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Wie tief ist die Krise?

Nicht nur bei den Diskussionen um die Qualität von Gutachten der Konjunkturforschnungseinrichtungen, auch bei Bewertungen von Quartalszahlen oder eben auch bei Diskussionen um Alternativen spielt die Bewertung der Tiefe der Krise eine große Rolle. Jede positiv scheinende Nachricht wird gerne als „Licht am Ende des Tunnels“, als „Bodensatz“ oder ähnlich interpretiert – und dies schon mit schöner Regelmäßigkeit seit Mitte 2007 übrigens.
Wie tief die Krise wirklich war, wird man erst nach ihrem Ende wissen. Insofern ist eine abstrakte Bewertung fruchtlos. In unserem  Diskussionsangebot „Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus – Herausforderung für die Linke“ sprechen wir davon, dass im Unterschied zu anderen Krisen in der jüngeren Vergangenheit (politischen wie Wirtschaftskrisen) eine Situation völliger Offenheit des Ausgangs besteht. Schon dies deutet auf die Tiefe der Krise hin. Die tatsächliche Entfaltung der Krise hängt aber vom Handeln der Akteure dieser Krise ab. Betrachten wir dieses Handeln, so lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt sechs Indikatoren festmachen, die gegen ein nahes Ende der Wirtschaftskrise sprechen.
Der erste Indikator sind die scheinbar günstigen Abschlüsse einer Reihe von Banken, zuletzt der Deutschen Bank. Diese Abschlüsse und die damit verbundenen Gewinne sind ausschließlich der staatlichen Stützung des Finanzsektors zu danken. Wenn die Deutsche Bank „stolz“ darauf ist, ohne Staatshilfe auszukommen, so ist dies sachlich falsch – nur die staatlichen Stützungen, sei es auch an anderen Stellen im Finanzsystem, hält diesen Sektor überhaupt noch handlungsfähig. Deutlich wird dies, wenn man sich die starken und schwachen Geschäftsfelder ansieht – das klassische Bankgeschäft läuft schlecht, das Investmentgeschäft gut. Sieht man von möglichen Manipulationen oder Gestaltungsmöglichkeiten in den Bilanzen ab liegt hier das tatsächliche Problem. Die Struktur der Gewinne bedeutet eine hohe Abhängigkeit gerade von den Staatspapieren und von der Fortführung von Verbreifungs- und ähnlichen Geschäften. Dass dafür auch noch Geld da ist, zeigt, wie hoch die Reserven der Reichen noch zu sein scheinen. Zugespitzt läßt sich vielleicht sagen, dass wir uns möglicherweise in einer durch die Art der Staatshilfen möglich gewordenen Phase der Neukonstituierung der „Blase“, einer Fortführung einer strukturellen Überakkumulation befinden. In jedem Fall aber wird die fällige Entwertung des überschüssigen Kapitals verzögert, so dass eine wenigstens eine längerdauernde Depression (etwa wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) wahrscheinlich wird.
Zweitens sind Wege der Überwindung der US-Staatsverschuldung bisher nicht sichtbar. Dies wäre nicht unbedingt ein kurzfristiges Problem, solange der Rest der Welt das Defizit durch Kauf der US-Staatsanleihen bezahlt. China hat sich unlängst entschlossen, den Kauf dieser Papiere einzuschränken und stattdessen Gold und andere Industrierohstoffe in großem Stil aufzukaufen. Wenn sich dieser Trend verstetigt, könnte China sich durchaus Voraussetzungen für eine binnenmarktbasierte Stabilisierung erwirtschaften. Das würde das bisherige Konsolidierungsmodell der USA (aber auch in anderer Form Deutschlands) in Frage stellen. In jedem Fall könnte dies der Anfang einer Inflationspolitik in den USA werden.
Drittens gewinnt der Abbau des in Industrie und Dienstleistungssektor angehäuften überschüssigen Kapitals zwar immer mehr an Geschwindigkeit, verläuft aber weitgehend spontan. Das ist an sich nicht verwunderlich, ist aber vor dem Hintergrund der Verflechtung mit der Klimakrise fatal. Der weitgehende Verzicht auf wirkungsvolle strukturpolitische Interventionen bedeutet, dass der wirtschaftliche Rekonstruktionsprozess in einen mehrschichtigen, von gegenläufigen Zielen, mithin aufwendigen Weg münden wird, der ebenfalls auf eine lange Depressionsphase führen könnte. Seinen Ausdruck findet dies auch darin, dass nicht die Überakkumulation, sondern die „Kreditklemme“ als das zentrale Problem betrachtet wird.
