Feed on
Posts
Comments

us_gehorchend_befehlen_rgb_webRojas Buch, 2009 im Original erschienen, ist eine ermüdende, einzige Lobpreisung der „einzigartigen neozapatistischen Anstrengung eines Aufbaus der Bevölkerungsselbstverwaltung zusammen mit der Errichtung von verschiedenartigen Räumen einer ganz neuen Form der Gesellschaftsorganisation, einer wirklich neuen und sehr anderen Gesellschaft, was autonom und oftmals nur unter Schwierigkeiten vonstatten ging“ (S.10). Die Zapastistas mit ihrer „einzigartigen Direktdemokratie“ (S.31) seien – mit anderen radikalen Bewegungen in Lateinamerika – „heute offensichtlich die klare und unangefochtene Spitze der Avantgarde des ganzen antisystemischen Kampfes auf weltweiter Ebene“ (S.59). Angekündigt werden „Reichtum, Reichhaltigkeit, Neuheiten und Lektionen“ (S.18), die Rojas sich zu präsentieren vornimmt.

Dem heldenhaften Aufbruchsszenario, das die Zapatistas verkörpern, steht die Diagnose einer weltweiten „totalen Krise“ (S.50) gegenüber, „einer grundlegenden und unumkehrbaren Endkrise“ (S.42), in welcher der Kapitalismus seine „Endphase“ (S.41) erreicht habe und – da alles weitere (Politik etc.) mit ihm verwoben – auch hier die „definitive Endkrise“ (S.39) eingetreten wäre.

Analytisch bewegt sich Rojas durchgängig in einfachen Dualismen von Gut und Böse: Auf „der einen Seite“ finde man „einen konstruktiven und vereinigenden Geist, auf der anderen einen destruktiven und spaltenden“ (S.34); es gibt die „schlechten bourgeoisen Regierungen“ und die „guten indigenen neozapatistischen Regierungen“ (S.33) usw. usf. Eine nicht nur analytisch problematische Denkweise, die sich bis in die Sprache niederschlägt, wenn z.B. vom „einzig[.] intellektuelle[n], gesunde[n] und mögliche[n] Verhalten“ (S.23) die Rede ist. Nun mag der Hinweis auf „gesundes“ Verhalten in bestimmten Kontexten vertretbar sein – in manchen gesellschaftlichen Kontexten auch eine andere Bedeutung haben, als im westeuropäischen Raum, damit grundsätzlich verbundene Problematiken können in einem um Analyse bemühten Buch aber doch zumindest Erwähnung finden. Wenn jedenfalls solcherart doziert wird, ist es mehr als unklar, wie man in einen produktiven Dialog eintreten kann, da für Rojas alles, was nicht auf „Linie“ des Neozapatismus liegt, lediglich bourgeois zu sein scheint.

Merkwürdig wirkt es, dass Rojas einerseits immer wieder die „Weisheit der Bevölkerung“ (S.27) und „unerschöpfliche soziale Erfindungsgabe der subalternen Klassen und Sektoren des lateinamerikanischen Halbkontinents“ (S.84) preist, welche in jahrhundertlangen Kämpfen ihre Identität als reines revolutionäres Subjekt bewahrt und erobert hätten. Andererseits immer wieder die Bedeutung von Marx hervorhebt. So sei „eine Rückkehr zu einigen Konzepten der [marxistischen?] Klassiker und im speziellen zu den Lektionen von Marx notwendig“ (S.150). Außerdem spielen die Bewegungen um ’68 für Rojas eine zentrale Rolle, da diese „komplett verschieden zu den antisystemischen Bewegungen vor ’68“ gewesen seien (S.59). Zu seinem Rückgriff auf Marx passt das insofern, als er gerade mit diesen Bewegungen eine „prächtige[.] Atmosphäre der Erneuerung des Marxismus“ (S.58) in Verbindung bringt, und eine „eher dogmatische Linke“ für ihre „arme[.] und lehrbuchmässige[.] Kenntnis des Marxismus“ kritisiert, die es nicht vermocht hätte, diesen „auf kreative und konkrete Weise für die Analyse der verschiedenen speziellen nationalen Situationen anzuwenden“ (S.76).

