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Von den Kämpfen gegen die Krisenpolitik der Herrschenden und unserer „Charta der Prinzipien für ein anderes Europa“[1] hin zu einem sozialökologischen Umbau und einer Gesellschaft jenseits von Neoliberalismus und Kapitalismus – ein Diskussionsangebot

Egal, ob sie oder er ihre/seine politische Aktivität eher in Auseinandersetzung mit den heutigen gesellschaftlichen und ökologischen Problemen motiviert oder ausgehend von ihren Träumen, Wünschen und/oder der Vision von einer künftigen Gesellschaft: sie kommen nicht umhin, sich mit den Auswirkungen von Krisen auf die menschlichen Lebensbedingungen zu befassen – von Finanz- und Wirtschaftskrisen, langfristigen Strukturkrisen wie der Nahrungsmittel-, Umwelt- und Energiekrisen, einer globalen Reproduktionskrise. Menschliche Lebensbedingungen betreffen immer die körperliche und seelische Unversehrtheit der Individuen, ihre individuelle Freiheit und mögliche Einflussnahme auf gesellschaftliche Entwicklungen, ihre Verhältnisse untereinander innerhalb und außerhalb ihres territorialen Lebensmittelpunktes – insbesondere ausgehend von ihrer Stellung in der Gesellschaft, im gesellschaftlichen Arbeits- und Reproduktionsprozess -, ihre Bildung, medizinische Betreuung und soziale Absicherung, die Verfasstheit der natürlichen Lebensbedingungen. Die Menschen sind immer Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, die in Geschlechterverhältnissen und Lebensgemeinschaften leben.

Egal, in welchem gesellschaftlichen Bereich sie und er sich vorrangig politisch engagieren, immer haben sie es mit einem vielfältigen Komplex menschlicher Lebensverhältnisse zu tun. Jedes relevante gesellschaftliche Problem hat eine soziale, ökologische und machtpolitische Dimension. Dabei geht es letztendlich immer um ökonomische Interessen und die Frage, wer über die Organisation wirtschaftlicher Prozesse und die Aneignung ihrer Ergebnisse entscheidet, wer über die Produktions- und Reproduktionsressourcen verfügt.

Alle politischen Aktivitäten, die sich an individueller Freiheit von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern orientieren, an Frieden und sozialer Gleichheit, an solidarischem Miteinander und Vernunft im Umgang mit der Natur, sind gleichwertig. Ungeachtet der konkreten Ebene, auf der sie stattfinden – auf der lokalen, kommunalen, regionalen, nationalstaatlichen, europäischen und globalen.

Diese Aktivitäten sind individuelle Handlungen. Sie werden zumeist in und gemeinsam mit Kollektiven realisiert – Initiativen, Bewegungen, Organisationen, Vereinen, Gewerkschaften und Parteien. Alle Erfahrungen, die die Individuen dabei und mit ihren Kollektiven sammeln, sind wichtig – egal, in welcher sozialen Lage sie sind, wie sie sich konkret politisch engagieren, welche Funktion sie ausführen – ob sie zivilen Ungehorsam, Protest und Widerstand und/oder Arbeit an Alternativen praktizieren, Demonstrationen organisieren bzw. an ihnen teilnehmen, alternative Lebensweisen favorisieren, in Parlamenten und Verwaltungen wirken.

Uns interessieren alle Erfahrungen, die Individuen und Kollektive in den vielfältigen Auseinandersetzungen mit sozial und ökologisch zerstörerischen Prozessen sammeln, mit Menschen knechtenden und diskriminierenden Verhältnissen. Uns interessieren alle individuellen und kollektiven Schlussfolgerungen und Lernprozesse, die aus den Kämpfen gegen die Angriffe der global Herrschenden auf menschliche Lebensbedingungen und dem Engagement für bessere Lebensbedingungen hervorgehen. Wir wollen helfen, dafür politische Strategien zu entwickeln, deren Grundprinzip die Solidarität vor allem mit den global Ärmsten ist, mit den sozial Schwächsten und Schwachen, mit jenen, denen am meisten ein Leben in Würde verstellt ist. Wir wollen politisch Interessierte und Engagierte, kollektive soziale und politische Akteure zusammen bringen, neue politische Allianzen und Kämpfe organisieren (helfen).

