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Vor einem Jahrzehnt spaltete das tausendfach gelesene und zitierte Buch »Empire« von Antonio Negri und Michael Hardt seine Leserschaft. Ihre These: Eine neue politische Ordnung des globalisierten Kapitalismus sei im Entstehen. Die Welt der Nationalstaaten gehe langsam in einem neuen weltumspannenden Empire auf. Ihr kontroverser Rückgriff auf den Begriff des »Imperiums« lenkte den Blick auf die Frage, in welche Richtung sich die internationale Staatenordnung nach 1989 entwickelt. Imperien sind eine grundlegende Institution nicht nur der politischen Moderne. Ebenso wie es sie in vorkapitalistischer Zeit gab und in der Zeit des aufsteigenden Kapitalismus, so gab es sie in der Zeit des Imperialismus. Sie hatten eine Lebenszeit, die viele Nationalstaaten Europas noch nicht erreicht haben. Über zweitausend Jahre charakterisierten sie nicht nur den europäischen Kontinent.

Die Hauptakteure in der globalen Politik waren im Großteil der Geschichte Imperien und keine Staaten. Vor einem Jahrhundert waren fast alle Territorien außerhalb Europas und des amerikanischen Kontinent beherrscht von einer guten Handvoll imperialer Staaten (im Wesentlichen England, Frankreich, Deutschland, Holland, Italien, USA, Belgien, Japan). Gegen die seit den 1950er Jahren vielfach geteilte Annahme, dass das Zeitalter der Imperien zu Ende gegangen sei, setzen Hardt und Negri ihre These. Es bilde sich ein neuartiges, postmodernes, nicht mehr nur in einem Nationalstaat gegründetes Empire, das als politische Ordnung eines räumlich, zeitlich und sozial entgrenzten Kapitalismus verstanden werden könnte.

2004 folgte eine zweite Publikation: »Multitude. Krieg und Demokratie im Empire«. Ihre Kernaussage: Der Gegenspieler der Macht im Empire ist die Multitude. Sie ist etwas anderes als Volk, Masse, Menge oder Arbeiterklasse. Sie ist plural, eine Vielfalt, die aus sozialen, kulturellen, ethnischen, ökonomischen usw. Unterschieden gemacht ist. Diese offenbar neue Vielfalt wurde von ihnen als politisch produktives Hauptmoment eines revolutionären Projekts begriffen. Daraus entstand unmittelbar das zweite Thema dieses Buches, die Frage der politischen Organisation – wie unter den Bedingungen des Globalkapitalismus die unterschiedlichsten Akteure durch Verhältnisse der Autonomie, Gleichheit, Kooperation, Selbstverwaltung und Selbstveränderung zusammenkommen können. In der aktuellen Rede von der »pluralen Linken« oder der »Mosaik-Linken« kann man einen Widerhall dieses ähnlich umstrittenen Textes sehen.

Den Abschluss dieser ungewöhnlichen Trilogie bildet nun der eben in Deutsch erschienene und von Thomas Atzert hervorragend übersetzte Band »Common Wealth. Das Ende des Eigentums.« Er möchte die Voraussetzungen und Formen der »demokratischen politischen Aktion im und gegen das Empire« entwickeln – also nichts weniger als einen Vorschlag für eine grundlegende, revolutionäre Veränderung umreißen. Dabei vertiefen die Autoren ihren bereits in den früheren Büchern begonnenen Bezug auf das »Gemeinsame«, die »commons«, an dem wir alle teilhaben. Sie unterscheiden zwischen den natürlichen commons, also dem gemeinsamen Reichtum der materiellen Welt, der Luft, dem Wasser, der Früchte der Erde und der Schätze der Natur, und den künstlichen, sozialen commons wie Wissen, Sprachen, Codes, Information, Affekte etc. Es gelte, gegen das Ineinandergreifen von Kapital und Recht (der Republik des Eigentums) das Gemeinsame und seine Potenziale zurückzugewinnen, auszuweiten und, schließlich, »eine neue Welt des Gemeinsamen«, eine »Welt des Common Wealth« und eine Demokratie der Multitude zu schaffen. Die Entfaltung dieses Grundgedankens, den die Verfasser letztendlich mit der alt-neuen Idee des Kommunismus zu verbinden suchen, unterstützt sicherlich die aktuellen politischen Kämpfe gegen die »Entsozialisierung des Gemeinsamen«, für eine Stärkung der commons und des Öffentlichen und eine demokratische Teilhabe an den Entscheidungen über das Gemeinsame, die Gemeingüter und das Gemeinwesen (Kommune).

