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Die Erleichterung über den Aufschwung geht einher mit der realitätsgetränkten Befürchtung, dass dies nicht so bleiben wird. Die augenblickliche Situation ist von einer starken und weiter zunehmenden Unsicherheit über den Zustand des europäischen und amerikanischen Finanzmarktkapitalismus geprägt. Nach wie vor gehen wir von einer organischen Krise des Neoliberalismus aus, die mit einer längeren, umkämpften Periode der Transformation des Kapitalismus einhergeht. Die Es kommt zu Konflikten innerhalb des Machtblocks, unterschiedliche Fraktionen treiben angesichts der „Vielfach-Krise“ in verschiedene Richtungen. Die zunehmende Orientierungslosigkeit hat auch die FAZ (15.08.2011) registriert: Laut beklagt Frank Schirrmacher den Verfall einer bürgerlichen Klasse, die in einer Situation brennenden Krisen und Veränderungen keine moralische Kraft mehr entfaltet, nicht anzubieten hat: “Kein Wort, nichts, niemand” – nur planloses Krisenmanagement von oben, Sachzwänge. Mit dem ehemaligen Thatcher-Berater Charles Moore erklärt er gar: “Es geht darum, dass die Praxis dieser Politik wie in einem Echtzeitexperiment nicht nur belegt, dass die gegenwärtige ‘bürgerliche’ Politik falsch ist, sondern, viel erstaunlicher, dass die Annahmen ihrer größten Gegner richtig sind.” Die ist so richtig, wie taktisch: hier wird nicht den Linken Recht gegeben, schon gar nicht werden ihre Lösungsvorschläge geteilt. Die bürgerliche Klasse soll vielmehr wach gerüttelt werden. Zugleich beansprucht die FAZ als eine der führenden bürgerlichen Medien auch in der Krise Führung: kaum irgendwo wird lauter über drohende Zusammbrüche der Finanzmärkte, moralische Leere der Regierenden oder eben der gesamten bürgerlichen Klasse geklagt. Alles wird schonungslos und brilliant der Kritik unterworfen. Der Effekt: Zustimmung zu ihrer Analyse – die vermeintlich zutreffenden Linken Positionen bleiben ungehört, medial an den Rand gedrängt, ihre politischen Repräsentanten – v.a. die Partei Die Linke, werden weiterhin desavouiert, bloßgestellt, lächerlich gemacht.

Ein weiterer Effekt: Widerspruchsanalysen kommen gegen diese Art des spektakulären kaum an. Aufschwung XXL hieß es lange, nun dräut mindestens das Zerbrechen der EU. Gegen so eine Aufmerksamkeitsökonomie haben differenzierte Einschätzungen es schwer. Dennoch ein Versuch zur Analyse der ökonomischen Situation in der Bundesrepublik, die eine grundlegend andere ist als jene anderer Industrieländer – aber natürlich aufs engste miteinander verflochten sind. Während die europäische Peripherie in Schuldenkrise und Depression versinkt, waren Krisenkorporatismus und -management in Deutschland bisher vergleichsweise erfolgreich: mit Bankenrettung, Kurzarbeitergeld und Abwrackprämie“. Aber wie weit trägt das?

Ökonomische Widersprüche

Die Krise mäandert, verschiebt sich. Die Finanzkrise wurde zur Weltwirtschaftskrise, dann zur Schuldenkrise, zur Repräsentationskrise. Der nächste Akt des Dramas steht bevor. Denn schon die grundlegenden ökonomischen Ursachen der Krise werden nicht angegangen – von den anderen Dimensionen der multiplen Krise ganz zu schweigen. Die Reregulierung der Finanzmärkte blieb in inkonsistenten Teilreformen wie Basel III stecken oder wie in den USA von der Finanzlobby zur Unkenntlichkeit verwässert. Unterschiedliche Interessen zwischen den Regierungen blockieren ein abgestimmtes Vorgehen, Ausdruck für die Krise internationaler Organisationen. Bankenrettung und Konjunkturprogramme führten zu einer enormen Ausgabensteigerung der Staaten – ohne dass die finanzielle Überakkumulation signifikant abgebaut worden wäre. Eine ernsthafte Regulierung, gar ein Abschmelzen der Finanzvermögen (durch kontrollierte Vernichtung/Abschreibung und Sozialisierung) wie in den 1930er Jahren findet nicht statt. Im Gegenteil:

