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Tretja pot med antikapitalizmom in postsocializmom

Ljubljana, 2009

ISBN 978-961-6768-05-4, 193 Seiten, 17,80 €

 

Unter den Sozialwissenschaftler/innen auf dem Balkan und in verschiedenen MOE-Staaten ist der Name Veljko Rus gut bekannt. Zunächst profilierte sich Rus als Soziologe mit dem besonderen Schwerpunkt Kultur. Seit Anfang der 90iger Jahre aber befasst er sich mit Privatisierung und anderen Fragen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Dabei geht es ihm vor allem um die strukturelle Entwicklung sozialer Ungleichheit und um Alternativen zu dieser. Rus hielt Vorlesungen an den Universitäten von Uppsala, Stockholm, Kopenhagen, Berlin, Tokio und Kolumbien.

 

Das in slowenischer Sprache vorliegende Buch besteht aus sechs Kapiteln: 1. Gesellschaftliche Werte und politische Ziele, 2. Gleichheit und Ausgleich, 3. Privatisierungspolitik, 4. Das Sozialmodell hinter der EU, 5. Soziale Modelle einzelner EU-Mitglieder und 6. Zukunft.

Auf den ersten Buchseiten werden folgende Grundgedanken vorgestellt, die in den Kapiteln entwickelt werden:

„Dritte Wege“ sind für die Linke in Europa nichts Außergewöhnliches. „In dieser Schrift werden die dritten Wege nicht als politisches Projekt oder als Vision behandelt …, sondern als Polygon …“ (S. 1). „Politisches Projekt“ meint Wahlkampfprojekt oder Kompromiss von „Linken“ und „Rechten“ in einer Koalition. „Vision“ steht für eine Entwicklung zwischen Kapitalismus und Sozialismus in Sinne der einstigen Denk- und Gesellschafts„systeme“. Rus geht es um „ die Überwindung beider“ (S. 179). Der Autor stellt klar, dass ihn politisches Denken und Programmatik für eine Gesellschaftsentwicklung interessieren, die weder auf soziale Gleichmacherei noch auf soziale Differenzierung zielt. Individuelle Freiheit und Initiative sollen gefördert und verallgemeinert werden (S. 2, 179). Für ihn sei nicht der soziale Wohlstand der einen das Problem, sondern die Armut und soziale Ausgrenzung anderer – die gesellschaftlichen Spaltungen. Es müsse einen ständigen Ausgleich geben, der die Teilhabe aller an der Produktion und Nutzung des gesellschaftlichen Reichtums ermöglicht (S. 2-3). Deshalb können weder Privatisierung noch Verstaatlichung Lösungen der Eigentumsfrage sein (S. 3). Ein „Staat“ könne nicht die Teilhabe aller an den gesellschaftlichen Belangen realisieren. Dafür seien gesellschaftliche Veränderungen vonnöten, insbesondere durch die Entwicklung der Zivilgesellschaft, den breiten Ausbau des Non-Profit-Sektors – durch seine Verallgemeinerung (S. 179).

Dies verlange auch und insbesondere eine Neuausrichtung der EU am skandinavischen Modell in seinen besten Zeiten. Anders könnten die Probleme Armut, Arbeitslosigkeit, Migration und Naturzerstörung nicht gelöst werden (S. 3-4). Für Slowenien würde die Einführung des skandinavischen Modells eine tief greifende Wandlung bedeuten. Aber anders seien individuelle Freiheit, sozialer Ausgleich, soziale Kohäsion, Zusammengehörigkeit und ein allgemeines sich-wohl-Fühlen nicht zu erreichen (S. 5). Für eine neu ausgerichtete EU wäre Globalisierung keine Bedrohung. Globalisierung müsse nicht unbedingt neoliberal sein (S. 5-6).