Was zu alledem nicht passt ist sein konsequentes Schweigen gegenüber der anarchistischen Tradition, da äußerst viele seiner, sich als neu präsentierenden „Lektionen“ deutliche Spurenelemente anarchistischer Herkunft aufweisen. Z.B. sein Plädoyer für ein „Hinaustreten aus diesem begrenzten Raum der politischen Macht“ und für das Schaffen einer freiheitlich-pluralistischen „soziale[n] Gegenmacht“ (S.157), die „nicht mehr in der Form des Staates“ (S.49) sich konstituiere. Es hat schon etwas bewundernswertes, wie Rojas es nicht nur gelingt die Rolle von AnarchistInnen im Mexikanischen Bürgerkrieg zu übergehen, sondern auch den Spanischen Bürgerkrieg. Stattdessen erwähnt er immer wieder die „Pariser Kommune“, die „russischen Sowjets“, die „Räte der italienischen Arbeiter und Arbeiterinnen“ oder die „chinesische[.] Kulturrevolution“ (S.158).

Sich im Bereich des Guten und Gesunden tummelnd, werden viele Sachen von Rojas als selbstverständlich positiv erwähnt, welche zu einigen Nachfragen nötigen. Z.B.: Was hat es mit einer „unverfälschte Bevölkerungsarmee“ (S.31) auf sich? Sind Probleme der Repräsentation erledigt, wenn man „wirklich Repräsentierende“ (S.53) etabliert? Wie hat man sich dieses „einfache[.], rationale[.] und intelligente[.] Organ der Bearbeitung und Verwaltung der kollektiven sozialen Angelegenheiten“ vorzustellen, „dessen Mitglieder“ nach Rojas, „von tiefgründigen ethischen Kriterien aus, die moralischen Konsequenzen jeder getroffenen Entscheidung abschätzend und vom Prinzip des ‚Gehorchend Befehlens’ aus, der Bevölkerung gehorchend agieren“ (S.49)? Solche Fragen sind nichts zuletzt deshalb umso dringlicher, als mir überhaupt nicht klar wurde, auf welche Weise sich diese soziale Gegenmacht, von der Rojas spricht, über die Gemeinde hinaus organisieren, bzw. koordinieren soll?

Zu guter Letzt wirken die überheblichen Seitenhiebe auf den nie namentlich genannten John Holloway – „irgendein Autor“ (S.65) – irritierend, denn worin der anscheinend große Gegensatz zwischen Rojas und Holloway besteht, wurde mir nicht deutlich. Analytisch ist Holloway zumal weitaus anregender.

Rojas wirkt, nicht in seinen Positionen, aber in seinem Habitus wie ein alter Leninist oder Maoist – vielleicht nicht zufällig seine positiven Verweise auf „die russische Revolution bis zum Tod Lenins, die chinesische Revolution bis zum Tod Maos“ (S.76) –, der nun in den Zapastias seine neue Helden gefunden hat und einem libertären Sozialismus das Wort redet. Wie dem auch sei… Analytisch jedenfalls ein nicht sonderlich weitreichendes und in vielerlei Hinsicht eher unklares Buch.

Philippe Kellermann

Carlos Antonio Aguirre Rojas: gehorchend befehlen. Die politischen Lektionen des mexikanischen Neozapatismus. Münster: Edition Assemblage, 2013. 170 Seiten. 14,80 €

Wir danken Philippe Kellermann herzlich für die Erlaubnis zur Erstpublikation dieser Rezension auf mehring1. Kellermann schreibt u.a. für grundrisse und kritisch-lesen.de. Von ihm erschien zuletzt u.a. Anarchismus, Marxismus, Emanzipation (Berlin 2012, als Hrsg.).

One Response to “Rojas: gehorchend befehlen. Die politischen Lektionen des mexikanischen Neozapatismus. Münster 2012 (Rezension)”

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.

Facebook IconTwitter IconView Our Identi.ca Timeline