Krisenmanagement soll die Verdichtung der Krisen verhindern, Zeit verschaffen. Doch wie erwartet bereitet die Form der Bearbeitung der Krise jeweils die nächste Krisenkonjunktur vor. So ist zweifelhaft, ob die von der EU getroffenen Maßnahmen die Märkte „beruhigen“ können und die Refinanzierung der Staaten gesichert ist. Gleichzeitig verschärfen die harten Kürzungsprogramme die Rezession in der Semi-Peripherie und damit Haushaltsdefizite sowie die Spannungen in der Eurozone. Geraten weitere Länder in Schwierigkeiten wird auch der neue EU-Rettungsfonds sich rasch als zu klein erweisen.

Die größte Ökonomie der Welt, die USA, befindet sich in einer prekären Situation. Das US-Wachstumsmodell ist Geschichte: hohe Konsumraten, auf Pump finanziert durch massive Kapitalimporte aus aller Welt, die wiederum niedrige Zinsen ermöglichten – das wird es nicht wieder geben. Die Haushalte in den USA werden nie wieder so viel konsumieren können, der „globale Konsument“ fällt langfristig aus, was für die Weltwirtschaft enorme Auswirkungen mit sich bringt. Die Regierung setzte über 2000 Mrd. US-Dollar ein, um die Auswirkungen der Krise einzudämmen. Doch trotz der gigantischen Konjunkturprogramme, steigt die Gesamtnachfrage nur um 2%. Die privaten Investitionen erreichen einen neuen Negativrekord. Ohne die staatlichen Ausgabenprogramme läge die offizielle Arbeitslosenquote nicht bei 10%, sondern deutlich darüber. Ohne Staatsintervention kein Wachstum. Doch angesichts des Drucks von Tea-Party, Ratingagenturen, chinesischer Regierung und EU, sind keine weiteren Ausgabenprogramme vorgesehen, sondern Kürzungen von zwei bis vier Bio. US-Dollar.

Obwohl allein die OECD-Staaten von 2009-11 über 10.000 Mrd. US-Dollar an zusätzlichen Krediten aufgenommen haben, um die Krise zu bewältigen, blieb das Wachstum in diesen Ländern insgesamt schwach. In der EU ist das BIP auf dem Niveau von Anfang 2007. Nun bleiben durch die austeritätspolitische Wende weitere Impulse aus: alle sparen. Die globale Schuldenkrise führt zu unsicheren Investitionsaussichten vor allem in der OECD. Trotz des Investitionsbooms in Brasilien, Indien, China oder anderen aufstrebenden Ökonomien ist laut Angaben der Weltbank die Tendenz der Weltinvestitionsrate im Verhältnis zur (sinkenden!) Wachstumsrate seit 1979 fallend: die Bruttoinvestitionen erreichten im Jahr 2008 mit rund 20% des globalen BIP einen historischen Tiefpunkt, 4% unter dem Wert von 1979, und haben sich seither kaum erholt. Investitionen im Ausland kompensieren die schwache inländische Investitionsdynamik nicht. Die Folge sind eine instabile Akkumulation und die Gefahr des nächsten großen Kriseneinbruchs. Bislang erwiesen sich die neuen kapitalistischen Zentren wie Brasilien, Indien und v.a. China in der Krise als Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft – und Garanten des deutschen Exportbooms. Doch in China gefährden steigende Preise und Löhne sowie der Druck zur Aufwertung des Renminbi den schwächelnden Export und gleichzeitig droht die ständig dräuende Überhitzung und Überspekulation. Die KPCh bremst die Kreditvergabe, schränkt Projekte und Subventionen ein, drosselt das Wachstum. Auch andere so genannte Schwellenländer wie Brasilien leiden unter der Verteuerung ihrer Exporte und der Überschwemmung ihrer Märkte mit Kapital auf der Suche nach hohen Zinsen – was ohne Gegenmaßnahmen zur Überhitzung der Wirtschaft führen würde. Nicht nur Kredit- und Immobilienblasen wie in China, Indien, Türkei drohen (BIZ, 27.06.2011). Angesichts unverminderter Überakkumulation kommt es auch zu starken Schwankungen an Aktien-, Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkten: „Es brennt auf (fast) allen Finanzmärkten“ (FTD, 25.7.2011).

