Feed on
Posts
Comments

Sie betreffen erneut die EU-Finanzarchitektur und schreiben damit mehring vom 12.11. fort:

1) Am vorigen  Dienstag stimmte das Europäische Parlament für eine Verordnung zur Einschränkung von Leerverkäufen und zum Verbot des Handels mit nackten Credit Default Swaps (CDS). Leerverkäufe und CDS-Handel haben einen hohen Anteil an der gewachsenen Volatilität auf den Finanzmärkten. Der CDS-Handel hat die Griechenland-Krise begünstigt bzw. verschärft.

Beim Kauf von Ausfallversicherungsverträgen muss der Käufer nun auch endlich die zu Grunde liegenden Bonds tatsächlich besitzen. Allerdings sind nationale Behörden ermächtigt, das Verbot für maximal 12 Monate aufzuheben, wenn der Staatsschuldenmarkt nicht recht funktioniert. Es ist sogar möglich, diese Frist auf 18 Monate zu erhöhen. Jedoch enthält der Text eine Anzahl von Indikatoren, die es der Aufsichtsbehörde ESMA gestatten, gegebenenfalls einzugreifen. Außerdem soll die ESMA innerhalb von 24 Stunden eine Stellungnahme zur  zeitweisen Aufhebung des Verbots auf ihrer Webseite veröffentlichen.

Die ESMA wird also so gestärkt, was jedoch noch der Europäische Rat bestätigen muss.

2) Die Europäische Kommission hat am 15.11. Vorschläge vor schärferen Regulierung der Ratingagenturen vorgelegt. Diese hatte der EU-Binnenmarktkommissar Barnier wie folgt begründet:

„Wir dürfen nicht zulassen, dass Ratings die Volatilität der Märkte noch verstärken. Mein Ziel ist daher vor allem, den übermäßigen Rückgriff auf Ratings zu verringern und gleichzeitig die Ratingverfahren qualitativ zu verbessern. Die Ratingagenturen sollen strengere Vorschriften einhalten, ihre Ratings transparenter machen und für Fehler haften. Ich wünsche mir auch mehr Wettbewerb in diesem Sektor.”

Er hatte vier Hauptziele für eine Richtlinie und eine Verordnung genannt:

sicherstellen, dass sich die Finanzinstitute bei ihrer Anlagetätigkeit nicht blind auf Ratings stützen, … transparentere und häufigere Länderratings …, mehr Vielfalt und strikte Unabhängigkeit der Ratingagenturen zur Vermeidung von Interessenkonflikten …, Umfassendere Haftung der Ratingagenturen für die erstellten Ratings“.

Aber:  Der Kommissar scheiterte mit dem Versuch, die Spekulation mit Staatsschulden einzuschränken, in dem er „in außergewöhnlichen Situationen“ verbieten wollte, neue Noten von Staatsanleihen zu veröffentlichen.  Auch konnte er nicht erwirken, dass öffentliche Noten für Euro-Staaten, die auf IWF-Kredite angewiesen sind, untersagt werden.

Dennoch haben seine Vorschläge die Vormachtstellung der drei großen Marktführer aus den USA und ihre größten Nutznießer angegriffen. Die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) soll nun gegen Gefälligkeitsratings vorgehen und einheitliche Standards für eine Ratingskala erarbeiten.

Die Macht der Bonitätsprüfer wurde also leicht angekratzt.

3) Ebenfalls am letzten Dienstag hat die Europäische Kommission ihr Arbeitsprogramm 2012 verabschiedet. Seine Prioritäten marginalisieren  die globalen Probleme, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, die  ökologische Dramatik. Sie gehen von der Frage aus, was ist gut für „die Wirtschaft“  und „unsere Sicherheit“. Die Antworten fokussieren  auf Überwachung und Kontrolle nationaler öffentlicher Haushalts-,  Finanz- und Wirtschaftspolitik:

In jüngster Zeit hat die Kommission eine radikal neue Agenda zur stärkeren Kontrolle der Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, insbesondere für die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets, zur fundamentalen Umgestaltung der Überwachung und Regulierung des Finanzwesens sowie für Maßnahmen zur Gewährleistung, dass die EU-Strukturpolitik sofortigen Nutzen bringt, vorgelegt. Das kürzlich verabschiedete Paket für eine stärkere wirtschaftspolitische Steuerung (das so genannte Six-Pack) ist für die Kommission eine große neue Aufgabe.“ (S. 2)

Beim Kommissions-Arbeitsprogramm 2012 geht es um die Vervollkommnung des „notwendigen Rechtsrahmens, um die EU-Dimension bei der Schaffung und gemeinsamen Nutzung eines tragfähigen Wachstums, einer hohen Erwerbstätigenquote und einer gerechten Gesellschaft in der gesamten EU“ (S. 3). Die anhaltende bzw. verstärkte Orientierung auf „Wachstum“ bedeutet „Förderung der Wettbewerbsfähigkeit“, denn es interessieren die Anteile an der Weltwirtschaft und den Weltmärkten. Und:

