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Der Neoliberalismus muss sich nach den Europawahlen zunächst keine Sorgen machen. Bremen ist weiterhin zweitstärkstes Bundesland im Westen für die LINKE. Hamburg holt auf, Saarland in Sichtweite, Piraten am Horizont

Bei den Europawahlen 2009 hat sich der Kapitalismus wieder einmal unerwartet flexibel gezeigt. Europaweit haben die Konservativen sich stabil gehalten, während die Sozialdemokraten deutliche Verluste hinnehmen mussten. Gewinne erzielten die grün-alternativen Parteien sowie die Gruppe der „Anderen“, d.h. der Parteien, die nicht zu den großen Strömungsblöcken gerechnet werden. In Frankreich, Spanien und Österreich setzten sich die Konservativen deutlich durch, gegen den Trend siegten die Sozialdemokraten in Griechenland und Malta. Zu den Überraschungen gehörten die französischen Grünen, die unter Daniel Cohn-Bendit auf 15 Prozent kamen; die dänische Linkspartei, die sich von 7,5 auf 15 Prozent verdoppelte; und die Piratenpartei, die in Schweden auf Anhieb 7 Prozent erzielte und auch in Bremen 1,1 Prozent erhielt.

In Deutschland zeigt das Ergebnis wenig Bewegung gegenüber der Europawahl 2004, wenn man von der Verschiebung zwischen Union und FDP absieht. Schwarz-Gelb geht von 50,6 Prozent 2004 leicht auf 48,8 Prozent 2009 zurück, Rot-Grün stagniert von 33,4 auf 33,3 Prozent, mit fast unveränderten Ergebnissen für SPD (20,8) und Grünen (12,1). Die LINKE gehört mit 7,5 Prozent gegenüber 6,1 Prozent 2004 (damals noch für die PDS) zu den Gewinnern, verfehlt jedoch ihr Wahlziel von 10 Prozent deutlich. Der rechte Rand verliert: die Republikaner erzielen 1,3 Prozent (2004: 1,9), die DVU 0,4 Prozent (2004 kandidierte stattdessen die NPD, 0,9 Prozent).

Insgesamt zeigt das Ergebnis, dass die neoliberale Hegemonie in Europa keineswegs erschüttert ist. Die Konservativen profitieren von der Krise, nicht nur in Deutschland. 30 Jahre Neoliberalismus haben nicht nur Versprechungen gemacht, die sich jetzt offensichtlich als falsch erweisen; sie haben auch die Art und Weise geprägt, wie Menschen die Probleme interpretieren. Und so erscheinen Krise, Arbeitslosigkeit, faule Kredite und unabsetzbare Produkte immer noch mehrheitlich als Probleme, die sich nicht durch eine neue Form von Staatsengagement und demokratischer Wirtschaftsplanung lösen lassen, sondern nach ein paar Reparaturen wieder dem Markt überlassen werden sollen. Während konservative Regierungen in der Krise mehr oder weniger sozialdemokratisch handeln, bleibt die Ideologie intakt und gelingt es bislang nicht, sozialistische Antworten auf die Krise populär zu machen. Für die europäischen Linksparteien gibt es dazu allerdings keine Alternative. Aus den Abwehrkämpfen in der Krise müssen Kämpfe um Hegemonie werden, wenn ein „Weiter so“ verhindert werden soll. Das ist die Anstrengung, auf die sich auch die LINKE in Deutschland bis zur Bundestagswahl einstellen muss.

Die LINKE in West und Ost

Die LINKE im Bundesland Bremen erzielt mit 7,2 Prozent ein sehr gutes Ergebnis. Die Ergebnisse der LINKEN im Westen (in Klammern das PDS-Ergebnis von 2004 und das Bundestagswahl-Ergebnis von 2005):

Saarland 12,0 (2,0 – 18,5)
Bremen 7,2 (3,7 – 8,4)
Hamburg 6,7 (2,8 – 6,3)
NRW 4,6 (2,1 – 5,2)
Niedersachsen 4,0 (1,8 – 4,3)
Schleswig-Holstein 3,9 (1,8 – 4,6)
Hessen 3,9 (2,1 – 5,3)
Rh.-Pfalz 3,5 (1,2 – 5,6)
Ba-Wü 3,0 (1,1 – 3,8)
Bayern 2,3 (0,9 – 3,4)

Bremen bleibt also zweitstärkstes LINKEN-Land im Westen – Hamburg holt auf, und das Saarland kommt wieder in Sichtweite. Die Ergebnisse in Berlin und im Osten:

Brandenburg 26,0 (30,9 – 26,6)
Thüringen 23,8 (25,3 – 26,1)
Sachsen-Anh. 23,6 (23,7 – 26,6)
Meck-Pomm. 23,5 (21,7 – 23,7)
Sachsen 20,1 (23,6 – 22,8)
Berlin 14,7 (14,3 – 16,4)

Bundesweit 7,5 (6,1 – 8,7)

Auffallend ist, dass sich der Abstand zum Bundesdurchschnitt zwischen Bundestagswahl 2005 und Europawahl 2009 in den einzelnen Bundesländern fast gleicht (mit Ausnahme von Hamburg, das 2009 fast zum Bundesdurchschnitt aufschließt, und vom Saarland, das 2005 erheblich weiter vorn lag als 2009).