Lokal und regional verankerte globale Bewegungen, die auf der europäischen Ebene vernetzt sind, sind die Grundvoraussetzung dafür, dass reale Schritte in Richtung Frieden und individuelle Freiheit, soziale Gleichheit, Solidarität und Vernunft im Umgang mit der Natur gegangen werden. Diese Schritte müssen heute ausgehend von Verteidigungskämpfen um erreichte soziale und demokratische Standards, um öffentliche Leistungen und öffentliches Eigentum geführt werden.

Die in unseren Gesellschaften und global Herrschenden bearbeiten die verschiedenen Krisen in einer Art und Weise, die globale und soziale Spaltungen vertiefen und den ökologischen Erfordernissen nicht annähernd entsprechen, vielfach sogar widersprechen. Vor allem soll die Herrschaft über den globalen Süden perfektioniert, der europäische Osten auf einem diskriminierenden sozialen Mindestniveau befriedet und kontrollierbar werden.

Wir aber nehmen nicht hin, dass die soziale und ethnische Herkunft, der Geburtsort, das Geschlecht und die sexuelle Orientierung, das Alter und die körperliche Verfasstheit, die Weltanschauung und politische Gesinnung darüber entscheiden sollen, wie viel Würde und Selbstbebestimmung den Mädchen und Jungen, den Frauen und Männern zu kommen. Wir akzeptieren nicht die herrschenden Gesellschafts- und Klassenverhältnisse, nicht die bestehenden Geschlechterverhältnisse und paternalistischen Strukturen, nicht die zerstörerischen gesellschaftlichen Naturverhältnisse (Verhältnisse der Gesellschaft zur Natur).

Protest und Widerstand sind angesagt, Verweigerung und ziviler Ungehorsam, wenn “Krisenbewältigung” diese Zustände erhalten, vertiefen und/oder modifizieren soll. Sie sollen in gesellschaftspolitische Alternativen zu Gewalt und Krieg münden, zu Herrschaft und Knechtschaft, zu Armut, sozialer Ausgrenzung und sozialen Spaltungen, zu Entdemokratisierung, Repression und Überwachung, zu Diskriminierung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Dafür werden ein langer Atem, kollektive Arbeit an Programmen und Strategien, die Fähigkeit zu Überzeugen, Mobilisieren, Organisieren und Kämpfen gebraucht.

Sozialforen bzw. Sozialforumsprozesse, die auf der Charta von Porto Alegre basieren, sind besonders gut geeignete Orte dafür, um gemeinsam mit anderen solche Kompetenzen zu erwerben: hier können die Frauen und Männer aus unterschiedlichen sozialen und politischen Zusammenhängen ihre individuellen und kollektiven Erfahrungen einbringen. Sie können einander gleichgestellt die komplexen Zusammenhänge von Problemen erörtern und Schlussfolgerungen ziehen. Sie können an gesellschaftspolitischen Alternativen und Strategien arbeiten, die sowohl vom hier und heute, der Krisenbearbeitung durch die Herrschenden ausgehen als auch von der Vision Frieden und individuelle Freiheit für jede und jeden in sozialer Gleichheit, solidarischem Miteinander und intakter Natur – vor Ort, in der Kommune und Region, im Land und in der Europäischen Union, in Europa und weltweit.

Im Europäischen Sozialforum, im europäischen Sozialforumsprozess wollen wir zum einen die Akteure demokratischer Kämpfe und politischer Aktivitäten auf der lokalen, regionalen, nationalstaatlichen und EU-Ebene europaweit vernetzen – für ein Europa der Menschen, das solidarisch mit den Menschen im globalen Süden und offen gegenüber der Welt ist. Zum anderen wollen wir die globale Bewegung für eine Welt freier, sozial gleicher und solidarischer Menschen stärken.

Wir sollten also ausgehend von unseren Erfahrungen, von unseren alltäglichen sozialen und politischen Aktivitäten und unserer “Charta der Prinzipien für ein anderes Europa” an die Arbeit für einen sozialökologischen Umbau unserer Gesellschaften und Europas gehen.