Ein gut funktionierender Finanzsektor ist entscheidend für die Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen. Seit Beginn der Krise hat die Kommission eine umfassende Reform der Regulierung und Beaufsichtigung der Finanzmärkte auf den Weg gebracht. Der Großteil der Hauptinitiativen wurde bereits verabschiedet oder als Vorschlag unterbreitet, wozu Legislativvorschläge über Derivate, Rating-Agenturen, Eigenkapitalanforderungen, solidere und transparentere Wertpapiermärkte sowie zur Bekämpfung von Marktmissbrauch gehören. … Die EU sollte sich das eindeutige Ziel setzen, die Reform nächstes Jahr abzuschließen.
Anfang 2012 wird die Kommission weitere Rechtsvorschriften zum Anlegerschutz vorschlagen. Eine Überarbeitung der Vorschriften für Organismen für gemeinsame Anlagen (OGAW) soll den Anlegerschutz verbessern und den Binnenmarkt stärken. Anlegerschutz und Transparenz werden ferner im Mittelpunkt einer Initiative über vorvertragliche Angaben über komplexe Investmentprodukte (PRIPs) bzw. über Versicherungsvermittlung stehen.“ (S. 4-5).

Die Heuschrecken sollen vernünftig essen, langsam und gründlich kauen, damit sie nicht plötzlich platzen und die wirtschaftliche Umwelt erschüttern.

Die Links zwischen Wachstum, Konkurrenzfähigkeit und Konsolidierung der öffentlichen Finanzen sind die Interessen der Herrschenden, eine gezielte, sozial restriktive Ausgabenpolitik: Megaprojekte einerseits, Sparpolitik andererseits – siehe in diesem Kontext die Beiträge in mehring zur Entwicklungs-, Klima- und Energiepolitik.

Und weiter:

Die EU-Wachstumsagenda ist ein entscheidender Beitrag zur Wiederherstellung der öffentlichen Finanzen. …2011 hat die Kommission eine Reihe wichtiger Initiativen vorgelegt, um den Beitrag des Finanzsektors zu den öffentlichen Finanzen neu zu gewichten (Finanztransaktionsteuer), den Ressourcenverbrauch stärker zu besteuern (Energiesteuer) und das Funktionieren des Binnenmarktes (GKKB) zu verbessern. … Die Kommission erarbeitet ein modernes Mehrwertsteuer-System, das die Bekämpfung von Betrug ermöglicht und den Verwaltungsaufwand für KMU und andere grenzüberschreitend tätige Unternehmen erleichtert. Steuerhinterziehung bedroht die Staatseinnahmen in allen Mitgliedstaaten und führt zu einer unfairen Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen zum Nachteil der großen Mehrheit der Bürger und Unternehmen, die sich an die Regeln halten. Mit einer verstärkten Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei ihrem Vorgehen gegen ‚Steueroasen‘ will die EU einen Beitrag zur Eindämmung der potenziellen Verluste für die öffentlichen Haushalte leisten.“ (S. 5)

Es wäre gut, wenn sich dies gegen konkrete Praktiken und Interessen von Reichen und Konzernen richten würde.

4) Auch wenn es die so unabhängige EZB im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission nicht gibt, war sie auch in der letzten Woche ein besonderes Streitthema. Anlass waren die Diskussionen im Rahmen der Euro Finance Week in Frankfurt am Main.

Der Präsident der Deutschen Bundesbank Weidmann erklärte dort zunächst zum “G20-Reformprozess”:

die in Angriff genommenen Reformen [verfolgen] im Kern den Ansatz, die Eigenverantwortung im Finanzsystem zu stärken, die Transparenz über die mit Renditeversprechen verbundenen Risiken zu erhöhen und Regulierungsarbitrage als gesamtwirtschaftlich schädliches Verhalten möglichst zu unterbinden. Ziel ist also nicht, unerwünschte Ergebnisse des Geschehens an den Finanzmärkten einfach zu verbieten oder Marktprozesse ganz auszuschalten. Es geht vielmehr darum, durch bessere Rahmenbedingungen zu gewährleisten, dass Marktprozesse nicht aus dem Ruder laufen und dass sie auch gesamtwirtschaftlich einen Mehrwert schaffen. Denn wir benötigen ein gleichermaßen stabiles wie leistungsfähiges Finanzsystem, und leistungsfähig ist es nur, wenn es weiter marktwirtschaftlich verfasst ist und Innovationen zulässt.“

Ergo: Märkte darf man nicht ärgern oder richtiger: die hinter den Märkten stehenden mächtigen wirtschaftlichen Akteure soll man nicht stören. Allerdings müssten nach Weidmanns Logik auch diese begreifen, dass sie die anderen Mächtigen nur bedingt ärgern und eine gewisse soziale Normalität nur bedingt gefährden dürfen.

