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Newsletter des Karl-Polanyi-Instituts

Nr. 1, September 2015
(deutschsprachige Version/englischsprachige Version erhältlich beim Karl Polanyi Institut in Montreal [1])

INHALT:
1. Karl Polanyi kehrt nach Wien zurück
2. Dokumentarfilm: Abe Rotstein und die „Weekend Notes“
3. Die Gründung des Karl Polanyi Institute Asia Cooperative (KPIA)
4. Karl-Polanyi-Preis der Sektion Wirtschaftsoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie verliehen
5. Jüngste Veröffentlichungen zu Karl Polanyi

 

1. Karl Polanyi kehrt nach Wien zurück

Am Nachmittag des 20. August 2015 trafen sich Freunde, Kollegen und Anwohner am Eingang der Vorgartenstraße 203 in Wien, um der Enthüllung einer Erinnerungstafel am früheren Wohnhaus von Karl Polanyi und Ilona Duczynska beizuwohnen. Diese lange überfällige Rückkehr von Karl Polanyi und Ilona Duczynska nach Wien wurde durch Christoph Deutschmann, einen deutschen Soziologen, der oft in Wien weilt, initiiert. In seiner Ansprache anlässlich der Enthüllung sagte er, dass er bei seinen vielen Besuchen in Wien gesehen habe, dass viele solche Tafeln dem Andenken von Musikern, Schriftstellern, Schauspielern und anderen Personen der Kulturgeschichte gewidmet waren, aber keine dem bedeutenden Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi. Mit Unterstützung der deutschen und österreichischen soziologischen Gesellschaft und der unschätzbaren Hilfe von Prof. Jörg Flecker, Vorstand des Instituts für Soziologie der Universität Wien, wurden alle bürokratischen und sonstigen Hindernisse überwunden. Auf der Tafel steht: „In diesem Haus lebte von 1924 bis 1933 der Wirtschaftshistoriker und Sozialanthropologe Karl Polanyi mit seiner Frau, der Historikerin Ilona Duczynska, und ihrer Tochter Kari“.

Kari Polanyi begann ihre Rede mit der Feststellung, dass sie ein Kind des Roten Wien war. Obwohl sie keine Geschwister hatte, war sie nie allein. Sie erinnert sich an jeden Tag im Februar 1934, als die Regierung die Arbeiter von Wien angriff und besiegte. Kurz danach wurde sie nach London geschickt, während ihre Mutter für weitere zwei Jahre in Wien blieb, um dem Schutzbund bei seinem Widerstand gegen den österreichischen Faschismus zu unterstützen. Vor der Enthüllung der Tafel schloss Kari ihre Rede mit den Worten, dass sie großes Glück hatte, Eltern gehabt zu haben, die sehr verschieden und geistig unabhängig waren, und doch gemeinsam eine sozialistische Philosophie des Lebens teilten. Sie erinnerte daran, dass György Dalos die Ehe ihrer Eltern einen Bund der Gleichen genannt hatte.

Nach den einführenden Bemerkungen von Prof. Flecker und Prof. Deutschmann wurde durch die folgenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die fortdauernde Bedeutung des Werks von Karl Polanyi hingewiesen: Theresa Fibich (Universität Wien), Alan Scott (Universität Innsbruck), Sandor Striker (Universität von Budapest), Andreas Novy (Wirtschaftsuniversität Wien), Tatjana Thelen (Universität Wien) und Sigrid Stagl (Wirtschaftsuniversität Wien). An Ilona Duczynska erinnerte ihre Biografin, Veronika Helfer von der Universität Wien. Elisabeth(Liesl) März erinnerte an ihren Vater, den Wirtschaftshistoriker Eduard März, der in diesem Haus aufwuchs, bevor er 1938 emigrierte. Abschließend sprach der Stadtsoziologe Georg Wiesinger als heutiger Bewohner des Hauses Vorgartenstraße 203. Nach den Reden öffneten Wingrit und Anton Tolpeit großzügig ihre Wohnung für alle und boten Erfrischungen an.

Ein fünfzigminütiges Video [2] des Ereignisses hat Peter Janacek fertiggestellt (password: polanyi).

 

2. Dokumentarfilm: Abe Rotstein und die „Weekend Notes“

Abraham Rotstein war in den frühen 1950er Jahren ein Student Karl Polanyis. In diesem einzigartigen Interview erinnert sich Rotstein an seine Begegnungen mit Karl Polanyi an vielen Wochenenden und wie er von Polanyis Kritik der Utopie freier Märkte fasziniert war. Es ist eine Geschichte von Freundschaft und intensiver intellektueller Anregung.

Wir laden Sie ein, diesen Dokumentarfilm von David Nadjari [3], basierend auf einem Interview in der Wohnung von Abraham Rotstein, der 2015 verstarb, anzusehen. Das Interview wurde im Oktober 2012 durchgeführt.