Die wahren Krisenursachen benennen

Die Ursachen der globalen Finanzkrise, die in eine globale Wirtschaftskrise mündete, heißen: 1) Wachsende soziale Spaltungen und damit explodierende freie Geldmittel in den Händen einer gesellschaftlichen Minderheit, die einen starken Hang zur Spekulation mit liquiden Geldmitteln entwickelt. Die reichsten 25 US-Amerikaner verfügen über Einkommen, von denen fast zwei Milliarden der Ärmsten leben müssen. 4400 Deutsche zählen zur globalen Finanzelite, die auch 2009 ein reines Finanzvermögen von Dutzenden Billionen erwartet; 2) Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen, so dass selbst Menschen mit unteren und mittleren Einkommen genötigt sind, ihre soziale Sicherung – vor allem die Altersvorsorge – als „kapitalgedeckte“ zu organisieren. Damit wuchsen die Zahl der Fonds und zugleich die Zahl der auf den internationalen Finanzmärkten agierenden und spekulierenden Akteure. Von den 2006 weltweit angelegten Geldvermögen in Höhe von 80-100 Billionen Dollar entfielen 21 Billionen auf die Pensionsfonds; 3) riesige Ungleichgewichte in den internationalen Handels- und Zahlungsbilanzen, die zum einen Instabilitäten auf den Währungs- und Finanzmärkten erhöhen, zum anderen mit enormen staatlichen Haushaltsdefiziten einhergehen, die wiederum Spekulation mehren, Inflations- und Deflationstendenzen stärken, das Klima in den internationalen Beziehungen belasten. Das Leistungsbilanzdefizit der USA beträgt 6,6% ihres Bruttoinlandsproduktes, Chinas Handelsüberschüsse dienen der Finanzierung US-amerikanischer Militärprojekte; 4) die Liberalisierung der nationalstaatlichen und internationalen Finanzmärkte, die einerseits die zuvor genannten Prozesse begünstigte, andererseits ein Ergebnis jener politischen und ökonomischen Interessen ist, die diese Prozesse hervorbringen. In Artikel 56 des Vertrages von Nizza bzw. in Artikel 63 des Lissabonner Vertragstextes heißt es zum freien Kapitalverkehr: „(1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.“

Die genannten Krisenursachen wurden und werden durch die Herrschenden in den Zentren der kapitalistischen Weltwirtschaft produziert, vor allem in den USA, in der Europäischen Union und in Asien. Die geltenden europäischen Verträge und die Politik der Europäischen Union sowie ihrer Mitgliedsstaaten haben das Anwachsen der Krisenursachen befördert. Dahinter stehen letztendlich die herrschenden kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsweisen, die kapitaldominierten Lebensweisen großer Teile der Bevölkerung. Sie sind zugleich die Ursachen für soziale Nöte, Unterdrückung und Fremdbestimmung, für globale gesellschaftliche Spaltungen in Nord und Süd, für Armut, Elend und viele kriegerische Konflikte im globalen Süden, für die Zerstörung des Klimas und der natürlichen Lebensgrundlagen, für die zutiefst ungerechte Aneignung und Nutzung von Energie- und Naturressourcen, von Flächen für die Lebensmittelproduktion.

Deutschland z. B. importiert für seine Fleischproduktion pro Jahr vier Millionen Tonnen Sojaprodukte aus den Tropen und Subtropen, wofür dort 1,3 Millionen Hektar fruchtbares Land beansprucht werden. Die hohe Fleischnachfrage in den Industrienationen, die Massentierhaltung und die damit einhergehende Steigerung der Sojaproduktion steigern den Druck auf die Kleinbauern im globalen Süden und auf die Ökosysteme. Die Plantagenbesitzer lassen Regenwald abholzen, um Felder für Sojabohnen zu schaffen, obwohl dies verheerende globale und lokale soziale und ökologische Folgen hat.

Die UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation (FAO) meldete im September

2008, dass sich die Zahl der weltweit Hungernden von 854 auf 923 Millionen Menschen erhöht hat. 1,4 Milliarden Menschen gelten als working poor. 2,8 Milliarden Menschen leben am Tag von weniger als zwei Dollar, 1,2 Milliarden von weniger als einem.

70 Prozent der weltweit Armen, mehr als die Hälfte aller Migrierten und drei Viertel aller Flüchtlinge sind weiblich.

Die Europäische Union hat einen hohen Anteil an diesen skandalösen Tatsachen. Hier gibt es offiziell 78 Millionen Arme, darunter 19 Millionen jünger als 17 Jahre. 19% der Kinder und Jugendlichen unter 17 Jahren leben unter der Armutsgrenze. Besonders hoch ist das Armutsrisiko, wenn die Kinder allein mit der Mutter leben. Wenn dann noch die Mutter einen migrantischen Hintergrund aufweist, schnellt das Armutsrisiko weiter in die Höhe!

Ca. 40 Millionen EU-Bürger/innen sind working poor. Die Zahlen wachsen enorm, wird Europa betrachtet, denn 30% der Bevölkerung Russlands sind arm, darunter 30 Millionen Kinder. ca. 700.000 Kinder sind im heutigen Russland obdachlos!

