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Streiterin der Care-Revolution

Rezension der kleinen Festschrift für Gabriele Winker zum 60. Geburtstag

Wer Gabriele Winker einmal persönlich erlebt hat, und sei es nur bei einem Vortrag, wird kaum glauben, dass sie Anfang November ihren 60. Geburtstag feiern konnte. Winker ist seit 2003 Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der Technischen Universität Hamburg-Harburg und leitet u.a. dort die Arbeitsgruppe Arbeit–Gender–Technik. Zuvor war sie in der Verwaltung des Landes Bremen und danach fast zehn Jahre als Professorin an der Fachhochschule Furtwangen tätig. Heute ist sie vor allem als engagierte Streiterin in Sachen Care und »Care-Revolution« – und als Verfechterin des theoretischen Konzepts der »Intersektionalität« bekannt. Sie ist bekennende Feministin, Marxistin; und nicht zuletzt politische Aktivistin. Sie ist sich auch nicht zu schade, in Neuköllner Kneipen mit autonomen KommunistInnen vom »Ums Ganze«-Bündnis zu diskutieren, oder vor 25 traditionsmarxistischen BesucherInnen bei der MASCH in Bremen engagiert über die Grundlagen des Care-Gedankens zu erzählen.

MitstreiterInnen und SchülerInnen haben jetzt überraschend eine kleine Festschrift zusammengetragen, die in einer Art Bricolage thematisch den Weg umreißt und illustriert, den Winker theoretisch, politisch und wissenschaftlich gegangen ist: Von der (feministischen) Technikforschung zur Intersektionalität. Heute treten sie und andere AutorInnen dafür ein, gleichrangig Identität, symbolische Repräsentation und Sozialstruktur zu untersuchen und zu reflektieren und alle miteinander verwobenen Unterdrückungsverhältnisse in den Blick zu nehmen. Das Buch enthält zehn Beiträge zu feministischen Analysen und Strategien und je fünf zum Thema »Care« bzw. zu Technik als Feld feministischer Auseinandersetzungen. Alle sind auf der Höhe der Zeit, in der die Forderung nach Selbstbestimmung längst in die neoliberale Selbstverantwortung umgedreht wurde.

Kathrin Ganz berichtet darüber, wie digitale Öffentlichkeiten und soziale Medien für kritisch inspiriertes Empowerment im und durch das Internet heute genutzt werden (können). Nina Degele zeigt am Beispiel von Fußball und von KinokartenabreisserInnen, dass Intersektionalität als Konzept auch für eine Untersuchung dieser Felder frucht- und anwendbar ist. Antje Schrupp, die als bekennende Anarchistin auch bei der evangelischen Kirche arbeitet, schreibt gewohnt souverän über ihr am italienischen Differenzfeminismus geschultes Denken: Feminismus habe weniger etwas mit dem Verhältnis von Frauen zu Männern zu tun, als vielmehr damit, wie Frauen die Welt gestalten und sie sich darüber aneignen. Eigene, selbstentwickelte Regeln und Maßstäbe sind dabei hilfreich, ein Denken in binären, sich ausschließenden Kategorien wie etwa Reform-Revolution ist dafür eher hinderlich. Es gehe, so Schrupp, vielmehr darum, Verantwortung für das Tun und Sein zu übernehmen, am jeweiligen Ort. Wibke Derboven berichtet auch empirisch über die Zeitverwendung von »Frauen« und »Männern« bzw. Müttern und Vätern in Hinsicht auf bezahlte und unbezahlte Arbeit. Hier zeigt sich, dass Mütter pro Woche etwa 15 Stunden mehr unbezahlte Arbeit leisten, als Frauen ohne Kinder. Väter leisten vier Stunden mehr unbezahlte Arbeit und sieben Stunden mehr Erwerbsarbeit als Männer ohne Kinder.

Die Beiträge resultieren teilweise aus der jeweiligen Forschung der AutorInnen und sind deswegen spezialisiert, aber das ist nicht weiter schlimm; einer bietet sogar etwas Einblick in die private Person Winker. Dieses Buch umfasst eine eindrucksvolle Palette aktueller feministischer und queer-feministischer Kämpfe, Perspektiven und Positionen – jenseits poststrukturalistischen Jargons. Positionen und Kämpfe, die nach Solidarität, emanzipatorischen Bündnissen, Anerkennung, Lebensqualität und nach der Überwindung sozialer Ungleichheiten fragen.

Melanie Groß, Kathrin Schrader, Tanja Carstensen (Hrsg.): care | sex | net | work. Feministische Kämpfe und Kritiken der Gegenwart; unrast-Verlag, Münster 2016, Seiten: 176 Seiten, ISBN 978-3-89771-307-9

 

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