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Das Viereck – Nachdenken über eine zeitgemäße Erzählung der Linken

[1]«Ohne Erzählung ist jeder Kampf verloren.» – so formulieren die Autoren der Gruppe Wu Ming, deren Namen Demonstrierende in Rom auf ihren Schutzschilden [2] den Knüppeln der Polizei entgegen hielten. Mit der Nennung großer Autoren und Erzählungen der Weltliteratur auf den Book Shields verwiesen sie darauf, dass die Macht sich nicht scheut, auch gegen Geist und Schönheit gewaltsam vorzugehen (vgl. Video mit Bauanleitung [3]). Welchen Sinn und Vorteil kann es haben, ein emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt der gesellschaftlichen Linken als «Erzählung» zu bezeichnen? Weiter im PDF [4]

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2 Kommentare Empfänger "Das Viereck – Nachdenken über eine zeitgemäße Erzählung der Linken"

#1 Kommentar von Markus Euskirchen am Mai 21, 2012 00000005 9:46 am 133759361109Mo, 21 Mai 2012 09:46:51 +0000

Vgl. auch die (sicher unvollständige) [14].

#2 Kommentar von Günter Nährig am Juni 1, 2012 00000006 12:51 pm 133855506612Fr, 01 Jun 2012 12:51:06 +0000

Zum Beitrag “Die >vier U<“ von Prof. Dr. Dieter Klein in “nd” vom 26./27.05.2012

Eine Erzählung gehört zur Literatur, also zur Belletristik. Dieser Kunst liegt immer etwas Fiktives zugrunde. Sie muss fiktional sein, um gut zu wirken. Hier besteht sicher auch ein Unterschied zur Politik, die eher in der gesellschaftlichen Wirklichkeit lebt. Und wenn diese erfolgreich sein will, kann sie nicht anders als die Wirklichkeit, d. h. die tatsächlichen gesellschaftlichen Bedingungen verkörpern.

Die “vier U” sind bekanntlich überwiegend Wünsche oder Visionen. Die Realität sieht anders aus in Deutschland, Europa und eigentlich überhaupt. Warum also eine etwas anders formulierte Zusammenfügung aus dem Programm (Teil III) der Partei “Die Linke“?

Der Vorteil für den kritischen Leser dieser “Erzählung” ist aus meiner Sicht zweifach. Einmal fällt auf, dass der Bürger bzw. Wähler, d. h. der eigentliche Mensch von heute mit seinen sozialen und mentalen Gegebenheiten hier nicht vorkommt. Warum? Passt er nicht zum Konzept? Und andererseits stellen diese Visionen der Linken (nicht nur in Deutschland) unweigerlich die Fragen danach, auf welche Weise (das Wie), zu welchem Zeitpunkt (das Wann) und durch welche Kräfte (das Wer) diese Ziele erreichbar sein können.

Über das “Wie” besteht wohl heute Konsens: Demokratisch und ohne Gewalt welcher Art auch immer. D. h. dann also parlamentarisch, weil es eine andere agierende Staatsform (mit einigen Ausnahmen) auf unserem Planeten nicht wirklich gibt. Es wären somit einzelne aber auch weitreichende Verfassungs- und Gesetzesänderungen erforderlich, damit eine schrittweise Veränderung in diese Richtung möglich wird. Alles dies allerdings auf dem Boden der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation und damit in Anerkennung aller Verfassungsartikel und Gesetze. Das bedeutet gleichzeitig eine Abkehr von jeglichen Kräften, Gruppen, Organisationen usw., die die Gewaltanwendung in ihrem Handeln nicht ausschließen oder gar praktizieren. Gleiches gilt für solche Kräfte, die konzeptionell eine Gesellschaftsänderung mit undemokratischen Mittel in Betracht ziehen.

Die Linke allein kann es nicht erreichen (also das Wer). Deshalb bleibt die Frage aktuell: Welche Chancen hat die Linke heute sowie mittel- und langfristig in Deutschland bzw. Europa parlamentarisch Veränderungen zu bewirken? Selbst die Antwort hierauf fällt heute weniger schwer: Nötig sind einmal mehr als ca. 10 % der Stimmen bei Landtags- und Bundestagswahlen wie auch zum Europaparlament. Dass das allein nicht reicht, liegt auf der Hand. Also ist zum anderen eine grundsätzliche Kooperationsbereitschaft mit Parteien erforderlich, die ähnliche Interessen und Ziele verfolgen. D. h. aber auch, dass die Linke über ein gewisses Maß an Kompromissbereitschaft verfügen muss (was ja bereits in Landesparlamenten bewiesen wurde).