Doch in Europa werden die Ressourcen nicht vor allem zur Bekämpfung von Armut eingesetzt. Sie werden vielfach verschwendet und die überlasteten Ökosysteme weiter übernutzt: Vor allem die Konzerne der Energiewirtschaft, der Automobilbranche, der Chemie- und Agrarindustrie und das Militär zerstören natürliche Lebensgrundlagen. Auf 20% der Weltbevölkerung entfallen 86% des Verbrauches natürlicher Ressourcen. Darunter sind WIR. Die EU mit ca. 7% der Weltbevölkerung produziert 16,7% der weltweiten CO2-Emissionen. Darunter sind UNSERE.

Die Biodiversität schwindet mit enormem Tempo, Tiere und Pflanzen sterben aus. Wir rasen auf einen Klimakollaps zu. Dabei sind bereits heute Umweltkatastrophen für Millionen Arme im globalen Süden brutale Wirklichkeit.

In den nächsten 10 Jahren wird entschieden, ob die globale Klimakatastrophe noch abgewendet werden kann. Sie trifft wiederum zuerst die global Ärmsten.

Die schon heute Betroffenen brauchen JETZT Hilfe statt unnötige Militärausgaben. Das sind ca. 1,2 Billionen US-Dollar, von denen 560 Milliarden auf die USA entfallen. Die Europäische Union stellt mit ihren Mitgliedsländern ein Viertel des weltweiten Militärpersonals. Das brauchen WIR nicht!

Diese schreienden Tatsachen gehen mit wachsender globaler Konkurrenz einher, mit Repressionen und Entdemokratisierung.

Insgesamt sind wir vor allem mit vier sozial und ökologisch zerstörerischen Prozessen konfrontiert, mit

– Armut, sozialer Ausgrenzung – darunter Arbeitslosigkeit – (wachsenden) sozialen und territorialen Spaltungen, mit der Diskriminierung von Menschen nach ihrer sozialen und ethnischen Herkunft – in der EU leben ca. acht Millionen Menschen ohne Papiere und elementare Bürgerrechte! -, nach ihrem Geburts- und Wohnort, ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung, nach ihrem Alter und ihrer körperlichen Verfasstheit

– Natur- und Kulturzerstörung, vor allem mit globaler Erwärmung und Artensterben

– Entdemokratisierung, Überwachung und Repression, mit dem Verlust an demokratischen Gestaltungs- und politischen Steuerungsmöglichkeiten (insbesondere durch die Privatisierung öffentlicher Leistungen, die Verarmung von Kommunen und Regionen), mit Neofaschismus, religiösen Fundamentalismen und politischen Extremismen

– Militarisierung und Kriegen, bewaffneten Konflikten und Attacken.

Widerstand gegen Zerstörung und Krisen organisieren – ihre Ursachen bekämpfen, die zerstörerischen Prozesse strukturell zurückdrängen und überwinden

Die Hauptakteure sozialer und ökologischer Zerstörung sind die heute Herrschenden: Die Regierungen in den kapitalistischen Metropolen und die sie tragenden politischen Parteien, die Institutionen des globalen und europäischen Finanzkapitals, die transnationalen Konzerne, Banken, Fonds und Versicherungen, das militärische Establishment mit seinen strategischen Vordenkern und seinem militärisch-industriellen Komplex.

Teilweise und bestenfalls sind sie zu Veränderungen bereit, die die wichtigsten gesellschaftlichen Hierarchien und Strukturen der gegenwärtigen Gesellschaften erhalten. Diese aber haben die zerstörerischen Akteure und Zustände hervorgebracht. Die Herrschenden und Regierenden sind Verursacher, Repräsentanten und Verwaltende dieser Zustände – Teilhabende an privilegierten Klassenverhältnissen, Eigentum und Besitz, die gesellschaftliche Mehrheiten von der Organisation der Produktion/Reproduktion und ihren Ergebnissen ausgrenzen. Sie sind Nutznießer von politischen Systemen und Rechtsverhältnissen, die auf sozialer Ungleichheit basieren.

Soziale Ungleichheit bedeutet immer, dass Menschen nicht frei sind, nicht über ihr Leben bestimmen können, dass sie mit Repressionen konfrontiert sind und sich nicht oder nur sehr beschränkt in die Entwicklung der Gesellschaft einbringen können. Soziale Ungleichheit und ökologische Zerstörung gehören zusammen.

