Feed on
Posts
Comments

Bürde der Hegemonie

Der neue Herausgeber des Merkur (“Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken”) Christian Demand begründet in den abschließenden Bemerkungen seines “Blicks zurück nach vorn” die Idee, im ersten Heft unter neuer Leitung (Heft 752 Nr. 1/2012) mit einem Schwerpunkt zu Europa zu beginnen mit der vornehmen Absicht, “die eigentlich wichtigen Fragen” zu stellen, die just im großen Rauschen der Debatten um die politische, wirtschaftliche und kulturelle Zukunft und Identität Europas aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwänden. Den Auftakt zu diesem Schwerpunkt gibt der Aufsatz “Hegemon wider Willen. Zur Stellung Deutschlands in der Europäischen Union” des Professors für öffentliches Recht an der Universität Konstanz Christoph Schönberger. Deutsche Hegemonie – eine der eigentlich wichtigen Fragen also. Für Schönberger ist “jetzt deutlicher denn je, wie sehr die Bundesrepublik zur Hegemonialmacht Europas geworden ist. Sie muss führen, wenn überhaupt geführt werden soll.”  Auf diese “unausweichliche Führungsrolle” seien freilich weder “die deutsche Politik noch die deutsche Öffentlichkeit” vorbereitet (1). Sie lebten im Zustand der Selbstprovinzialisierung, Introvertiertheit und der Träumerei von Demokratie. Schönbergers Text greift damit nicht nur einfach die alte Klage auf, Deutschland sei ein wirtschaftlicher Riese, aber ein politisch-militärischer Zwerg – eine Rede, die in der jüngsten Charakterisierung der BRD als “the purest example of a “geo-economic power” in the world today” (Hans Kundani) widerkehrt – , sondern bemüht sich um eine Bestimmung aktueller Grundlegungen eines “Entfaltungsraum(s) für Hegemonie.” (3) Mit Referenz auf Heinrich Triepel sieht er in einer Konstellation, in der in “förderativen, bündischen Systeme(n)” keine “von den Gliedstaaten weitgehend autonome Bundesgewalt” etabliert wurde, die Nachfrage und Entfaltungsmöglichkeit für die Bundesrepublik Deutschland. Sie sei schließlich der “mit Abstand größte, bevölkerungsstärkste und wirtschaftskräftigste Mitgliedstaat der Europäischen Union”. (2) Die eigentliche Öffnung der hegemonialen Entfaltungsmöglichkeit sei durch vier Sachverhalte gegeben (S.4):

  • der drastische Einflußverlust Frankreichs (“Die militärisch-außenpolitischen Sonderinsignien Frankreichs, sein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat und sein Status als Atommacht, sind nicht länger von prägender Bedeutung”) – daher reichen “symbolische Auszeichnung und bürokratische Abstimmung”, wie es dereinst Bismarck im Verhältnis Preußens zu Bayern vorexerzierte;
  • die Phase, in der die “Aufgaben der Wiedervereinigung” die Bundesrepublik vorrangig beschäftigten, ist beendet – sie kann sich nun den Anforderungen stellen, die sich aus dem unübersebaren Sachverhalt ergeben, dass sie der “stärkste Mitgliedstaat der Europäischen Union” geworden sei;
  • die USA sind durch ihre militärische Überdehnung stark geschwächt und konzentrieren ihre schwindenden Mächte auf andere Weltgegenden; endlich
  • lockert sich die befriedende Einbindung Deutschlands in die Nato.

Um diese Prozesse für Hegemoniegewinn zu nutzen, gelte es aber auch innere Barrieren zu beseitigen – aktuell  zuvorderst die mentalen und institutionellen Barrieren kluger Hegemonie, die seit den 90er Jahren durch die “demokratische Sehnsucht” stabilisiert würden” Die Hegemonialmacht braucht Handlungsspielräume, um die nötigen Konsense zu organisieren. Nach Lage der Dinge muss diese Aufgabe in erster Linie die Bundesregierung wahrnehmen. Die Entwicklung des deutschen politischen Systems wie des deutschen Verfassungsrechts legt ihr hierbei aber zunehmend Steine in den Weg.””(6) Deren Autorität freilich erodiere. Das neue Vielparteiensystem, die Aufwertung des Bundesrats, die Bindung der außen- und europapolitischen Spielräume an parlamentarische Mandate oder das gleichlaufende Operieren des Bundesverfassungsgerichts schränkten die inneren Freiheiten für eine hegemoniale Führungspolitik Deutschlands in Europa ein. Offenbar ist der Gedanke, dass nur durch eine Überwindung dieser Faktoren die nachhaltige Ausfaltung deutscher Hegemoniepolitik gelingen könne. Das aber ist dringlich in einer Situation, die womöglich nicht mehr als eine Zwischenzeit ist, bis u.U. sich eine europäische Zentralmacht herausgebildet habe – woran die BRD gegenwärtig überhaupt kein Interesse haben könne, denn “die existierende Situation föderativer Hegemonie, wenn sie klug gehandhabt wird, (eröffnet) dem größten Mitgliedstaat ein Maß an Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten (…), wie kein anderes vorstellbares Institutionendesign.” (8) Schönbergers Formulierung von der “Bürde der Hegemonie” ruft am Ende die bekannte Kipling’sche “Bürde des weissen Mannes” auf, an die der neokonservative Historiker Niall Ferguson im letzten Jahrzehnt regelmässig zu erinnern suchte, um bei der Überwindung des inneren Selbstzweifels der US-Bürger an ihrer imperialen Mission behilflich zu sein. Von einem imperialen Deutschland spricht Schönberger natürlich nicht. Der Merkur fängt mit der Behandlung wichtiger Fragen ja erst an.

 

One Response to “Bürde der Hegemonie”

  1. […] “A German empire?“); endlich ein Beitrag des Verfassers im mehring1“-Blog (“Bürde der Hegemonie“). Im Merkur äußerten sich ebenfalls kritisch Werner Link (“Integratives […]

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.

Facebook IconTwitter IconView Our Identi.ca Timeline