Über das “Wann” lässt sich eher spekulieren. Wenn es der Linken in Europa gelingt, diese Schritte mit vielen sympathisierenden Menschen zu gehen, dann könnte am Ende des 21. Jahrhunderts eine Zeit gereift sein, die einen kontinuierlichen Übergang zu gesellschaftlichen Bedingungen ermöglicht wie sie im Programm als Vision eines demokratischen Sozialismus formuliert wurden.

Die logische Konsequenz für die Gegenwart ist dann aber eine Veränderung der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen in drei Richtungen: Sozial, friedfertig und demokratisch.

Es geht also einmal darum, Gesetzesänderungen zu erreichen, die eine Umverteilung der materiellen Werte und übrigen Lebensbedingungen (z. B. Bildung, Kultur usw.) von jetzt oben nach unten einleiten und möglichst dauerhaft sichern. Es geht zweitens darum, Gesetzesänderungen herbeizuführen, die das friedfertige Leben zwischen Bürgern im eigenen Lande und auch gegenüber anderen Nationen und Völkern sichern (z. B. Vetorecht des Bundestages über Waffenexporte, absolute Rechtsgleichstellung nationaler bzw. kultureller Gruppen usw.). Es gilt aber auch zum Dritten, die Demokratiefähigkeit des heutigen Gesellschaftssystems schrittweise auszubauen. Sowohl parlamentarische (z. B. Information der Abgeordneten über alle staatlichen Institutionen und Verträge) wie auch außerparlamentarische Rechte bedürfen einer zunehmenden gesetzlichen Sicherstellung. Die verankerten Rechte zur Mitbestimmung breiter Bevölkerungsanteile außerhalb des Parlamentes sind eine unumgängliche Voraussetzung zu demokratischen Entscheidungen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene.

Zusammenfügend bedeutet diese Mammutaufgabe eine Veränderung des gegenwärtigen zu einem wirklich sozialen, tatsächlich demokratischen und real friedfertigen Kapitalismus in Deutschland. Es ist m. E. heute erkennbar, dass diese Möglichkeit besteht und die Linke dafür als konsequenteste Kraft wirken könnte und sich insofern von anderen Parteien (auch der SPD) unterscheidet. Das bedeutet aber nicht, dass es in den meisten anderen Parteien auch Kräfte gibt, die eine solche gesellschaftliche Entwicklung befürworten.

Aus heutiger Sicht ist ein gesellschaftlicher Prozess hin zu einem menschenwürdigeren Kapitalismus im 21. Jahrhundert möglich. Es wäre aber wohl auch gleichzeitig eine Voraussetzung für eine anschließende weitere Gestaltung im Sinne der im Programm fixierten Vision eines demokratischen Sozialismus. Auch wenn ein Zeitpunkt dafür heute noch spekulativ erscheint.

Aus meiner Sicht geht es letztendlich heute und zukünftig viel stärker um das Miteinander (als die Abgrenzung) der Akteure. Inzwischen gibt es in Deutschland (aber auch international) viele Kräfte, die diese beschriebenen Veränderungen wollen (z. B. “Mehr Demokratie”). Mit allen gesellschaftlichen Kräften und Organisationen, die das Miteinander in den Vordergrund stellen, sollte ein gemeinsames Handeln möglich sein. Aber ebenso sind die Kräfte abzulehnen, die Gewalt, undemokratische Methoden und Friedfertigkeit nicht befürworten. Eines bedingt das andere. Die Entscheidung zwischen umstürzlerisch-konfrontativer und friedfertig-demokratischer Veränderung in der bestehenden Gesellschaft wird niemandem abgenommen werden. Auch nicht der Linken.

Soziale Gerechtigkeit kann m. E. nicht von einer Person, Partei oder sonstigen Instanz herbeigeredet, sondern nur über einen kontinuierlichen gesellschaftlichen Prozess einer Bevölkerungsmehrheit geschaffen werden.

Dr. Günter Nährig