungebrochene Übernahme der zentralen krisenpolitischen Orientierungen der ausgehenden Regierung Bush durch die wirtschafts- und finanzpolitisch vielfach rechtszentristisch agierende Regierung den engen Rahmen festlegte, der es der neuen Administration außerordentlich erschwerte, in innenpolitischen Fragen vor allem der Sozial-, Gesundheits-, Bürgerrechts- und Umweltpolitik eine strategische Differenz zu dem knappen Jahrzehnt rechtsimperial-neoliberalen Politik aufzumachen und so ihre gewonnene bemerkenswerte Wählerbasis zu festigen oder gar auszuweiten. Erst Recht lässt die Anlage der Kriegs- und Militärpolitik der Regierung solche substantiellen (und nicht bloß rhetorischen und taktischen) Unterschiede vermissen. Differenzen lassen sich dagegen in einer deutlichen, aber noch vagen und nicht stabilen Revitalisierung der Rüstungskontrollpolitik (Nuklearpolitik) und in der politischen Kultur und Rhetorik der Administration erkennen.
Aktuell verstärkt sich daher übrigens auch der Eindruck, dass innerhalb des zweifellos breit angesetzten Personaltableaus der Obama-Administration es zwar eindeutig progressive liberale Besetzungen in Bereichen wie Energie, Umwelt, Wissenschaft, Bürgerrechte, Arbeit und Gesundheit gibt, sie aber innerhalb des Staatsapparates deutlich den starken neoliberalen, rechtszentristischen und liberalimperialen Spitzenclustern in den harten und seit jeher dominanten Politikfeldern der Militär-, Außen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik unterlegen sind (sie erhielten keinen einzigen erstrangigen Kabinettsposten). Bekanntlich ist das Krisenmanagement der Ökonomie fest in den Händen der Alumni von Citigroup und Goldman Sachs und ihrer alten Freunde aus der Clintonzeit. Bis auf den peripher platzierten Fred Bergsten bekam keiner der prominenten Keynesianer oder Postkeynesianer wie Paul Krugman, Joseph Stiglitz oder James Galbraith einen Schlüsselposten in der neuen Administration. Anders formuliert: Obama restaurierte bis hin zu Paul Volcker die politische Macht von Schlüsselautoren der Katastrophe, die aber getrieben werden, ihre Positionen leicht zu modifizieren. Verdienstvolle Milliardärssponsoren wie die Pritzkers baute Obama unmittelbar in sein Beratungsumfeld ein. Angesichts der parlamentarischen Kräftesituation und der sich langsam wieder erholenden politischen Rechten sind die Progressiven auch kaum imstande, in den gegenwärtig auch für die Liberalen und Linken entscheidenden fünf innenpolitischen Schlüsselauseinandersetzungen um die Finanzpolitik, die Gesundheitspolitik, die Beschäftigungspolitik, die Stärkung des Rechts auf gewerkschaftliche Organisierung und die Klimafrage Lösungen durchzusetzen, die zu einer Remobilisierung der seit den Wahlen November 2008 zum Teil entpolitisierten, zum Teil abwartenden oder verunsicherten Wählerbasis beitragen könnten. Diese Wahlbewegung ist in keine radikale politische Bewegung transformiert worden, die einen zusätzlichen Motor bei der Entwicklung einer sozialen Bewegung aus der Krise hätte bilden können. Ohne eine solche Wendung ist abzusehen, dass die dräuenden Zwischenwahlen 2010 die parlamentarische Position der Demokraten kritisch schwächen werden. Deren Politik der Bankenrettung („bailout“) und der Unterstützung der Automobilindustrie findet durchgängig nur bei einem knappen Viertel der amerikanischen Bevölkerung Unterstützung.