Dass die gesellschaftlichen Zustände so sind wie sie sind, liegt an unserer Schwäche. Um unsere Schwäche überwinden zu können, müssen WIR uns verändern. WIR müssen unsere politische Praxis umgestalten und darum ringen, dass unsere Lebensweisen mit Solidarität, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zusammen gehen können.

Die Abwehrkämpfe gegen die vier gefährlichsten Tendenzen müssen gleichzeitig geführt werden. Dabei gilt keine prinzipielle Rangfolge von Themen, zumal auf unterschiedlichen Politikebenen gekämpft wird – auf der lokalen und regionalen, auf der nationalstaatlichen und europäischen bis hin zur globalen Ebene. So darf die linke Umweltpolitik nie soziale Nöte und demokratische Grundrechte gering schätzen. Progressive Kommunalpolitiker/innen – auch in der ärmsten oder reichsten europäischen Region müssen immer die Probleme der global Ärmsten mitdenken.

In den Kämpfen geht es insbesondere um vier Schlüsselfragen, um: a) Die Realisierung der Menschenrechte, der sozialen, politischen und kulturellen Grundrechte, b) die Organisation und Bewertung von gesellschaftlicher Arbeit, insbesondere von gesellschaftlich nützlicher Arbeit, c) den Erhalt, Ausbau und die Demokratisierung des Öffentlichen – der öffentlichen Dienstleistungen, der öffentlichen Betriebe, Einrichtungen und Haushalte – sowie um d) die Auseinandersetzung mit den Akteuren der herrschenden Finanz- und Energiewirtschaft, der Chemie und des Agrarbusiness, der Automobilindustrie sowie mit den Eliten des Militärisch-Industriellen Komplexes. Es geht um die Stärkung der individuellen Freiheiten und der sozialen und politischen Partizipationsrechte der Menschen; um den Einsatz öffentlicher Ressourcen zur Milderung und Lösung sozialer, ökologischer und globaler Probleme; um die gesellschaftliche Um- und Neuverteilung von Arbeit, um die Organisation gesellschaftlicher Arbeit ausgehend von gesellschaftlichen Bedürfnissen, sozialen und ökologischen Erfordernissen; um den Stopp, die Rückdrängung und Überwindung von sozialer und ökologischer Zerstörung.

Das gelingt, wenn wir helfen, die Selbstorganisationspotenziale der sozial Ausgegrenzten zu mobilisieren; Menschen in der sozialen Mitte zu aktiver Solidarität mit den Armen und sozial Ausgegrenzten zu ermutigen; in verschiedenen sozialen und politischen Zusammenhängen Engagierte zu Kämpfen um ihre Interessen und um Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zusammen zu bringen.

Es geht um neue soziale und politische Allianzen, um Kämpfe, die in einen sozialökologischen Umbau der Gesellschaft münden – in einen fortwährenden reflexiven Such- und Transformationsprozess, in dem sowohl die gesellschaftspolitischen Macht- und Eigentumsverhältnisse sowie die gesellschaftlichen Strukturen so verändert werden, dass die sozialen Lebensbedingungen der Menschen erhalten und verbessert werden. In dem die Menschen ihre Lebensweisen, insbesondere ihr wirtschaftliches Handeln, so verändern, dass ihre natürlichen Lebensbedingungen und die ökologische Mitwelt (Biosphäre) bewahrt werden, gesunden und gesund bleiben.

Das bedeutet Umbrüche in den Wechselverhältnissen von Wirtschaft und Gesellschaft, von Gesellschaft und Natur, der Individuen untereinander – auch und insbesondere in ihren pluralen Geschlechterverhältnissen -, der Individuen zu ihren Körpern und zur Natur. Dabei erfahren die Kämpfenden und Verändernden, ihr Denken, ihr Instrumentarium und ihr Agieren, ihr Politikverständnis und ihre Politikkonzepte tief greifende Wandlungen. Die Produktions-, Reproduktions- und Regulierungsweisen der Gesellschaft werden bei Anerkennung der Reproduktionserfordernisse der Biosphäre und gesunder menschlicher Individuen so umgebaut, dass die einzelnen Menschen schrittweise selbstbestimmt in Würde und solidarischem Miteinander leben können.(Judith Dellheim/Günter Krause/Pia Paust-Lassen,/Joachim Spangenberg/Frieder Otto Wolf)[1]

Es geht also um einen Umbau der Gesellschaft und damit des Systems gesellschaftlicher Arbeitsteilung, der auf Erlangung und Erhalt von Reproduktionsfähigkeit zielt. Reproduktionsfähigkeit der Menschheit in ihrer Ganzheit, nicht der einen auf Kosten der anderen und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen. Die Organisation von Reproduktionsfähigkeit und damit die demokratische und solidarische Lösung sozialer, ökologischer und globaler Probleme gelten hier als „Fortschritt“. „Fortschritt“ ist insbesondere die Entwicklung einer solidarischen Kooperation, die die Belastungen der Biosphäre, soziale und ökologische Kosten minimiert. Sie kann nur auf der vorrangig dezentralen Erschließung, Produktion und Nutzung erneuerbarer Energien beruhen.

