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Nachdenkliches Wundern

[1]Mancher Text hilft Mancher/Manchem, Probleme besser zu verstehen, obwohl er den vor der Lektüre erhofften Beitrag nicht recht erbringt. Das schlussfolgerte zumindest die Autorin eines mehring1-Sommerausklangsposts [2] , die sich über ein lesenswertes Diskussionsangebot [3] der Redaktion der Zeitschrift PROKLA sehr wunderte. Das Wundern hat nicht nur damit zu tun, dass im Text der Begriff „Globalisierung“ nicht auftaucht. Es hat vor allem damit zu tun, dass ein spezifisches Herangehen an Probleme und Diskussionen, das für die linke globalisierungskritische Bewegung typisch ist, vermisst werden muss: Eigene Probleme im Kontext mit menschheitlichen Existenzfragen diskutieren, dabei deutlich an globale linke Diskussionen anknüpfen und sich direkt auf Aktionen der internationalistischen Linken beziehen. Dieses Herangehen verstellt keineswegs die offensive Auseinandersetzung mit Fragen, die hier und heute zu klären sind, sondern zielt auf solidarische Praxis, auf die gemeinsame Arbeit an gesellschaftlichen Alternativen von unten aus. Es bedeutet Vernetzung von emanzipativ-solidarisch Aktiven und Sensibilisierten wie ihrer Zusammenschlüsse – auf Arbeit an politischen Bündnissen. Es ist mit dem Bemühen verknüpft, das Soziale und Ökologische in all ihrer Vielfalt als Zusammengehörendes zu verstehen und gerecht zu gestalten – weil es um die Lebensverhältnisse der Menschen und vor allem der sozial und global Schwächsten geht. Das Herangehen hat nicht zuletzt mit einem spezifischen Selbstverständnis von WissenschaftlerInnen in den sozialen Bewegungen zu tun (von denen Viele wie z. B. Susan George, Patrick Bond, Ana Ester Cecena und Walden Bello Partnerinnen und Partner der RLS sind). Der ursprünglich zapatistische Slogan „Suchend schreiten wir voran“, der nicht zuletzt die Bereitschaft und Fähigkeit zu Selbstkritik reflektiert, ist ihre Maxime.

Es ist ja nicht so als gäbe es im Text der PROKLA-Redaktion keine Spur von diesem Herangehen – Spuren finden sich insbesondere in „1.4 Ökoimperiale Spannungen und autoritäre Abschottung“. Aber das Herangehen prägt nicht den Text und auch nicht die Diskussionen unter den Linken in Deutschland. Das aber erklärt zumindest zu einem Teil, warum sie wie die Linken in Europa insgesamt in der politischen Defensive verharren: ihre Kultur macht es ihnen nicht möglich, einen Politikstil zu praktizieren, der vom hier skizzierten Herangehen bestimmt ist. Ohne erforderliche Selbstkritik und ohne aktive Solidarität mit jenen, die Unterstützenswertes leisten und/oder jenen, die am Dringendsten Hilfe brauchen, wird es aber “so weitergehen”. Die Selbstkritik muss beim Mangel an Solidarität – insbesondere mit Syriza nach der Wahl vom Januar 2015, mit Geflüchteten und den gerechten Kämpfen der Kurdinnen und Kurden – und der Frage nach den Schranken der eigenen Sicht anknüpfen. Ganz einfach gesagt:

  1. Ohne radikale Kritik der Linken in Deutschland und Europa kommen wir nicht weiter. Dazu gehören radikale Selbstkritik und die überfällige Auseinandersetzung mit den selbst verspielten Chancen für linke Politik.

  2. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Arbeit an linken Strategien beitragen wollen, müssen sie über geeignete Begriffe und Methoden nachdenken. Von den Intellektuellen in der globalisierungskritischen Bewegung kann sehr Verallgemeinerungswürdiges besonders zur Analyse von Interessen und Konfliktlinien, zu kritischen Zäsuren und Szenarien gelernt werden.
  3. Wir werden bei der Arbeit an linken politischen Strategien nur weiterkommen, wenn wir ständig analysieren, wie sich warum und wodurch politische Konstellationen und Handlungsbedingungen verändern; und wenn wir die Konsequenzen daraus diskutieren.

  4. Wir sollten ständig danach sehen, wer was warum Unterstützenswertes tut und daher die eigene Unterstützung erfahren sollte. Und wir sollten ständig danach sehen, wer was analysiert und zur Diskussion stellt, woraus man lernen kann und wovon ausgehend man den Austausch suchen sollte.

  5. Das Gesagte ernsthaft betreibend, könnte eine Kultur kollektiven wissenschaftlichen und wissenschaftlich-praktischen Suchens wachsen. Die Arbeit mit kritischen Szenarien und Zäsuren, die Konzepte „Mitte-Unten-Bündnis“ und „doppelte Transformation“ könnten dafür Anknüpfungspunkte sein.

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