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Das Diskussionsangebot „Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus – Herausforderung für die Linke“ schließt mit dem Abschnitt „Für eine solidarische Gesellschaft“, also mit einer weitreichenden gesellschaftsstrategischen Aussage. Das ist nicht überall auf Verständnis gestoßen, da ja auch auf eine weitergehende Entwicklung dieses Gesellschaftsbildes verzichtet wurde. Es gibt eigentlich nur eine zentrale Formulierung dazu: „Wenn der Glaube verbreitet wird, es käme nur darauf an, das egoistische Privatindividuum, den Homo Oeconomicus, besser zu informieren und klarer in die Verantwortung zu nehmen, so sollte die Linke für ein anders Menschenbild stehen – das von selbstbestimmt handelnden Menschen, die in Solidarität ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen und nach dem ganzen Reichtum des Lebens streben.“ (S.24)
Uns erschien es notwendig, den Bogen von der Analyse der Ursachen der Krise über die Charakterisierung konkreter politischer Handlungsrichtungen hin zu einem Gesellschaftsbild zu schlagen, da Krisen immer auch Zeiten der Durchsetzung neuer Entwicklungsrichtungen in der Gesellschaft sind. Es sind Zeiten, in denen neue Strategien gefunden werden müssen.
Dies gilt an erster Stelle für die herrschenden Kreise. Wirtschaftskrisen delegitimieren die Herrschaft der Oligarchie an einer empfindlichen Stelle – der der ökonomischen Kompetenz und des daraus abgeleiteten politischen, sozialen und kulturellen Führungsanspruchs. Sie verschieben Kräfteverhältnisse auch innerhalb der Oligarchie.
Die Verunsicherung und die Angst unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise, die Suche nach gesellschaftlichen wie auch individuellen Auswegen aus dieser Unsicherheit stellt die Frage nach der Stellung nicht nur der einzelnen sozialen Gruppen, sondern auch des Individuums in der Gesellschaft auf die Tagesordnung. Die Frage nach den konkreten Handlungsmöglichkeiten ist in einer solchen Situation eine ganz praktische und existenzielle Frage für die Einzelnen. Die Frage steht, wie sich die Einzelnen dann entscheiden – unterwerfen sie sich einem Konkurrenzregime, folgen sie den Mustern eines verschärften Standortnationalismus (und damit einer Solidarität in dem durch den Neoliberalismus umgedeuteten Sinne) oder finden sie Wege eines gemeinsamen, globalen solidarischen Handelns, das neue Spielräume von Emanzipation schafft. Diese verschiedenen Möglichkeiten sind mit unterschiedlichen gesellschaftsstrategischen Entwürfen verbunden, die als „Lebenshilfe“ und als Legitimation der jeweiligen politischen Richtung eine große Rolle spielen. Letztlich geht es um die Handlungsfähigkeit und damit um die Chance, in Krisenzeiten Anker für die Politik „danach“ setzen zu können. Dies ist mit einer Radikalisierung der Konzeptbildung verbunden, mit einer viel stärkeren Sichtbarkeit der sich darum abspielenden Auseinandersetzungen. Außerdem ist die Krise selbst ein Prüfstein für die Tragfähigkeit der Konzepte.
In den gegenwärtig diskutierten strategischen Konzepten ist die Frage des Einstiegs in bestimmte Entwicklungsrichtungen deutlich sichtbar. In dem erwähnten Papier des IfG werden einige dieser Strategien näher charakterisiert (S.8ff.) Nimmt man den hier gewählten Ansatz zum Ausgangspunkt, lassen sich sehr grob gesagt folgende Richtungen charakterisieren.