In dieser unsicheren globalen Konjunktur bei wachsenden Ungleichgewichten bangen deutsche Unternehmen um ihren Exportboom. Die Geschäftserwartungen der deutschen Industrie sind laut Ifo-Index innerhalb eines Jahres um mehr als die Hälfte eingebrochen. Nun lag dieser Index schon oft daneben. Anders als der OECD-Frühindikator, der leider das selbe anzeigt. Die Exporterwartungen der deutschen Automobilindustrie sinken seit Frühjahr 2011 dramatisch. Während die Nachfrage aus Ländern wie China in der Automobilbranche weiter wächst, macht sich der Rückgang bei Maschinen und Ausrüstungen oder Chemie bereits deutlich bemerkbar. Der Exportboom hat die deutsche Ökonomie noch abhängiger von der globalen Nachfrage gemacht. Zugleich entstehen im produktiven Sektor neue Konkurrenten aus eben jenen Wachstumszentren in China, Indien und Brasilien, v.a. in den Bereichen Green-Tech, Auto, zunehmend Chemie, Pharma und Maschinenbau wollen sie die Nachfrage in ihren Märkten selbst bedienen.

Während die Exportaussichten zwischen Krise und Konkurrenz sich eintrüben trägt der Binnenkonsum in Deutschland nach wie vor kaum zum Wachstum bei: Einzelhandelsumsätze sind nach kurzer Erholung weiter sinkend (und zwar inklusive der inländischen KfZ-Nachfrage), die Investitionen bleiben flau – von einem selbsttragenden Wachstum kann keine Rede sein. Die gesetzliche Schuldenbremse setzt staatlichen Investitionen und Konjunkturhilfen in Zukunft auf allen Ebenen engste Grenzen. Berücksichtigt man den Rückgang des BIP um 5% im Jahr 2009, liegt das reale Wachstum seither durchschnittlich bei etwas über einem Prozent, was der langfristigen Entwicklung seit 2000 entspricht, sofern kein neuer Rückgang eintritt: ein Trend zu niedrigen bzw. sinkenden Wachstumsraten.

Drei Szenarien ökomischer Entwicklung

Angesichts der historisch schwachen Investitionen schon vor der Krise kann man von einem „Kapitalismus ohne Projekt“ sprechen. Seine vorantreibende gesellschaftliche Funktion hat der Neoliberalismus verloren. Es mangelt an ausreichend Expansions- und Entwicklungsmöglichkeiten, um sowohl den Akkumulationsbedürfnissen wie den gesellschaftlichen Bedürfnissen der Bevölkerung nach Verbesserung ihrer Lage oder zumindest nach Perspektive nach zu kommen. Die Versprechen wurden gebrochen. Die aktive Zustimmung der Bevölkerung ist brüchig geworden. Ein passiver Konsens hat bislang mangels sichtbarer und durchsetzungsfähiger Alternativen Bestand. Doch den aufbrechenden Krisenerscheinungen hat der herrschende Machtblock keine produktiven Lösungen mehr entgegenzusetzen, die die Interessen der Subalternen und damit den aktiven Konsens zum neoliberalen Projekt wieder herstellen könnten. Krisenmanagement verhindert den Kollaps, befördert jedoch nur ein Prozessieren der Krise auf anderen Ebenen. Ein Feuer wird gelöscht, zwei neue brechen aus. Doch die Neoliberalen sitzen nicht zuletzt in Deutschland fest im Sattel und bauen in Europa und den USA ihre institutionelle Macht aus. Ihre Position mag keine „führende“ mehr sein, aber nach wie vor eine „herrschende“ (Gramsci, Gef. 2, 354).