Freilich setzen Hardt/Negri wie auch in ihren früheren Publikationen »staatlich« und »öffentlich« kurzerhand gleich – ihr Wissen über die vielfältigen Traditionen des Öffentlichen und seines demokratischen Potenzials kann bestenfalls als rudimentär bezeichnet werden. Geradezu grotesk wird diese Praxis in Feststellungen wie dieser: »Auch in den kapitalistischen Ländern gab es starke sozialistische Elemente: bürokratische Planung und Regulierung der Wirtschaft, staatliche Industrien und öffentliche Dienstleistungen, koordinierte staatliche Regulierung von Kapital und organisierter Arbeit und so weiter.«

Hardt/Negri greifen eine Fülle von Theorietraditionen und aktuellen Debatten auf. Die Moderne wird – ganz anders als die sozialdemokratische Rede von der »unvollendeten Moderne« – als eine Machtbeziehung zwischen Herrschaft und Widerstand, Souveränität und Befreiungskämpfen skizziert, die nicht vollendet ist, sondern mit der durch den Aufbau einer ganz anderen Gegenmoderne und »Altermodernität« gebrochen werden müsse. Der Gegenwartskapitalismus ist für sie charakterisiert nicht nur durch die Ausbeutung der natürlichen Commons. Es geht zugleich um die »Expropriation des Gemeinsamen, in deren Mittelpunkt die Ausbeutung der biopolitischen Arbeit steht … also die Produktion gemeinsamer Formen von Reichtum wie etwa Wissen, Information, Bilder, Affekte und sozialen Beziehungen«. Nach Ansicht der Autoren »schließt der biopolitische Begriff des Gemeinsamen gleichermaßen alle Bereiche des Lebens ein«. Die Republik des Eigentums versuche, dieses »Gemeinsame zu unterjochen, auszubeuten und zu privatisieren, um es entsprechend den Gesetzen individuellen Besitzes und liberaler politischer Repräsentation umzuverteilen«.

Wie steht es um die Gegenkräfte? Die beiden Autoren versuchen die Multitude näher zu umreißen, indem sie die »Multitude der Armen« untersuchen und zur Frage argumentieren, wie äußerst unterschiedliche Elemente der Multitude politisch kooperations- und organisationsfähig werden. Da sich die Orte ökonomischer Produktion auf das gesamte Terrain der Gesellschaft ausgeweitet haben, reicht eine Arbeiterrevolution heute nicht mehr aus – für sie ist dementsprechend die sozialistische Arbeiterbewegung seit 1968 »in die letzte Phase ihrer Geschichte« eingetreten. Was die Fabrik für die industrielle Arbeiterklasse war, ist heute die Metropole für die Multitude. Als Inhalt eines revolutionären Übergangs sehen sie »den Zuwachs an demokratischen Fähigkeiten der Multitude« an.

Freilich baut diese Hoffnung auf eine globale Multitude auf der Annahme auf, dass sie ihre Wurzeln im Gemeinsamen in allen Bereichen des Lebens schlagen könne. Dies indes ist eine illusionäre Annahme in einer Zeit, in der durchgängig all jene Momente des Gemeinsamen, welche die Autoren nennen, ungebrochen in Wert gesetzt und in kapitalistisch fungierende Waren verwandelt werden. So bleibt es bei hoffnungsvoller Mystik.

Michael Hardt/Antonio Negri: Common Wealth. Campus, Frankfurt am Main. 448 S., geb., 21,95 €.

Besprechung für: Neues Deutschland v.17.3.2010

2 Responses to “Eine neue Welt des Gemeinsamen:COMMON WEALTH”

  1. […] das davor und dazwischen lesen möchte, gucke hier, hier oder hier. Nach dieser Besprechung bin ich nicht gerade motiviert, das Buch zu lesen. Hat jemand […]

  2. […] ND, mehring1, on the left side, […]

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