 

3. Die Gründung des Karl Polanyi Institute Asia Cooperative (KPIA)

Ein Memorandum of Understanding zwischen der Stadtregierung von Seoul, dem Karl Polanyi Institut in Montreal [1] und dem Planning Committee of Karl Polanyi Institute Asia führte zur Gründung der Karl Polanyi Institute Asia Cooperative (KPIA). Die Vereinbarung wurde im November 2014 durch Prof. Margie Mendell, Direktorin des Karl-Polanyi-Instituts in Montreal, Herrn Won Soon Park, Bürgermeister von Seoul, Reverend Kyong-Yong Song, Vorsitzender des Planungskomitees, und Dr. Graham Carr, Vizepräsident der Concordia-Universität Montreal, unterzeichnet. Das Karl Polanyi Institute Asia sieht seine Aufgabe darin, den Einfluss des Werkes von Karl Polanyi in Asien zu stärken, Dialog und Forschung zu Fragen der Sozialökonomie in Korea und in Asien insgesamt zu fördern. Dr. Alan Shepard, Präsident der Concordia-Universität, und Prof. Kari Polanyi-Levitt nahmen an der Eröffnungszeremonie [4] des Instituts am 24. April 2015 in Seoul teil.

In seinem Grußwort betonte der Bürgermeister von Seoul, Won Soon Park, die Bedeutung der Ideen Karl Polanyis für die Zukunft der Region: „Die Fortschritte, die wir gemacht haben, indem wir nur nach vorne sahen und in höchster Eile Industrialisierung und Demokratisierung vorantrieben, schneller als in jedem anderen Land, waren nichts anderes als ein Ausdruck unser völligen Unfähigkeit, Hilflosigkeit und unseres Hochmuts. Sie machten deutlich, wie wenig wir uns des Werts einer neuen Gesellschaft und Vision bewusst waren. Hier gelten die Worte von Antonio Gramsci, für den eine Krise genau darin bestand, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann. Jeder betont, dass wir in einer Krise sind. Doch das „Neue“, das wir brauchen, um das Alte zu ersetzen, zeigt sich nicht. Won Soon Park fügte hinzu: „Da Krise nur ein anderer Name für Chance ist, müssen wir die Krise in eine Große Transformation hin zu einer neuen Gesellschaft und Zivilisation überführen. Karl Polanyi hat uns die Motivation hinterlassen, neue Ideen und ein neues Modell gesellschaftlicher Entwicklung zu erkunden…“

 

4. Karl-Polanyi-Preis der Sektion Wirtschaftsoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie verliehen

Auf dem 37. Soziologiekongress 2014 in Trier wurde der mit 500,- Euro dotierte Karl-Polanyi-Preis [5] zum vierten Mal verliehen. Den Preis erhielt in diesem Jahr Gertraude Mikl-Horke für ihre Monographie “Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie” [6], erschienen im VS Verlag für Sozialwissenschaften (Inhaltsverzeichnis, PDF [7]). Sigrid Quack, Nina Baur und Sighard Neckel gehörten der Auswahljury an, die Laudatio hielt Sighard Neckel. Die Jury hat im Zuge der Preisverleihung zudem eine “honorable Mention” für die Monographie von Lisa Knoll “Über die Rechtfertigung wirtschaftlichen Handelns. CO2-Handel in der kommunalen Energiewirtschaft” ausgesprochen.

Frühere PreisträgerInnen:
2008: Patrik Aspers für den Aufsatz “Wissen und Bewertung auf Märkten”, erschienen im Berliner Journal für Soziologie, 2007/4, S. 431-449
2010: Andreas Langenohl für seine Monographie “Finanzmarkt und Temporalität” (2007, Stuttgart: Lucius und Lucius).
2012: Sophie Mützel für ihren Aufsatz “Koordinierung von Märkten durch narrativen Wettbewerb”, erschienen in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 49: 87-106.

 

5. Jüngste Veröffentlichungen zu Karl Polanyi

Michael Brie führt in das Werk des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlers Karl Polanyi (1886-1964) als eines Sozialisten ein, der Wege suchte, die aus dem Kapitalismus und der faschistischen Krise der Marktgesellschaft hinausführen. Er skizziert Möglichkeiten des Dialogs zwischen Karl Polanyi und Nancy Fraser, der bekanntesten US-amerikanischen Feministin.

Es handelt sich um die Übersetzung des Buches Karl Polanyi. Per un nuovo occidente. Scritti 1919-1958, herausgegeben von G. Resta and M. Catanzariti, 2013, ins Japanische. Die englische Version, Karl Polanyi. For a New West: Essays, 1919-1958, wurde durch Polity Press 2014 veröffentlicht.

Die Herausgeber haben diesen Beitrag als herausragenden Beitrag auf dem Gebiet der Wirtschaftsanthropologie für den Emerald Literati Network Awards for Excellence des Jahres 2015 ausgesucht.

 

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