Beschäftigungspolitik
Denn schließlich haben seit dem Beginn der Krise im Dezember 2007 6,7 Millionen Beschäftigte ihren Job verloren – die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich. Unter Einschluss der zwangsweise Teilzeit Arbeitenden bzw. „Unterbeschäftigten“ sind nicht 9,4 %, sondern über 16 % arbeitslos, darunter 5 Millionen länger als sechs Monate. Nicht einmal die Hälfte von ihnen erhält Arbeitslosengeld. In den bekannten „Problemgruppen“ (Minoritäten, Jugendliche, Alte etc.) steigen die Quoten auf 25 bis 50 %. Die Arbeitslosigkeit junger Afroamerikaner und Latinos, die Obama zu Hundertausenden wählten, lag im April 2009 bei 35 % bzw. 26,5 %. Allein in New York waren etwa 50 % der schwarzen Männer arbeitslos. Das gesamte Jobwachstum seit Mai 2000 wurde auf einen Schlag beseitigt, allein in der Autoindustrie gingen über 400 000 Jobs verloren. Weit entfernt ist man von den zusätzlichen ca. 100 000 Arbeitsplätzen, die monatlich geschaffen werden müssten, um alleine den Zuwachs der erwerbsfähigen Bevölkerung abzudecken. Um jeden neuen Arbeitsplatz konkurrieren fünf Arbeitslose. Zwar wurden die Bezugszeiten der staatlichen Hilfen verlängert und die Lebensmittelkarten und damit das verfügbare Einkommen erhöht, doch statt massive öffentliche Beschäftigungsprogramme aufzulegen, wurde in zahlreichen Bundesstaaten der öffentliche Beschäftigungssektor abgebaut. Schätzungen zum Beschäftigungseffekt der Konjunkturprogramme gehen davon aus, dass in diesem Jahr ca. eine Million Arbeitsplätze geschaffen werden und dieser Effekt in den nächsten Jahren abnehmen wird. Damit ist man weit davon entfernt, den von der Administration im Übrigen weit unterschätzten Beschäftigungsrückgang zu kompensieren. Das Gewicht dieser fehlgehenden Politik wird noch dadurch vergrößert, als nach Moody`s 2009/2010 ca. sieben Millionen Wohnungen zwangsvollstreckt werden, von denen voraussichtlich ca. 4,5 Millionen weit unter Wert verkauft werden. Umso problematischer ist es, dass es die Administration neuerdings an einer klaren Unterstützung des zentralen politischen Organisationsprojekts der Gewerkschaften fehlen lässt („Employee Fee Choice Act“), bei dem es um die deutlichere Erleichterung der Möglichkeit geht, sich in den Betrieben gewerkschaftlich zu organisieren. Die card check bill steckt im Kongress fest – letztlich dank des konservativen Blocks der Demokraten (10-25%).

Finanzmärkte
In der kurzen, krassen Krisensituation Ende letzten Jahres hat die Bailout-Politik wenige Monate lang (von der Bush-Administration und ihrem mächtigen Personal natürlich nur höchst ungern in Kauf genommene) politische Öffnungen ermöglicht, mit denen es jetzt wieder vorbei ist. Sehr „flexibel“ und „pragmatisch“ sind mittlerweile Hunderte von Milliarden staatlich mobilisierter Mittel in die Finanzindustrie geflossen – ein Bereich übrigens, in dem die Beschäftigungseffekte solcher Mittel weit unterdurchschnittlich sind. Ein Großteil dieser Gelder muss nicht zurückgezahlt werden. Normal wurde es mittlerweile, diese Mittel bei fortlaufender staatlicher Risikogarantie zur Reanimierung riskanter Geschäftsfelder („ungesicherte langlaufende Kredite“) zu benutzen, die Bonusse erneut in die Höhe zu treiben (Jamie Dimon von Morgan: „probably our best year ever“) und die Kreditierung rapide verschuldeter Kommunen und Länder in eine blühende Wachstumsindustrie einiger Banken zu verwandeln. Während das US-Defizit erstmals in der Geschichte des Landes die Billionengrenze streifte, meldete Goldman Sachs für das 2. Quartal 3,44 Mrd. Profit –kein Wunder, dass die New York Times mittlerweile der Bank einen neuen Namen verlieh: „Government Sachs.” Die Mutmaßungen über eine Schwächung der Machtposition der Finanzindustrie werden deutlich vorsichtiger formuliert – schon eher ist von state capture (Simon Johnson) die Rede. Daneben existiert freilich eine Reihe von Zombie Banks (Krugman) wie die Citigroup oder die Bank of America, die nur dank eines grundsätzlich garantierten und nicht enden wollenden Zuflusses staatlicher Mittel noch existieren. Dadurch wird ihre Nationalisierung durch die Federal Deposit Insurance Company hinausgezögert.

Regulierung
Die US-Variante einer Reregulierung allerdings schlägt zwar die Bildung einer Consumer Financial Regulatory Agency vor, lässt ihre Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten jedoch völlig offen. Sie ordnet etwas zusätzliche Macht ausgerechnet einer vom Kongress faktisch völlig unabhängigen und weitgehend geheim operierenden Einrichtung – der Federal Reserve – zu, die seit einem Vierteljahrhundert die neoliberale Politik und die Stärkung der Finanzmärkte bzw. der Macht einiger weniger Spieler massiv vorangetrieben hat, ohne dass dieser zentrale Staatsapparat seinerseits umgebaut würde – schwache Ansätze werden heftig blockiert. Von einer Wende zur Transparenz und öffentlichen Verantwortlichkeit im Regulierungsprozess kann nicht die Rede sein. Die von der Regierung in der Jahresmitte vorgeschlagenen Regulierungen sind folgerichtig zaghaft: leichte Erhöhung des Eigenkapitals, Beachtung „systemischer Risiken“ und etwas kräftigere Kontrolle des Derivatenhandels, weitere exotische Finanzinstrumente bleiben letztlich unbehelligt. Zwar hat sich die Finanzindustrie von der Schwächung ihrer gesamtwirtschaftlichen Position noch nicht erholt, doch dank der riesigen staatlichen Alimentierung hat die Konzentration und Zentralisierung des Finanzkapitals zugenommen. Vor der Krise hatten die drei größten Banken 20% der US-Bank-Einlagen, jetzt sind es 30%. Der liberale Ökonom Simon Johnson vom MIT resümierte in seinem Blog Baselinescenario.com [2] im Juli 2009: “We are looking at a concentration of political power in the US banking system that we haven’t seen since the 1830s.”

