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Während die Politik noch behauptet, ländliche Regionen nicht aufzugeben, sieht die Realität in dünn besiedelten Räumen längst anders aus. Die schrumpfende Bevölkerung und andere Faktoren verunmöglichen es, eine flächendeckende Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse herzustellen. Der chronisch unterfinanzierte Staat kann auch nicht mehr mit Subventionen ausgleichend wirken.

Das Schrumpfen erfordert nicht nur in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern Erneuerung und Modernisierung, ja es ermöglicht ein radikales Umdenken. Aus der Not und aus Überzeugung beginnen BewohnerInnen, sich um Fragen ihrer Lebensqualität selbst zu kümmern. Sie engagieren sich für Wasser-, Gas-und Stromversorgung, Verkehr, Gesundheit, Schulbildung, Freizeit und Kultur. Sie gründen freie Schulen, erfinden ihre eigene Abwasserversorgung oder stoßen neue Formen der Energiegewinnung an. Sie schaffen und erhalten Arbeitsplätze und lenken die Wertschöpfung wieder stärker in den Nahraum zurück.

Im Buch werden sie Raumpioniere genannt und sie können sowohl Einheimische sein, als Zugezogene. Sie haben eine Wünschelrutenfunktion. Statt einer eh illusionären Sicherheit oder anderswo definierten Standards nachzujagen, gehe es jetzt, so die These um neue Kooperationen zwischen Bürgergesellschaft und staatlichen Instanzen. Diese könnten Konzepte der Kritik- und Alternativbewegungen der letzten Jahrzehnte (Selbstorganisation, Kreativität, Dezentralisierung, Selbstorganisation und Eigenverantwortung) nutzen – mit dem Ziel – stattdessen – Vertrauen aufzubauen und lokale Lösungen zu finden.

Das Buch skizziert theoretische Konzepte einer Raumpolitik, die einer anderen Entwicklungslogik folgen, und damit neue, nicht ganz widerspruchsfreie Konzepte von „Regieren“ und gesellschaftlicher Regulierung mit sich bringen. Denn die Raumpioniere sollten ja nicht die billigen Trüffelschweine für neue Verwertungsmodelle eines grünen Post-Neoliberalismus sein, und bürgerschaftliches Engagement kann und darf nicht zur Kompensation weggefallener staatlicher Leistungen missbraucht werden. Nicht zuletzt stellt das im Umfeld des Bauhauses in Dessau entstandene Buch ein Dutzend Projekte aus der Praxis vor. Diese Mischung macht es interessant und wirklich lesenswert. Die drei am Schluss skizzierten Utopien für das Jahr 2050 verdeutlichen dann, dass vieles möglich ist, etwa eine sozialökologische „Rurale Republik Harz“ mit 800.000 EinwohnerInnen. Wünschenswerter und womöglich realistischer als die Wiederkehr der „Vollbeschäftigung“ ist jene allemal.

Bernd Hüttner

Kerstin Faber, Philipp Oswalt (Hg.): Raumpioniere in ländlichen Regionen. Neue Wege der Daseinsvorsorge, Verlag Spector Books, Leipzig 2013, 216 Seiten, 25 EUR

Diese Rezension erscheint auch gedruckt in der Februarausgabe von CONTRASTE, der Monatszeitung für Selbstorganisation.

3 Responses to “Von Stendal lernen? (Rezension)”

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