 

„Nicht recht originell, gängige linke Sozialdemokratie“, könnte leicht und vorschnell der Kommentar lauten. Gerade dies aber sollte vermieden werden. Die intellektuelle und politische Herausforderung besteht darin, an Hand einer gründlichen Auseinandersetzung mit Anthony Giddens, ohne (lange) Marx-Zitate zu demonstrieren, worin dessen Grenzen bestehen. „Grenzen“ gemessen an den Anforderungen politischer Akteure, die um eine sozialistische Gesellschaftstransformation ringen. Zugleich wäre positiv – und wo möglich unter Bezug auf Giddens – zu entwickeln, wo Handlungsspielräume gegeben sind, um sozial und ökologisch zerstörerische Prozesse strukturell zurück zu drängen und letztendlich zu überwinden, um soziale, ökologische und globale Probleme demokratisch und gerecht zu mildern und schrittweise nachhaltig zu lösen.

 

Fünf Bemerkungen zum Buch:  

1. Die eingangs vorgestellten Positionen gelten in der slowenischen Öffentlichkeit als links. Rus’ durchgängige Auseinandersetzung mit Giddens ist keine Abrechnung eines linken Sozialdemokraten mit dem Schöpfer des Schöder-Blair-Papiers. Als „linken Sozialdemokraten“ sieht Rus Oskar Lafontaine (S. 1, 36).

Der ständige Bezug auf Schriften von Anthony Giddens und der konkrete Umgang mit ihnen zeigen, dass sie vor dem Hintergrund ost- bzw. mitteleuropäischer Erfahrungen spezifisch zu lesen wären. Das hat nicht allein mit „realsozialistisch“ begründeten Sichtweisen zu tun, sondern auch mit der erlebten „sozial brutalen“ Einführung des Kapitalismus als neoliberales Projekt.

 

2. Rus bemüht sich, theoretisches Erbe von Marx zur Entwicklung gesellschaftlicher Alternativen produktiv zu machen (S. 16, 18, 67). Er vermag allerdings nicht, sich dieses konsequent aneignen. Soziale Gleichheit und Gleichmacherei werden nicht prinzipiell unterschieden, soziale Gleichheit und individuelle Freiheit nicht zusammengebracht. Rus will sich nicht im gegenwärtigen Kapitalismus einrichten, kann aber auch keinen Bruch zwischen gescheitertem „Sozialismus“versuch und moderner Sozialismusauffassung vollziehen. Die vor Jahrzehnten „Realsozialismus“ genannte Ordnung aber kann/sollte heute nicht mit „Sozialismus“ bezeichnet werden.

 

3. Veljko Rus versucht, ein Transformationskonzept zu entwickeln und dafür vielfach vergessene (u. a. Konvergenz)Theoretiker/innen zu nutzen. Allerdings arbeitet er mit Mainstream-Begriffen und einer Sprache, die die Analyse und Bearbeitung gesellschaftlicher Machtverhältnisse, der Eigentums- und Produktionsverhältnisse verstellen: So fragt er z. B. „Sozialisierung des Kapitalismus oder Liberalisierung des Sozialismus?“ (S. 7) und meint mit „Liberalisierung des Sozialismus“ (S. 15) New Labour (S. 15-21).

Unter “Zwischen alter Linken und neuer Rechten“ (S. 21ff) findet sich eine Gegenüberstellung von Inhalten, an denen sich „Alte Linke“ und „Neue Rechte“ politisch orientieren würden:

 

Alte Linke Neue Rechte
Intensive staatliche Intervention Minimale staatliche Intervention
Dominanz des Staates über die Zivilgesellschaft Autonomie der Zivilgesellschaft
Kollektivismus Individualismus
Keynesianische  Ausrichtung  auf Ausgleich Marktfundamentalismus
Eingeschränkte Wirtschaftstätigkeit Freie Wirtschaftstätigkeit
Vollbeschäftigung Freier Handel mit der Arbeitskraft
Starker Egalitarismus Zulassung von Ungleichheit
Allgemeiner gesellschaftlicher Wohlstand Wohlstand nach wirtschaftlichem Erfolg

(S. 28)

 

Danach wäre „dritter Weg“ eine Absage an den „Staatssozialismus“ und traditionelle linke Sozialdemokratie einerseits und an den Neoliberalismus andererseits – das Ringen um einen sozialeren Kapitalismus. Allerdings erklärt Rus an mehreren Stellen, über diesen hinausgehen zu wollen.