Damit verbunden ist der vierte Indikator, die bereits offene, in Deutschland vor allem gestaute Arbeitslosigkeit. Da strukturpolitische Interventionen abgelehnt werden, können auch auf mittelfristige Sicht keine qualitativ neuen Arbeitsplätze in erforderlicher Zahl entstehen. Die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in vielen Konzernen, sich für eine „Grüne Wirtschaft“ nach der Krise zu rüsten, werden nicht geeignet sein, den Abbau von Arbeitslosigkeit wirkungsvoll zu unterstützen. Ohne eine aktive Beschäftigungspolitik, die auch Initiativen „von unten“ Raum gibt, ist dieses Problem nicht zu lösen. Es sei daran erinnert, dass nach es 1990 vielfältige Versuche gab, durch Beschäftigungsgesellschaften und regionale Entwicklungsprogramme (z.B. das Sachsen-Memorandum der IG Metall) einen tatsächlichen Umbau von Wirtschaftsstrukturen zu erreichen. Dass diese nicht greifen konnten, war mit dem Interesse an der Deindustrialisierung der ostdeutschen Bundesländer zu erklären, nicht mit grundsätzlichen Mängeln des Herangehens. Auf der internationalen Ebene bedeuten die Ausfälle der Tranfers der ArbeitsmigrantInnen und ihre Rückkehr als Arbeitslose in ihre Heimatländer den Export der Krise in die ohnehin wirtschaftlich schwachen Länder.
Fünftens werden auch in dieser Situation zwei Dogmen hochgehalten, die eine Lösung der Krise erschweren: das Privatisierungsdogma und das Dogma der Haushaltskonsolidierung. Jüngstes Beispiel sind die Auflagen des IWF für Hilfen an Lettland, die Orientierung der EU, doch die private Altersvorsorge in ihrer Bedeutung zu stärken oder die Initiative der deutschen Regierung, verstärkt ÖPP zu propagieren.  Damit wird den Finanzmärkten neues Material geliefert, ohne die wirtschaftliche Basis tatsächlich zu stärken, mithin werden wesentliche Widersprüche zwischen den verschiedenen Sektoren der Wirtschaft verstärkt. Die internationalen Institutionen handeln in der Tat eher von dem Standpunkt aus, das man lieber weniger tun solle, um sich schnell wieder aus dem Gebiet der Wirtschaft zurückzuziehen – immer wieder wird betont, dass das alles nur zeitlich begrenzte Maßnahmen sein dürfen. Die sich hinschleppenden Projekte zur Regulierung der Finanzmärkte sind vor diesem Hintergrund eher Ausdruck eines bestimmten, zu den Bekundungen im Gegensatz stehenden Glauben an den freien Markt. In Deutschland findet dieser Gegensatz seinen deutlichsten Ausdruck im Gezerre um die Verstaatlichung der HYPO REAL ESTATE. Der Staat verschleudert lieber Millionen, als konsequent ein wertloses Institut als ein solches zu behandeln. Das eröffnet einem Investor, dessen Anteile an dieser nur noch von Staatsgeldern lebenden Unternehmens die Möglichkeit, seine Beteiligung an der nur so erfolgten „Wertsteigerung“ zu fordern, gar mit Klage zu drohen.
Sechstens schließlich fehlt jede Idee, die Wirkungen der Krise auf die „3.Welt“ zu beherrschen. Dies hängt sehr eng mit dem unter Punkt 5 beschriebenen Gegensatz zusammen und zeigt sich in der extensiven Protenktionismus-Polemik mit großer Deutlichkeit. Diese Polemik richtet sich primär gegen Versuche, oder vielleicht auch nur vermutete Versuche, die Entwicklung der Binnenmärkte zu stärken, was natürlich den exportierenden Staaten, wie etwa eben der BRD, ein Dorn im Auge sein muss. Die Protektionismusfrage ist eine ideologisch verbrämter Salto mortale rückwärts – ohne Protektionismus ist keine Antikrisenpolitik möglich. Krise bedeutet unter anderem gestörtes Gleichgewicht, das schließt ein, dass an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich gehandelt werden muss. Wenn man den Protektionismusvorwurf in seiner Ausdeutbarkeit anwendet, ist dies ein Bekenntnis gegen regulierende Intervention. Eigentlich wäre es an der Zeit, das Regime der internationalen Arbeitsteilung einer kritischen Bewertung und Veränderung zu unterziehen. Mit der Protektionismuspolemik soll dies verdrängt werden.

Betrachtet man diese sechs Punkte, so finden sich dort eine ganze Reihe von Tendenzen, die nicht nur die Krisenlösung behindern, sondern die sich auch gegenseitig verstärken. Das Problem wird dadurch verschärft, dass es bisher keine wirksamen Gegenbewegungen gibt. Wie bereits angemerkt – zur Zeit sieht es so aus, als ob wir vor einer langen Depression stünden.

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