Die beherrschende Tendenz ist die Wiederbelebung der (Neuen) Sozialen Marktwirtschaft. Angetrieben von Schröders Agenda 2010 hatte die CDU bereits zum Beginn der 2000er Jahre auf diese Option gesetzt. Seit dieser Zeit wird Sozialen Marktwirtschaft als Fiktion, ohne einen genau sichtbaren Inhalt beständig in die öffentliche Diskussion gedrückt. Gestützt wird dies durch den Irrtum, bei der Sozialen Marktwirtschaft würde es sich um den Sozialstaatlichen Kompromiss handeln. Der in radikaler Weise auf die Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft verweisende Flügel, z.B. repräsentiert durch Friedrich Merz, hat dies keinesfalls im Sinn. Für den hier zu diskutierenden Zusammenhang ist wichtig, dass die dort vertretene Fiktion des allumfassenden und soziale Übel heilenden Marktes sowie einer naturgegebenen „Gleichheit am Start“ eine grundlegende Umdeutung des Solidarischen, seine Pervertierung im Sinne der Totalisierung einer Konkurrenzgesellschaft einschließt. Die Mehrheits-SPD versucht nun entsprechend dem Steinbrück/Steinmeier-Konzept die besseren MarktwirtschafterInnen zu markieren. Es gibt kein eigenes sozialdemokratisches Leitbild mehr – Ziele werden von den anderen linken Bewegungen unter einem spätestens seit der WASG-Gründung kaum noch haltbaren Bezug auf alt-sozialdemokratische Traditionen je nach Bedarf geborgt. Tatsächlich aber sind die in diesem Rahmen vertretenen Konzepte gegen die Entwicklung des Solidarischen im Sinne der Traditionen der Arbeiterbewegung, im Sinne einer widerständigen Tradition gerichtet.
Ähnlich versuchen andere Kräfte, aus der Unsicherheit durch Umdeutung des Solidarischen Kapital zu schlagen. Dies betrifft z.B. die EU, die bereits im November die Bedeutung der Bewahrung der Stabilität der sozialen Sicherungssysteme erkannte. Dies wurde dann im März 2009 in den Empfehlungen zur Sozialagenda bekräftigt. Dort wird die Krisenbekämpfung unmittelbar mit einer Forderung an die „Solidarität im Verzichten zu Gunsten der Krisenbekämpfung“ verbunden.
Auch die Kirchen versuchen, angesichts der Krise wieder stärkeren ideologischen (und damit natürlich auch politischen) Einfluss zu erlangen. Die Fixierung auf die moralischen Unzulänglichkeiten einzelner Akteure (oder auch aller) läuft ja nicht auf ein alternatives emanzipatorisches Menschen – und Gesellschaftsbild hinaus, sondern nur auf eine „bewusstere“ Einordnung in das gegebene System.

Die Kampagne „Gemeinsam für ein gutes Leben“ der IG Metall ist derzeit eine der wenigen Aktivitäten, die dem etwas entgegensetzt. Hier geht es tatsächlich um ein anderes Menschenbild, um ein anderes Verständnis des Solidarischen, wie es aus gemeinsamem Handeln zur Veränderung der Wirklichkeit in konkreten betrieblichen Kämpfen entstehen könnte.

Die in unserem Papier intendierte Strategie einer Solidarischen Gesellschaft versteht sich in einer ähnlichen Richtungen: Menschen sollen gemeinsam über die Bedingungen ihres Lebens bestimmen können. Die Eröffnung von individuellen und gesellschaftlichen Perspektiven gleichermaßen kann und soll gerade in dem Bezug auf Begriff und Praxis des Solidarischen deutlich werden. Die Enteignung, die den Konzepten etwa der (Neuen) Sozialen Marktwirtschaft einbeschrieben ist, soll überwunden werden: „Das Konzept einer Solidarischen Gesellschaft ist ein Konzept der Wiederaneignung dieser produktiven Kräfte [die der Gesellschaft in der Phase des Neoliberalismus verstärkt entzogen wurden] mit dem Ziel der Überwindung der zerstörerischen Tendenzen der letzten Jahrzehnte und der Selbstbesinnung der Massen auf ihre eigene Kraft, Probleme der Welt gemeinsam zu lösen. Dies betrifft alle Ebenen – die lokale, die regionale wie auch die globale.“ (S.24)
Die Frage an das politische Handeln der linken Bewegungen ist unter diesem Gesichtspunkt, ob Vorschläge zur Überwindung oder Abmilderung der Krise einem solchen Ansatz entsprechen, oder ob sie eben „nur“ eine bloße Sicherung FÜR die Menschen ist. Der hier vertretene Ansatz der Solidarischen Gesellschaft zielt nicht, wie gelegentlich unterstellt, plump auf einen irgendwie idyllischen Kapitalismus, es geht primär um die Erweiterung von Handlungsspielräumen der sozialen Akteure, es geht um eine andere Art, Politik zu machen und schließlich um eine bewusste Wiederaneignung des Solidarischen in der Kultur der Linken.

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