Dieser Umbau des Systems gesellschaftlicher Arbeitsteilung, der zugleich eine tiefgreifende Umwälzung der Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln ist, ermöglicht die Assoziation der Freien und Gleichen, in der die freie Entfaltung eines und einer jeden als Bedingung für die freie Entfaltung aller gilt. Schließlich hat die „Expropriation der Expropriateure“ bzw. die „Aneignung von Produktionsmitteln durch die Individuen“ den Sinn, dass die Individuen ihre Fähigkeiten und Neigungen ausprägen können. „Die Individuen, die nicht mehr unter die Teilung der Arbeit subsumiert werden, haben die Philosophen sich als Ideal unter dem Namen ‚der Mensch’ vorgestellt …“ (Marx, Engels) Die freie Entwicklung eines jeden Menschen wird zum Ziel der Produktion. Die Produktivkräfte hören auf, Destruktivkräfte zu sein und die Springquellen der Natur zu untergraben.

Was Engagement für sozialökologischen Umbau heute bedeutet

Seit langem „liegt auf der Hand“, was hier und heute zu tun ist: gegen Armut und soziale Ausgrenzung mobilisieren – für armutsfeste soziale Mindeststandards und eine Devisen- bzw. Finanzumsatzsteuer zugunsten der global Armen eintreten; Widerstand gegen die Privatisierung öffentlicher Leistungen und Ressourcen organisieren – für ihren Erhalt und Ausbau bei ihrer gleichzeitigen Demokratisierung aktiv sein; gegen die herrschende Sicherheits- und Militärdoktrin protestieren – für zivile Konfliktlösungen streiten; gegen sozial und ökologisch verheerende Produktion opponieren – für die Konversion zerstörerischer (insbesondere Rüstungs)Produktion wirken; gegen Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen aufbegehren – sich für die Verteidigung und Stärkung der Grundrechte engagieren.

Dabei erweisen sich die Demokratisierung und der Umgang mit der kommunalen Infrastruktur und den öffentlichen Ressourcen – insbesondere mit den sozialen Sicherungssystemen, öffentlichen Dienstleistungen und daher mit den Haushalten – als Ausgangspunkt von Aktivitäten, Bindeglied und zentrale Problematik. Die lokale, kommunale und regionale Ebene sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil hier Menschen Kompetenzen erwerben, individuelle und kollektive Lernprozesse erfahren, neue soziale Beziehungen entwickeln, ihre Lebensweisen verändern können. Damit können gesellschaftliche Machtverhältnisse in Frage gestellt und verändert werden.

Globalisierung als widersprüchlicher Vergesellschaftungsprozess bedeutet Entgrenzung der Reproduktion individueller Kapitale und gleichzeitig Veränderung von Regionen, Entwicklung von Wachstums- und Problem- oder sogar Niedergangsregionen. Das Leben in der Region ist zunehmend abhängig davon, inwiefern sie Standort für transnationale Konzerne bzw. Teile von ihnen oder für ihre relevanten Partner, Zulieferer, Dienstleister usw. ist.

Im Zuge der Globalisierung gewinnt die regionale Ebene gegenüber der nationalstaatlichen an Gewicht. Regional im Sinne der Weltwirtschaft als auch von Verdichtungen in den Lebens- und Reproduktionsgeflechten innerhalb der Nationalstaaten bzw. diese übergreifend.

Die transnationalen Konzerne interessieren sich zunehmend für Entscheidungen der Europäischen Union und ihrer Standort-Regionen. Ihre bevorzugte „Spielwiese“ sind der Gemeinsame Markt und die Weltmärkte. EU-Richtlinien und EU-Positionen in den WTO- Verhandlungen sind für Konzern- bzw. Unternehmensstrategien wichtig bzw. wesentlich. Zugleich wachsen die Unterschiede in den Lebensbedingungen, demographischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zwischen den Regionen.