In dieser Situation sind drei unterschiedliche ökonomische Szenarien zu erwarten:
a) Möglich ist, dass die globale Nachfrage trotz Rückgang keinen tiefen Einbruch erleidet. In diesem Fall könnten deutsche Exporterfolge auf kleinerer Flamme weiterhin das Wachstum in Deutschland gewährleisten, ohne das ein Wechsel des Modells notwendig würde, allenfalls werden – getrieben von Akzeptanzverlusten und Ereignissen wie Fukushima – kleine und graduelle Änderungen in Richtung Energiewende und ökologische Modernisierung unternommen. Auch bei insgesamt schwacher globaler Dynamik können selbst eine abgeschwächte Nachfrage aus den neuen kapitalistischen Zentren wie China, Indien und Brasilien und eine nur halbherzige ökologische Modernisierung ausreichend sein, um die Vorteile des deutschen Exportmodells auf Kosten anderer vorläufig zu bewahren. Gerade die Schwäche der Eurozone kann zu einer relativen Unterbewertung des Euro führen und so die deutsche Position gegenüber Konkurrenten wie Japan verbessern.

b) Denkbar ist auch, dass die Konjunktur stagniert (gar Stagflation) und sich ein langfristiger Trend zum Null-Wachstum stabilisiert. Dies würde, um Wirtschaft, Sozialsysteme und Staatshaushalte zu sichern, härteste Verteilungskonflikte um Steuern, soziale Leistungen, Löhne und Arbeitsstandards sowie ökologische Maßnahmen mit sich bringen.

c) Relativ wahrscheinlich halten wir angesichts der vielfältigen Ungleichgewichte und der sich wieder aufbauenden finanziellen Überakkumulation einen weiteren tiefen Finanz- und Wirtschaftscrash (vgl. Krisenentwicklung in den Jahren 1929ff). Große Krisen und entsprechende Transformationen auch innerhalb des Kapitalismus verlauf in einer Reihe von Brüchen und ziehen sich über Jahre hin. So wie die Ereignisse in Fukushima als Katalysator der Energiewende in Deutschland wirkten, ist offen, wie eine solche Krise sich auf die politischen Verhältnisse insgesamt auswirken würde.

