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Buchcover_StratEinb_TitelEine Rezension von Brigitte Kratzwald
Das Buch ist eine Sammlung von zum Teil überarbeiteten, zum Teil neuen Texten mehrerer AutorInnen. Schon im Vorwort beziehen die Herausgeber klar Position gegen die Beteiligung von Protestbewegungen an Bürgerdialogen, Mediations- oder Schlichtungsverfahren. Solche Einbindungsverfahren werden in den Beiträgen als Herrschaftsinstrumente entlarvt. Um die Eigenständigkeit und den emanzipatorischen Charakter von Protestbewegungen zu erhalten, müssten sich diese den Instrumentalisierungsversuchen von Politik und Projektbetreiber_innen verweigern. Die entsprechenden Prozesse werden anhand von Großbauprojekten in Deutschland analysiert, wobei ein inhaltlicher Schwerpunkt auf der Schlichtung im Zuge des Bahnhofsprojektes Stuttgart 21 liegt, die auch der Anlass für die Entstehung einiger im Buch enthaltener Texte war.
Unter »strategischer Einbindung« verstehen die AutorInnen jene Formen von Einbindung, bei denen es nicht darum geht, wirklich die Meinung der Bürgerinnen zu erfragen, geschweige denn zu respektieren, sondern die Akzeptanz von Projekten zu erhöhen. Gespräche auf Augenhöhe werden nur vorgetäuscht, in Wahrheit geht es um die Legitimation der Bauvorhaben und der Befriedung und Spaltung der Proteste. Konflikte zwischen Konzern- und Bürgerinneninteressen werden dadurch eher verschleiert. Für Bürgerinitiativen ist es schwierig, diese Angebote auszuschlagen, weil ihnen Gesprächsverweigerung vorgeworfen und ihr Anliegen delegitimiert werden kann.
Während diese Strategie bei Stuttgart 21 aufgegangen ist und das ursprüngliche Projekt der Deutschen Bahn nahezu 1:1 umgesetzt wurde, gelang es der Protestbewegung gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens durch die Verweigerung der Teilnahme am Dialog die Spaltung zu verhindern. Sie ging daraus gestärkt hervor und wuchs weiter an. Die gleiche Erfahrung gab es beim Bürgerdialog zur Atommüll-Endlager-Suche.
Diese Art der Integration von Protestbewegungen begann angesichts des Widerstands gegen die Atomenergie in den 70er-Jahren, an dem sich nicht nur linke Randgruppen, sondern ein breites Spektrum bürgerlicher Initiativen beteiligten und neue Aktionsformen des Widerstandes anwendeten, gegen die die Politik vorerst kein Mittel außer Repression und Gewalt fand. Sowohl von der Politik als auch von Unternehmen wurden Studien in Auftrag gegeben, um Strategien zu erarbeiten, die den Verzicht auf Polizeigewalt ermöglichen. In Folge entstand ein regelrechtes »Eingliederungsbusiness«, um Konflikte frühzeitig aus dem Weg räumen und Elitenprojekte zu legitimieren. Hurtig spricht in Bezug auf eine Studie von RWE von »Beherrschung durch Teilhabe«.
Diese Form des scheinbar »konstruktiven« Umgangs mit Bürgerinnenprotesten zum Zweck der Durchsetzung von Großprojekten gewinnt an Bedeutung, je schwieriger deren Umsetzung wird. Die wirklichen Konfliktlinien dahinter werden dadurch unsichtbar und die Fragen, um die es tatsächlich geht, gar nicht zugelassen. Durch die systematische Analyse und Reflexion solcher Prozesse gibt das Buch den Bewegungen gute Argumente gegen solche Beteiligungsformen in die Hand.

Michael Wilk/Bernd Sahler (Hg): Strategische Einbindung. Von Mediationen, Schlichtungen, Runden Tischen … Wie Protestbewegungen manipuliert werden; Verlag Edition AV 2014, ISBN 978-3-86841-094-5, 14 EUR.

Diese Rezension erschien zuerst in CONTRASTE, Monatszeitung für Selbstorganisation, Nr,. 360 (September 2014). CONTRASTE berichtet regelmäßig aus dem Land der gelebten Utopien: über Arbeiten ohne ChefIn für ein selbstbestimmtes Leben, alternatives Wirtschaften gegen Ausbeutung von Menschen und Natur, über Neugründungen von Projekten, Kultur von “unten” und viele andere selbstorganisierte und selbstverwaltete Zusammenhänge.

5 Responses to “Strategische Einbindung. Von Mediationen, Schlichtungen, Runden Tischen … Wie Protestbewegungen manipuliert werden (Rezension)”

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