Der Nationalstaat delegiert mit Verweis auf den Europäischen Wachstums- und Stabilitätspakt Reproduktionsaufgaben an die Regionen und Kommunen, für deren Erfüllung vielfach die Finanzmittel fehlen. Das befördert Repressionen gegen sozial Schwache.

Wie von der Region aus auf die Entwicklung der Europäischen Union und zugleich auf Globalisierungsprozesse verändernd eingewirkt werden kann, ist eine Ausgangsfrage für die Arbeit an regionalen Entwicklungsprojekten als Projekten sozialökologischen Umbaus.

Aktive Regionalentwicklung beginnt, wo in der Region sozial unterschiedliche Akteure eine zielgerichtete Kooperation wollen und dabei neue Solidarität mit sozial Schwachen stiften. Die Kooperation hat vielfach ihren Ausgangspunkt in vorhandenen oder drohenden Problemen bei der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Leistungen durch die Wasser- und Energiewirtschaft, den öffentlichen Nahverkehr, das Bildungssystem, das Gesundheitswesen. Sie kann aber auch mit der Auseinandersetzung mit konkreten Konzerninteressen und militärischen Projekten beginnen bzw. zu tun haben: mit den Konzernen der Chemie (nicht zuletzt bei Gentechnologien) und Energie, des Agrarbusiness, der Automobilindustrie, des militärischen Komplexes und im Krankenhausbereich.

Antiprivatisierungs- und Demokratisierungskampagnen können vor allem in strukturschwachen Regionen zu einer anderen innerregionalen Arbeitsteilung und zu neuen Vergesellschaftungsformen führen, mit veränderten Beziehungen in der überregionalen und ggf. internationalen Arbeitsteilung einhergehen.

Wenn sozial Ausgegrenzte über die Partizipation an Ressourcen in das gesellschaftliche Leben integriert werden, erlangen sie eine Machtposition gegenüber anderen Akteuren. Wenn in der Region Netzwerke von Unternehmen bzw. von Unternehmen und anderen Akteuren wie Forschungs- und Bildungseinrichtungen geschaffen werden, kann eine ökonomische Machtposition gegenüber Konzernen entstehen. Regionalpolitische Bündnisse können Sanktionspotenzial gegenüber Global Player und Institutionen aufbauen. Sie können regionales Leben erneuern und wirksam gegen herrschende Politik opponieren.

Dabei erweist sich die regionale Energiewirtschaft als ein besonderer Machtfaktor. Weil erneuerbare Energien vor allem dezentral erschlossen, gewonnen und genutzt werden und weil sinkende Stoff- und Energieumsätze mit zunehmend regionalisierter Wirtschaftsentwicklung einhergehen, sind viele Linke daran interessiert, die Region zum kollektiven Akteur der solaren Energiewende und des sozialökologischen Umbaus zu machen.

Für das „regionalpolitische Szenario“ sprechen praktische Beispiele – Solarregionen, Grüne Regionen, GMOcleane Regionen, Atomwaffen- und Atomstrom-freie Regionen …

Werden insbesondere im Kontext mit solchen Strategien folgende Positionen vertreten, die die Gemeinschaftspolitik der Europäischen Union betreffen, so kann diese verändert werden – weil tatsächlich und nachhaltig Machtverhältnisse zugunsten der Linken, der Bürgerinnen und Bürger mit ihren Interessen an einem sinnerfüllten Leben in Würde, solidarischem Miteinander und intakter Natur verändert werden.

In Sachen Demokratie: 1) Es muss sofort aufhören, dass vor den Küsten der EU Menschen ertrinken, dass sich die EU vor und innerhalb ihrer Außengrenzen mit Lagern vor unliebsamen Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten ‚schützt’. Menschenrechtswidrige FRONTEX-Einsätze sollen sofort eingestellt, die ‚Shame-Directive’ aufgehoben werden. 2) Die Vervollkommnung der EU-Grundrechte-Charta hinsichtlich der sozialen Rechte, der Rechte von Ausländerinnen und Ausländern und des Schutzes der individuellen Freiheitsrechte soll unverzüglich beginnen. 3) Vor dem Hintergrund einschneidender EuGH-Urteile zur Arbeitsvergütung, zum sozialen Schutz von Beschäftigten und zu gewerkschaftlichen Aktionsmöglichkeiten fordern wir, die Europäischen Verträge so abzuändern, dass Arbeitsnehmer/innen vor Diskriminierung und Sozialabbau geschützt werden. 4) Über die Annahme europäischer Verträge müssen prinzipiell Volksabstimmungen entscheiden. 5) Es sollen klare Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten auf der Unionsebene erarbeitet werden und zur Anwendung kommen. 6) Die parlamentarische und justizielle Kontrolle von Europol und Eurojust bedarf der eindeutigen Regelung. 7) Unverzüglich soll eine breite öffentliche Debatte zur Demokratisierung der EU, zum Verständnis von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und zu erforderlichen Mindeststands beginnen. Soziale und Gesundheitsdienstleistungen müssen von den Regeln des Europäischen Binnenmarktes ausgenommen sein.