Strategische Antworten von oben

Darauf wird im Wesentlichen mit zwei konkurrierenden strategischen Ansätze reagiert.
I. Die Restauration eines autoritären Neoliberalismus indem der Krise (wie in vorangegangenen großen Krisen) mit einer Intensivierung der alten Regulationsmechanismen begegnet wird: Finanzialisierung, Kürzungsdiktate, Privatisierung, Flexibilisierung, Prekarisierung, Entdemokratisierung. Zwar bleiben wesentliche soziale Leistungen erhalten, werden jedoch noch selektiver und repressiver zugeschnitten. Kombiniert mit eher marginalen sozialen Teilverbesserungen (denkbar sind auch leichte Lohnerhöhungen) und symbolischen Zugeständnissen tritt der Zwang offener hinter dem bröckelnden Konsens hervor. Angesichts erodierender Zustimmung werden gesellschaftliche Spaltungen toleriert bzw. aktiv befördert: Wir erleben bereits die Zunahme sozio-kultureller Konflikte und die Verschärfung ideologischer Auseinandersetzungen um Antisemitismus oder Islamophobie, die nicht nur von Rechtspopulisten erfolgreich aufgegriffen werden, sondern in der Mitte der Gesellschaft fußen. Angesichts der diffusen Bedrohung durch Krisen, Bänker, sozialem Abstieg und dem Vertrauensverlust gegenüber der Politik sind rechtspopulistische, rassistische und chauvinistische Einstellungen nicht zuletzt bei einer sich abschließenden aggressiven „Elite“ und den bedrohten Mittelklassen zunehmend verbreitet): die hohen Zustimmung von zwei Dritteln der Bevölkerung zu den chauvinistischen und rassistischen Ressentiment von Thilo Sarazzin gegen Arbeitslose, Menschen mit „Migrationshintergrund“ und Islam in Deutschland sind dafür ein Indiz. Allerdings zeigt sich auch, geteilte Krisenerfahrungen verbinden sich mit rückläufiger „Abwertung von Langzeitarbeitslosen“ (Heitmeyer 2010, 33). Nicht zuletzt die Finanzwirtschaft und die radikalisierten mittelständischen „Leistungseliten“ stehen hinter einer Restauration neoliberaler Prinzipien und verbinden dies z.T. mit einer zunehmend feindseligen Abgrenzung gegenüber den unteren Gruppen und Klassen. Hier geht es nicht mehr um Distinktion, sondern um harte Respektablitätsgrenzen. Auf diese Weise operiert ein autoritärer Neoliberalismus wie ihn die CDU/FDP-Regierung vertritt entlang der Linien von ökonomischer und gesellschaftlicher Verunsicherung mit Angeboten, die wirtschaftliche (Haushalts)Stabilität, mit äußerer und innerer Sicherheit sowie bekannten konservativ-autoritären Werten verbinden. Ihre Anhänger verknüpfen dies mit der Konzentration auf die eigene Absicherung und das Machbare – auf eine restriktive Handlungsfähigkeit, die langfristige Folgen werden ausgeblendet. Das Unbehagen bleibt. Hieraus zieht eine vielfältige Neue Rechte in Europa und den USA ihre Dynamik.

II. Das Projekt eines grünen Kapitalismus zielt anders als die Strategie der Restauration auf Erneuerung im Sinne einer passiven Revolution (Gramsci, Gef.1, 102): Diese strebt nach Revolutionierung aller Verhältnisse, nicht nur Wiederherstellung der Ordnung, sondern Entwicklung bürgerlich kapitalistischer Herrschaft, die Gesellschaft vorantreibend. Das passive Element besteht darin, Interessen der Subalternen zwar herrschaftsförmig zu integrieren, die untergeordneten Gruppen aber in einer subalternen Position fern der Macht zu halten, zugleich ihre Intellektuellen und Führungsgruppen in den Machtblock zu absorbieren, die Subalternen damit ihrer Führung zu berauben (Trasformismo). Das schillernde politische Projekt eines ›grünen New Deal‹ verbindet vor dem Hintergrund der Vielfachkrise die allgemeine Umorientierung von Investitionen in Richtung Energiewende und ökologische Modernisierung mit der notwendigen technologischen und Akkumulationsbasis zur Schaffung von Millionen von Arbeitsplätzen. Diese Verbindung von Antworten auf Finanz- und Wirtschaftskrise, Reproduktions-, Beschäftigungs- und Klimakrise in einem konsistenten Programm ist leider bislang der einzige in sich geschlossene und progressive Vorschlag gegen die multiplen Krisen. Und er ist verbunden mit einer Perspektive und der Produktion und Vermittlung von Sinn: Der Green New Deal greift Unsicherheiten, Bedürfnisse und Interessen auf, die neben Beschäftigung, wirtschaftlicher Entwicklung und Innovation, auch für eine ökologischere Lebensweise und mehr demokratische Mitbestimmung eintreten. Er bietet das grundlegende Potenzial für einen neuen gesellschaftlichen Konsens und für eine Relegitimierung der Marktwirtschaft.