 

4. Privatisierung stärke die Macht von Kapital und Markt in der Gesellschaft bzw. über die Individuen und vertiefe soziale Spaltungen. Nationalisierung schaffe Monopole und untergrabe Selbstregulierung. Die Alternative müsse Public Private Partnership (PPP) und öffentlich finanzierte Initiativen bzw. öffentliche Finanzierungsinitiativen (ÖFI) sein (S. 70). Selbstregulierung würde über Selbstverwaltung realisiert. Richard H. Tawney Rus gilt als wichtiger Inspirationsgeber.

Insgesamt orientiert sich der Autor vorrangig an britischer Literatur. Aber kritische englischsprachige Analysen von PPP-Erfahrungen bleiben leider außen vor.

PPP und ÖFI müssten mit starker Zivilgesellschaft einhergehen. Zur Bekräftigung der These werden Arbeiten des internationalen John-Hopkins-Projekts, darunter insbesondere von Helmut Anheier, zum dritten Sektor genutzt. Allerdings zeigen diese auch, dass ein dritter Sektor mit wachsenden sozialen Spaltungen und Repressionen verbunden sein kann. Das lässt Rus scheinbar unberücksichtigt. Er sagt nicht, wie und durch wen staatlicher Sektor und Privatwirtschaft so verändert werden können, dass mittels PPP und ÖFI individuelle Freiheit für alle durch sozialen Ausgleich begünstigt werden. Dabei will Rus letztendlich – was er aber m. E. nicht klar sagt – die Verallgemeinerung des 3. Sektors im positiven Sinne – also als Pfeiler emanzipatorischer statt neoliberaler Politik. Er will eine Wirtschaft, die alle mit privaten Ressourcen ausstatten hilft und zugleich am Wirtschaftsleben und an den gesellschaftlichen Belangen beteiligt.

 

5. Auch in Sachen EU dient Anthony Giddens Rus als Vordenker, insbesondere sein Beitrag in der diskussionswürdigen Publikation „Social Model for Europe“ (2006). (Sie entstand im Kontext mit dem inoffiziellen EU-Gipfel zum Sozialmodell von Hampton Court unter britischer EU-Präsidentschaft.) Die dort getroffenen Aussagen zum „Europäischen Sozialmodell“ müssen in den östlichen EU-Mitgliedsländern „links“ anmuten.

 

Wird die soziale Differenzierung in diesen Ländern für das Jahr 1991 analysiert, zeigt sich, dass sie in Slowenien und in der Tschechoslowakei am geringsten war (S. 163). Die Mehrheit der slowenischen Bevölkerung meinte damals, dass soziale Ungleichheit wachsen müsse. Dies allerdings hat sich verändert und der Anteil jener, die sich heute als “links“ definieren, ist gewachsen. Ebenso derer, die sich der Mitte zurechnen während der „rechte Anteil“ schrumpft (S. 168). Seit dem Jahre 2000 sprechen sich stabile zwei Drittel der Bevölkerung für mehr linke Politik – gegen soziale Differenzierung und Spaltungen – aus (S. 168).  Das sei nach Rus eine Herausforderung, intensiver am dritten Weg – für mehr soziale Gleichheit und Zusammengehörigkeit und damit gegen Privatisierung – zu arbeiten (S. 169). Dabei gehe es auch um ein neues Verständnis von notwendigem Wirtschaftswachstum (S. 180).

 

Die intensive Auseinandersetzung mit Giddens würde helfen, das notwendige intellektuelle Kapital für die nachkapitalistische Gesellschaft zu schaffen. Dies sei nicht zuletzt eine Frage der Moral der Intellektuellen (181-182).

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