Die Ergebnisse in Bremen (Stadt)

In Bremen erzielt die LINKE 13.444 Stimmen landesweit und erreicht 7,2 Prozent. Gegenüber der Europawahl 2004 hat sie damit ihr Ergebnis verdoppelt. Im Bremer Stadtgebiet sind die Ergebnisse wie folgt (Europawahl 2009, in Klammern die Anzahl der Stimmen und zum Vergleich der Stimmenanteil bei der Bürgerschaftswahl 2007):

1 Mitte 9,8 Prozent (567 Stimmen – 2007: 12,1 Prozent)
2 Süd 7,9 Prozent (2.740 Stimmen – 2007: 9,3 Prozent)
3 Ost 6,2 Prozent (4.435 Stimmen – 2007: 7,8 Prozent)
4 West 9,6 Prozent (2.180 Stimmen – 2007: 10,8 Prozent)
5 Nord 6,5 Prozent (1.645 Stimmen – 2007: 8,0 Prozent)

Die stärksten Ergebnisse wurden in Walle (Ortsteil 43) mit 11 Prozent, in der Östlichen Vorstadt (31) mit 10,9 Prozent und in der Neustadt (21) mit 10,5 Prozent erzielt. Auf einzelne Stimmbezirke bezogen, führt die Südervorstadt (214-01) mit 18,9 Prozent die Hitliste an, vor Ohlenhof (443-03) mit 16,9 Prozent, Steintor (311-01) mit 16,7 Prozent und Osterfeuerberg (435-03) mit 15,9 Prozent. Aber auch z.B. in Tenever wurden diesmal mit 11 Prozent sehr gute Ergebnisse erzielt. Die relative Stärke der Ortsteile hat sich für die LINKE gegenüber 2007 nur geringfügig verändert – aber Walle hat sich vom Rang drei an die Spitze katapultiert!

Die Reihenfolge der Ortsteile nach Prozentanteilen der LINKEN (in Klammern: 2007):

1. Walle (43): 11,0 % (11,9)
2. Östl. Vorstadt (31): 10,9 % (13,6)
3. Neustadt (21): 10,5 % (12,1)
4. Gröpelingen (44): 9,8 % (10,4)
4. Mitte (11): 9,8 % (12,1)
6. Findorff (42): 8,6 % (10,3)
7. Woltmershausen (25): 7,9 % (9,9)
8. Hemelingen (38): 7,5 % (9,2)
9. Vahr (33): 7,4 % (8,0)
10. Vegesack (52): 7,1 % (8,2)
11. Blumenthal (53): 6,8 % (8,4)
12. Huchting (24): 6,5 % (8,2)
13. Osterholz (37): 6,0 % (7,7)
14. Burglesum (51): 5,8 % (7,5)
15. Obervieland (23): 5,4 % (6,6)
16. Horn-Lehe (34): 4,9 % (5,9)
17. Schwachhausen (32): 4,5 % (6,0)
18. Borgfeld (351): 2,4 % (3,8)
19. Oberneuland (361): 2,0 % (3,2)

(ohne Seehausen, Blockland und Strom)

Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass die Ortsteile unterschiedlich groß bzw. einwohnerstark sind. So haben die Genossinnen und Genossen in Schwachhausen genauso viele Stimmen eingefahren, wie die in Walle – und die in Burglesum haben genauso viele Stimmen geholt, wie die im Ortsteil Mitte! Hier die Reihenfolge der Ortsteile nach absoluten Stimmen für die LINKE:

1. Neustadt 1.432
2. Östl. Vorstadt 1.282
3. Hemelingen 802
4. Findorff 798
5. Schwachhausen 769
6. Walle 760
7. Vegesack 625
8. Gröpelingen 619
9. Burglesum 572
10. Mitte 567
11. Obervieland 556
12. Blumenthal 476
13. Osterholz 471
14. Huchting 468
15. Vahr 465
16. Horn-Lehe 457
17. Woltmershausen 262
18. Oberneuland 109
19. Borgfeld 80

Gute Grundlage, viel zu tun für die LINKE

Damit hat sich eine Befürchtung deutlich nicht bewahrheitet: Dass es nämlich bei der Europawahl in den eher „proletarisch“ geprägten Stadtteilen zu stärkeren Mobilisierungsproblemen kommen würde, als in den eher ideologisch „links“ geprägten Stadtteilen. Ganz im Gegenteil war es in der Östlichen Vorstadt, in Mitte oder in der Neustadt diesmal relativ schwieriger, sich gegen die dort dominierenden Grünen zu behaupten, während in Walle und Gröpelingen, aber auch in der Vahr bei der Europawahl sehr gut mobilisiert werden konnte!