Dieses Projekt wurde u.a. von der Green New Deal Group, einem Zusammenschluss von Publizisten, Partei- und NGO-Funktionären vorgeschlagen. Befördert wurden diese Vorstellungen insbesondere durch den Stern-Report zum Klimawandel 2006, die Analysen des IPCC und transnationaler Forschungsgruppen sowie die populären Aktivitäten des Nobelpreisträgers Al Gore. Verfechter sind neben den europäischen Grünen Parteien –, große NGOs wie der WWF, transnationale Netze von Umweltwissenschaftlern, die New Economics Foundation und die UN. Hinter einem GND bzw. einem grünen Kapitalismus (s.u.) stehen auch Kapitalgruppen wie Internet- und IT-Unternehmen, die Aufträge bei der Effizienzoptimierung erwarten, Pharma-, Bio- und Gentech-Unternehmen, die Branche der regenerativen Energien (einschließlich der großen Energieversorger und des Maschinenbaus), die großen Versicherungskonzerne, Anlagenbauer wie Siemens, Automobilkonzerne, die sich von ›green cars‹ und E-Autos ein neues Geschäftsfeld erhoffen, Nanotech- und Chemieunternehmen wie BASF, die neue, leichte und energie-effiziente Werkstoffe entwickeln, selbst Ölkonzerne wie BP, die sich in ›Beyond Petrol‹ umbenannt haben sowie Venture-Capital Fonds oder die kleine, aber wachsende Branche der ethischen Investoren (einschließlich großer Pensionsfonds und anderer Fondsgruppen).

Der Markt für Investitionen in emissionsarme Energien und grüne Technologien wird auf etliche Billionen Dollar anwachsen. Der Weltmarkt für Green-Tech war laut Roland Berger mit einem Volumen von 1,4 Billionen Euro bereits 2007 größer als der für Maschinenbau. Bis 2020 wird sich der Umsatz auf 3,2 Billionen vorsichtig geschätzt mehr als verdoppeln. Wenn Investitionen getätigt werden, dann hier: 3 von 4 Firmen in Deutschland legen nach einer Umfrage von Siemens Financial Services im Bereich GreenTech ihren Investitionsschwerpunkt der nächsten Jahre. Schon jetzt hat sich hierzulande bei erneuerbaren Energien die Beschäftigung seit 2004 mehr als verdoppelt (340.000 Beschäftigte, IMU 2011). Greentech-Firmen bieten hierzulande Beschäftigung für über eine Millionen Menschen und erbringen gut acht Prozent der Wirtschaftsleistung. Solar-Investitionen sollen sich bis 2015 verdoppeln. Private Equity Fonds wie Blackstone investieren mehrere Milliarden Euro in Offshore-Parks vor der deutschen Küste – eine Energieeinspeisevergütung von 150 € pro Megawattstunde, Übernahme der Kosten des Netzausbaus durch den Netzbetreiber, direkte Förderung durch die Bundesregierung und vergünstigte KfW-Kredite sollen eine Rendite von 10-20% ermöglichen. Eine Studie im Auftrag des World Wide Fund For Nature (WWF) errechnet, dass in den kommenden dreißig Jahren weltweit rund 350 Billionen US-Dollar in den Ausbau und Betrieb allein konventioneller städtischer Infrastruktur investiert werden müssen, um diese funktionstüchtig zu halten. Wenn aus diesem Gesamtvolumen im gleichen Zeitraum rund 22 Billionen US-Dollar für Investitionen in städtische Öko-Infrastruktur wie energieeffizienten Wohnungsbau, emissionsarme Fahrzeug- und Logistiksysteme etc. und Green IT investiert würden, könne der durch urbane Infrastruktur erzeugte CO2-Ausstoß um bis zu 50 Prozent gesenkt werden. Der Markt für grüne Technologien ist schwer abgrenzbar, die unterschiedlichen Bereiche zusammengenommen aber unbestreitbar mit einem Potenzial, wie kaum ein anderer. Wie die IT-Revolution die technische Basis für die Globalisierung bereitstellte, soll GreenTech die Grundlage für einen ökologischen Umbau der gegenwärtigen Produktionsweise liefern.