In Sachen Soziales und Ökologisches: 1) Das Recht auf einen existenzsichernden Mindestlohn bzw. eine individuelle existenzsichernde Grundsicherung soll kurzfristig EU-weit gewährleistet werden. 2) Sofort muss wirksam und nachhaltig gegen Finanz- und Wirtschaftskrisen vorgegangen werden. 3) Jetzt muss begonnen werden, das Konzept „Decent Work“ – die Forderungen der internationalen Gewerkschaftsbewegung – konsequent zu realisieren. 4) Unverzüglich sollen Schritte eingeleitet werden, um Sozial- und Öko-Dumping zu bekämpfen. Ebenso unverzüglich wären mittels ordnungspolitischer Vorgaben der Verbrauch von Energie aus konventionellen Energieträgern und klimaschädigende Emissionen drastisch zu senken. 5) Agrarsubventionen sollen vorrangig ländlichen Räumen zu gute kommen, Strukturfonds den Ziel-1-Regionen. 6) Die Einführung einer einheitlichen Steuerbasis und eines Mindestsatzes für Körperschaftssteuern ist notwendig, ebenso die Erhebung einer spezifischen Primärenergie- und CO2-Steuer sowie der Tobin-Tax bzw. Finanzumsatzsteuer.

In Sachen EU als globaler Akteur: 1) Die Europäische Union soll unverzüglich auf alle Maßnahmen und Projekte verzichten, die ihre militärische Angriffsfähigkeit erhöhen. 2) Sie soll sofort deutlich machen, dass sie die Prioritäten ihrer Außenpolitik grundsätzlich überdenkt – insbesondere durch den sofortigen Ausstieg ihrer Mitgliedsländer aus Militäreinsätzen, die Auflösung der Battle Groups und die Umwandlung der Europäischen Verteidigungsagentur in eine Abrüstungsagentur, durch ein Moratorium über ihre Sicherheitsstrategie, den Verzicht auf Aktivitäten zur NATO-Ausdehnung, den Beginn breiter öffentlicher Diskussionen über konkrete Konfliktlösungen und über das Verständnis von ‚Sicherheit’ und ‚Prävention’. 3) Die EU soll nur Importe von Waren fördern, wenn die Herstellerländer alle Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Kyoto-Protokoll etc. einhalten bzw. einen entsprechenden Stufenplan verfolgen, der sie diesen Zielen immer näher bringt. 4) Jeder Handels- oder Kooperationsvertrag der Europäischen Union soll die Menschenrechtsklausel enthalten, ihre Umsetzung wirksam kontrolliert werden. 5) Die EU muss ihre Strategie ‚Global Europe’ zurück nehmen und ihre Politik der ‚ungleichen Verträge’ beenden, die neokoloniale Abhängigkeitsverhältnisse festigen und ausbauen. Alle Außenwirtschaftsverträge mit armen Ländern, die nicht dazu dienen, die Millennium Development Ziele zu erlangen, sollen einem Moratorium unterliegen. Mit den Moratorien soll es möglich werden, eine breite öffentliche Diskussion über neue Wege in der Außenpolitik, in der Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik zu beginnen, bestehende Verträge zu revidieren und Verhandlungen zu neuen Zielen und neuen Bedingungen aufzunehmen.

Indem Akteure Gemeinsamkeiten mit anderen suchen, sich die Probleme der anderen – insbesondere der Schwächsten und Schwächeren – aneignen und zuerst solche Handlungsressourcen für die politische Problembearbeitung einspielen, über die andere nicht verfügen, werden neue politische Bündnisse und solidarisches Miteinander entwickelt. Sie sind die Voraussetzung für gesellschaftliche Transformationsprozesse in Richtung individuelle Freiheit in sozialer Gleichheit, gesellschaftlicher Solidarität und intakter Natur.



[1] Judith Dellheim, Günter Krause (Hrsg.), Für eine neue Alternative. Herausforderungen einer sozialökologischen Transformation, Manuskripte 77, Berlin, 2008, 9

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