144_4435-a [3]Bruchpunkte
Diese Politik führt nach Ansicht der Obama-Regierung und ihren Clintonites dazu, dass sich die Staatsverschuldung von 41 % des BSP auf ca. 80 % verdoppeln wird. Dieses Problem wird in der Bevölkerung zunehmend als übermächtig angesehen, was durch die gesundheitspolitische Linie der Regierung verschärft wird. Damit gibt es zwei politische Bruchpunkte, die nun über den politischen Gehalt dieser Administration entscheiden werden. In der Außenpolitik lebt die späte Militärpolitik von Bush in den Doktrinen und Personaltableaus der Gates, Petraeus, Jones und McChrystal weiter, wird die Kriegführung in Afghanistan intensiviert (Ausweitung der Truppen um 17000 Soldaten und 4000 Berater und Trainer sowie Tausender special forces; Ausweitung des Drohnenkrieges der CIA; Ausweitung der politischen Intervention in die schüttere lokale Machtstruktur; Ausdehnung des Krieges in Pakistan mit der neuen Kriegshauptstadt Islamabad), bleiben die US-Stützpunkte als eigentliche Zentren der Macht im Irak, wird das Militärbudget 2010 den letzten Haushalt des Kriegspräsidenten Bush übertreffen und ist somit trotz einiger Öffnungen für eine andere Politik des bipartisan realism mit multilateralen Akzenten in der Israelpolitik oder der Nuklearpolitik ein Rückbau des globalen „Empire der Stützpunkte“ nicht zu erkennen. Der Fall einer neuen, radikalen Antikriegsbewegung ist unwahrscheinlich. Vieles spricht ebenfalls dafür, dass die sozialstaatsorientierten Kräfte in der Auseinandersetzung um die Gesundheitspolitik unterliegen werden – in der zweiten Jahreshälfte 2009 wird sich dies zeigen.

Obama-Koalition
Dann aber steht zu erwarten, dass sich die bereits 2006 erkennbare Wendung der Reichen und eines Teils der super rich zu den Demokraten (die sich bei der Wahl Obamas fortsetzte) stabilisieren wird. Hinzu kommen nun der Medizin-Industrie-Komplex und relevante Teile des Versicherungskapitals. Wenig bekannt ist die starke Unterstützung, die Obama von Firmen wie Google, Cisco, Apple, Oracle, Hewlett-Packard, Yahoo oder Ebay erhielt und erhält. Das sind die grünen Keynesianer und die Silikonbarone der Computer-, Unterhaltungs- und Kommunikationsindustrie, welche in der Machtelite Washingtons die old economy der General Motors und Exxon langsam, aber definitiv ablösen. Ihr größter Coup war die Verstaatlichung des Automobilkonzerns, der wie kein anderer für das Jahrhundert dieser Ökonomie steht. Die Ölindustrie und ihr Flaggschiff – besser: ihr tyrannus rex – die Firma Exxon ist geschwächt. Die Wirtschaftskrise seit 2008 traf diese Industriezweige weit weniger als die Industrien der old economy. Deren Konzept eines neuen, attraktiven Liberalismus könnte als progressiver, imperialer Silikonliberalismus bezeichnet werden, der das Modell eines neoliberal arrangierten, hochtechnologischen grünen Kapitalismus vorantreibt und libertäre Kultur, reformierte private welfare mit einer public option und einer Politik der strategischen Steuerung verbindet. Darüber besteht allerdings zwischen den Obama stützenden Elitengruppen kein Konsens. Ob dann die Obama-Präsidentschaft als historisches Beispiel einer progressiven kapitalistischen Transformation in Erinnerung bleiben könnte, ist fraglich. Die Chancen dafür stehen heute schlechter als vor einem halben Jahr. (In gekürtzer Form im AK [4] 541 v. 21.08.2009) -> als pdf [5].

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1 Kommentar Empfänger "No, we didn’t…Aussichten der liberalen Obama-Administration"

#1 Pingback von » Blog Archive » No, we didn’t am September 3, 2009 00000009 10:52 pm 125201834610Do, 03 Sep 2009 22:52:26 +0000

[…] Auf dem Netz in erweiterter Form im mehring1-blog. […]