4. Führungskämpfe im Machtblock: Die Grünen vs. CDU/CSU oder schwarz-grüner (Atom)Konsens?

Es ist wohl keine Frage, ob es zu einer „ökologischen“ Modernisierung kommt oder nicht, sondern welcher Art diese sein wird. Konzepte eines sozial-liberalen Green New Deal, die soziale und ökologische Fragen zu verbinden suchen, konkurrieren mit Vorstellungen eines grünen Kapitalismus (Fücks) bzw. eines Kapitalismus 3.0 (Barnes 2008), der nach der erfolgreichen „sozialen Zivilisierung“ im 20. Jh. nun die ökologische vollzieht. Es geht nur noch um die zukunftsfähige Form des Kapitalismus, seine Überwindung ist von gestern. In der Bundesrepublik bildet der sozial-liberale Green New Deal den programmatischen Kern eines rot-grünen Lagers, der grüne Kapitalismus den eines schwarz-grünen – die Linke ist darin nicht vorgesehen. Beide Lager verstehen sich als Antipoden zu einem business-as-usual neoliberaler Art. Die Grünen haben es (vorläufig) geschafft, sich für beide Varianten einer ökologischen Erneuerung als führend im Bewusstsein der Wähler zu etablieren. Die CDU/CSU versucht sich sowohl als Hüterin stabilitätsorientierter, konservativer (lies: neoliberaler) Werte wie als Protagonistin einer maßvollen ökologischen Modernisierung zu etablieren. Grüne und CDU/CSU erklären beide den Konflikt zwischen ihnen zum zentralen parteipolitischen Konflikt bis 2013, betrachten sich als Hauptkonkurrenten. Doch geprägt ist die Situation ebenso von einem Ereignis, einem schwarz-grünen Post-Fukushima-Atomkonsenses und der damit verbundenen neuen Dynamik des Übergangs in einen postnuklearen und postfossilen, grünkapitalistischen Akkumulationspfad.

Unabhängig davon, welchem politischem Lager es gelingt, unter seiner Führung andere Gruppen in eine Neuordnung des Machtblocks zu integrieren, kapitalgetrieben findet die Entwicklung zu einem grünen Kapitalismus bereits statt. Tatsächlich setzen die Konzepte eines Kapitalismus 3.0 auf diese kreative Kraft innovativer Unternehmen. In der Bundesrepublik bringen sich dabei gerade jene in Stellung, eine führende Rolle zu übernehmen, die bislang eine Energiewende mit Macht blockiert haben: die Oligopolisten der Stromversorgung. Favorisiert werden marktförmige und technische Lösungen, einschließlich großtechnischer Projekte wie Desertec, riesige off-shore-Windparks, monopolisierte Netze und – trotz allem – die Atomkraft, wenn nicht hierzulande, dann doch als Exportgut. Die fossilistischen Autokonzerne setzen auf E-Autos und neue städtische Car-Sharingmodelle. IT-Unternehmen, Stromkonzerne, Bahn und kommunale Betriebe konkurrieren um den Aufbau entsprechender Infrastrukturen. – Vor dem dem Hintergrund der gegebenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der institutionellen Vertiefung neoliberaler Haushalts- und Fiskalpolitik ist also die Durchsetzung eines sozial-liberalen Green New Deal eher unwahrscheinlich – besser stehen die Chancen für die Fortentwicklung des grünen Kapitalismus.

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