Dann bemerkt Herr Präsident zur Eurokrise:

Mit jedem Rückschlag im Bemühen der Politik um eine Lösung der Krise stieg bisher aber der Druck auf die Geldpolitik, als vermeintlich einzig handlungsfähiger Akteur einzugreifen. Dabei drohen die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik zu verwischen oder gar vollständig zu verschwinden, wie im Falle der jüngsten Überlegungen, das Eurosystem an der Hebelung der EFSF zu beteiligen. Diese zunehmende Vereinnahmung der Geldpolitik ist gefährlich: Wenn die Geldpolitik ihr Mandat, Preisstabilität zu gewährleisten, immer weiter dehnt oder schließlich sogar gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstößt, steht nicht weniger auf dem Spiel als ihre Glaubwürdigkeit, die sie sich mit ihrem Einsatz für Geldwertstabilität über Jahrzehnte und auch gegen Widerstände erarbeitet hat. … In einer Währungsunion unabhängiger Staaten kommt erschwerend hinzu, dass die Eingriffe der Geldpolitik eine Umverteilung der Lasten zwischen den Steuerzahlern der einzelnen Mitgliedsländer zur Folge hat. Hierzu fehlt Zentralbanken die demokratische Legitimation. Die Geldpolitik kann und darf Solvenzprobleme von Staaten und Banken nicht lösen. Entscheidungen hierüber müssen von den nationalen Parlamenten getroffen werden …
Der gegenwärtige Kurs einer Vergemeinschaftung von Risiken ohne Verzicht auf nationale Souveränität gerade in Haushaltsfragen ist … weder  Erfolg versprechend noch dauerhaft durchzuhalten. Ich habe bereits … ausgeführt, dass grundsätzlich zwei Wege zur Schaffung eines konsistenten und ökonomisch tragfähigen Rahmens für die Währungsunion denkbar sind: entweder die Rückbesinnung auf den ursprünglichen Rahmen mit den drei Grundprinzipien Subsidiarität, Eigenverantwortung der Mitgliedsländer, einschließlich des Haftungsausschlusses, und Marktdisziplinierung oder ein großer Schritt der politischen Integration, mit dem wichtige haushaltspolitische Befugnisse auf die europäische Ebene übergehen. Und wie ich bereits erläutert habe, ist das künftige wirtschafts- und finanzpolitische Regelwerk durch die Disziplinierungswirkung der Finanzmärkte zu ergänzen und zu stärken, um einer erneuten Aufweichung oder Aushebelung vorzubeugen.“

Besser konnte man kaum erklären, worum es Merkel geht, wenn sie Europäische Verträge ändern will: Die Preis- bzw. Geldstabilität sichern, denn die DM war die Ankerwährung im Europäischen Währungssystem, die Bundesbank hatte das Sagen – das war so schön. Andererseits ist Deutschland Gewinner der Wirtschafts- und Währungsunion und will es bleiben und die Schulden der anderen sollen nicht durch Inflation gemindert werden.

Eine Europäische Zentralbank, die auf Sekundärmärkten Staatsanleihen von Euro-Ländern kauft, aber keine zusätzliche Liquidität in den Markt pumpen kann, hat es schwer: Sie kann zwar die Bilanz des Eurosystems verlängern, wenn sie in der Höhe des Betrages der Staatsanleihen-Käufe quidität per verzinslicher Termineinlage wieder abschöpft, aber damit kann sie keine zusätzliche Liquidität außerhalb des Bankensystems schaffen  (siehe Tober im IMK-Report 67, S. 2-3). Und sie wird von Leuten wie Axel Weber und Otmar Issig wegen „Überdehnung ihres Mandats“ gescholten.

Die EZB braucht also nicht nur eine Rückendeckung für ihre Stabilisierungspolitik über Staatsanleihenaufkäufe, wie Silke Tober schreibt (S.9). Sie braucht eine neue Aufgabenstellung, wenn sie stabilisierende Politik, sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung zu unterstützen soll. Die Linken müssten also die gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse so verändern (helfen), dass neue Prioritäten gesetzt und deshalb auch die „Spielregeln“ der EZB verändert werden.

Dazu brauchen die Linken ein eigenständiges Europa-Projekt.

One Response to “4 Notizen zur jüngsten EU(ro)-Debatte”

  1. […] den Präsidenten der Deutschen Bundesbank vorgeschlagen hatte Die Frage stellt sich wem Mehring1 » Blog Archiv » 4 Notizen zur jüngsten EUroDebatteDer Präsident der Deutschen Bundesbank Weidmann erklärte dort zunächst zum […]

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.

Facebook IconTwitter IconView Our Identi.ca Timeline