In Bremen haben die Grünen gegenüber der letzten Europawahl übrigens nicht gewonnen, und der Zuwachs der FDP hielt sich mit 2,6 Prozent unter dem Bundesergebnis. Die SPD hat von einem deutlich höheren Niveau mehr nachgegeben (von 30,4 auf 29,3), die CDU von einem deutlich niedrigeren Niveau weniger verloren (von 28,0 auf 24,5) als im Bundesgebiet.

Während bei der Bürgerschaftswahl 2007 nur die Feministische Partei mit 0,5 Prozent nennenswert Stimmen im linken Wählerpotential erreichte, kamen bei der Europawahl 2009 sowohl die Rentnerpartei als auch die Piratenpartei auf 1,1 Prozent. Die Piratenpartei ist keine Spaßpartei, sondern eine schwedische Gründung, die sich schwerpunktmäßig für die Freiheit des Internets einsetzt und, wie oben erwähnt, in Schweden auf Anhieb 7 Prozent erreichte. Zu ihren Befürwortern gehören dort auch Prominente wie der Literat Lars Gustafsson. Hier zeigt sich ein deutlicher politischer Nachholbedarf der LINKEN. Auch das außergewöhnliche Ergebnis der dänischen Linkspartei (eine der wenigen europäischen Linksparteien, die sich explizit als sozialistisch und feministisch verstehen) zeigt, dass moderne Linksparteien große Chancen haben, für die Engagement in der sozialen Frage nicht gleichbedeutend ist mit männlichen Politikstilen. Wenn die LINKE weiter wachsen will, wird sie sich stärker für Fragen und Politikstile öffnen müssen, die für junge, nicht-traditionelle, weibliche Zielgruppen wichtig sind, und auch an ihrer interkulturellen Öffnung arbeiten müssen.

Unterm Strich: Gerade für die Bremer LINKE ein gutes Ergebnis, auf dem sich aufbauen lässt – für die Bundestagswahl im Herbst und für die Bürgerschaftswahl 2011. Aber es ist viel zu tun. Die neoliberale Hegemonie ist weiter stabil und blockiert einen Politikwechsel nach links. Der Spuk ist noch längst nicht vorbei.

P.S.: Wieder ohne Stimme blieb die LINKE im Wahlbezirk 444-01 In den Wischen. Hier erzielte die Rentnerpartei mit 50 Prozent ihr Spitzenergebnis – genauso viel wie die Grünen. Beide Parteien teilten sich brüderlich die 2 abgegebenen Stimmen.

Christoph Spehr

One Response to “Der Spuk ist noch längst nicht vorbei”

  1. Solaris Post sagt:

    De facto ist Die Linke eine pluralistische Partei, aber die innerparteiliche politische Entwicklung, Positionserarbeitung und die Haltungen der Vorstände zur Basis sind nicht von gegenseitigem Respekt geprägt.

    Der gegenseitige Respekt ist ein hoher Anspruch, jedoch unrealistisch wenn die inhaltlichen Positionen sich unvereinbar unterscheiden und keine Anstrengungen gemacht werden in Grundfragen einen Konsens über alle Strömungen hinweg zu erzielen.

    Ich behaupte, dass es in Grundfragen wie die Ursache der Krise und Funktionsweise des Globalen Finanzsystems keine Ansätze für einen parteiinternen Grundkonsens gibt. Die Leute haben das Gefühl, das parlamentarische Demokratie ist nur Fassade bzw. Massenbetrug. Die eigentlichen Richtungsentscheidungen und die
    Verantwortlichen sind dem Zugriff/Kontrolle der Demokratischen
    Verfahren entzogen. Dazu hat die Linke keine Meinung, denn sie ist Teil des politischen Systems und will eignetlich nur respektiert werden durch die konkurrierenden Parteien und den Massenmedien (“bitte nehmt uns ernst wir sind doch so lieb”).

    Die Wähler können das nicht mehr hören und sehen. Sie wollen sehen, dass die Partei sich für die Überwindung des real existierenden Wirtschaftssystems einsetzt. Hier und heute. Wie eine Abgeordneten-Tätigkeit mit diesem Anspruch kompatibel wäre, müsste parteiöffentlich debattiert werden unter Einbeziehung aller Basismitglieder. Es werden dazu Vollversammlungen der Partei-KV benötigt und es müsste ein Partei-Beirat gegründet werden, der sich, direkt demokratisch gewählt aus Basismitgliedern zusammensetzt. Für diese Wahl müsst jede(r) sich bewerben können, der Beirat hätte keine Vorsitzenden dafür aber Vollmachten hinsichtlich der KONTROLLE der PR/Außenkommunikation der Partei, der personellen Besetzung von Pressesprecher und Wahlkampfleitern sowie der angesprochen Grundfragen.

    Wie wir sehen können, gibt es einiges was geändert werden müsste. Die Partei in der jetzigen Verfassung- das lässt sich klar beobachten – wird die nächsten 5 Jahre nicht überleben, wenn sie es nicht lernt, sich an den gesellschaftlichen Entwicklungen und Erfordernissen anzupassen.

    Viele Grüße
    Rene A. Nitschke
    (Die Linke. Sachsen, KV Erzgebirge)

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